Fernsehauftritt in Moskau : Schöner sterben mit Putin
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Höhere moralische Bestimmung: Putin spricht, das Volk lauscht. Bild: dpa
Russlands Präsident beschwört die Opferbereitschaft seines Volkes, das er dem Westen moralisch für überlegen hält. Dann darf auch der Whistleblower Edward Snowden zum Präsidenten sprechen - und das Volk lauscht beeindruckt. Die Analyse einer Inszenierung.
Vier Stunden sprach Wladimir Putin zum Volk. Mehrere Fernseh- und Radiokanäle übertrugen seine Worte direkt in alle Teile des großen Russland, das eine Karte hinter ihm zeigte. Er sprach über die Ukraine, die Krim, Transnistrien, die Beziehungen zum Westen, schlechte Straßen und die medizinische Versorgung - kurz: über alles. Über das Wichtigste, Zeitlose, Letztgültige, sprach er ganz zum Schluss, nach genau drei Stunden und 50 Minuten: Die, so Putin, Bereitschaft des russischen Menschen, für sein Volk zu sterben.
Russlands Präsident verlas eine der angeblich zweieinhalb Millionen Fragen, die ihn aus Anlass der Sendung „Direkter Draht“ erreichten: „Was ist für Sie der russische Mensch, das russische Volk? Seine starken und schwachen Seiten?“ Putin antwortete, viele Fachleute seien der Ansicht, ein Volk habe keine Besonderheiten, es gebe nur den konkreten Menschen. Dem sei nicht zuzustimmen, sagte Putin und nannte die gemeinsame Sprache und Geschichte und das Zusammenleben auf einem Gebiet sowie den „Austausch von Genen“ über Hunderte, ja Tausende Jahre als Wesensmerkmale eines Volkes. „Mir scheint, dass der russische Mensch, der Mensch der russischen Welt, vor allem daran denkt, dass es irgendeine höhere moralische Bestimmung des Menschen gibt“, sagte Putin.
Das sei im Westen anders, wo gelte, je erfolgreicher jemand sei, desto besser. In Russland aber fragten sich sogar sehr reiche Leute: Was nun? Denn der russische Mensch richte sich nicht auf sich selbst, sondern „entfaltet sich nach außen. Bei uns ist der persönliche Erfolg nicht genug“, so Putin. „Nur in unserem Volk konnte die Redensart entstehen: ‚Vor der Welt ist auch der Tod schön.’ Das heißt, der Tod für den anderen, für sein Volk.“ Darin lägen die „tiefen Wurzeln unseres Patriotismus“, auch das „massenhafte Heldentum“ im Krieg. Viele Völker hätten eigene Vorteile, „aber das ist unser“. Und auch wenn es in der heutigen Welt viel Austausch gebe, auch von Genen, und Russland von anderen Völkern manches aufnehmen könne, „werden wir uns immer auf unsere Werte stützen“.
Wiederholter Völkermordvorwurf
Diese Beschwörung an sein Volk, sich auf seine Opferbereitschaft zu besinnen, bot Putin einen passenden Ausklang zu seiner jüngsten Fernsehfragestunde, die schon die zwölfte dieser Art war. Schließlich sind die Zeiten nun noch ernster als sonst schon, vor allem mit Blick auf die Lage in der Ukraine. Dort hatte eine Moderatorin der Sendung gleich zu deren Beginn einen „echten Genozid“ erkennen wollen - es war womöglich eine Referenz an Putins Völkermordvorwurf an die georgische Regierung aus dem Jahr 2008, die damals zur Begründung des russischen Einmarsches diente. Weder Flugzeuge noch Panzer könnten die Krise in der Ukraine beenden, sagte Putin nun. Der Einsatz gegen die eigene Bevölkerung sei „noch ein schweres Verbrechen der heutigen Machthaber in Kiew“.
Moskau : Edward Snowden darf dem Präsidenten eine Frage stellen
Als einzige Erinnerung an Russlands eigenen Militäreinsatz gegen Separatisten in Tschetschenien mit zwei opferreichen Kriegen und zahlreichen „Verschwundenen“ im Rahmen von sogenannten Antiterroreinsätzen saß der Machthaber der Teilrepublik, Ramsan Kadyrow, im Publikum. Gemeinsam mit vielen anderen Prominenten konnte er hören, wie der Präsident daran erinnerte, dass Putin vom Föderationsrat, dem Oberhaus des Parlaments, Anfang März ermächtigt wurde, das Militär auf dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine einzusetzen, um Russen schützen. „Ich hoffe sehr, dass ich von diesem Recht keinen Gebrauch machen muss und dass die politisch-diplomatischen Mittel ausreichen, um die schärfsten Probleme zu lösen“, sagte Putin. Aufrufe an die prorussischen Uniformierten in der Ostukraine, die Besetzungen von Gebäuden zu beenden und die Waffen niederzulegen, nannte er „gut und richtig“.