Aufschwung:"Für AfD-Wähler sind wir die Hassobjekte"

Aufschwung: Basisarbeit im Hinterzimmer: Tamara Pruchnow (rechts) im Gespräch mit ihren neuen Parteifreunden bei den Grünen in Bamberg. Umweltschutz und das Eintreten für eine offene Gesellschaft sind der jungen Frau wichtig.

Basisarbeit im Hinterzimmer: Tamara Pruchnow (rechts) im Gespräch mit ihren neuen Parteifreunden bei den Grünen in Bamberg. Umweltschutz und das Eintreten für eine offene Gesellschaft sind der jungen Frau wichtig.

(Foto: Lisa Schnell)

Die Grünen verbuchen deutlichen Zulauf, vor allem in Bayern. Warum ist das so? Ein Besuch auf einem Willkommensabend für Neumitglieder.

Von Lisa Schnell

Es ist Bockbieranstich in Bamberg, alles pilgert zum Wirtshaus Fässla. Am frühen Abend schafft man es noch rein, später schütteln die Türsteher gnadenlos den Kopf. Alles voll. Wer jung ist und in Bamberg, der ist heute hier, so scheint es. Tamara Pruchnow nicht.

Sie ist 22 Jahre, ihre Augen umrahmt ein geschwungener Lidstrich, an den Ohren baumeln Hängeohrringe aus bunten Steinen. Statt mit Freunden im Fässla anzustoßen, hat sie sich für eine andere Gaststätte entschieden, besser: für einen kleinen, fast leeren Nebenraum. Auf den Tischen das Angebot: "Oma-Essen: Bohnenkern mit Rauchfleisch und Kloß". Daneben ein Mann mit Brille und grauem Bart, der damit beschäftigt ist, die Tesa-Schnipsel von seinen Fingerspitzen auf die Ecken von Info-Blättern zu kleben. "Herzlich Willkommen bei den Grünen", sagt er.

Die Grünen waren schon immer die Partei, die noch am ehesten junge Leute angezogen hat. Doch auch hier erinnert man sich, dass Parteiarbeit lange nicht gerade sexy war. Dann aber kam ein Schock nach dem anderen: Trump in Amerika, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und zuletzt das Erstarken der AfD. Wer sich darüber aufregte, musste sich jetzt den Satz anhören: "Und was tust du dagegen?" Es war ein "Tritt in den Arsch, um sich zu engagieren", wie es Peter Gack ausdrückt, der Mann mit den Tesa-Streifen an den Händen.

Der "Tritt" bescherte den Grünen in Bayern einen Rekord von 9000 Mitgliedern. Der bayerische Landesverband zählt in absoluten Zahlen nach Berlin die meisten Neumitglieder. Das merken sie auch in Bamberg. Um die fünf Prozent, mehr wuchsen sie nie in den vergangenen Jahren. 2017 sind es schon 26 Prozent; und das Jahr ist noch nicht zu Ende. Pruchnow hat nun die Mitgliedsnummer 112.

"Tut mir leid, dass ich euch die Schnapszahl vermasselt habe", sagt sie und schiebt ihren Antrag über den Tisch. Das verzeihen ihr die Bamberger Grünen gern. Von ihnen wird sie noch ein Willkommensgeschenk bekommen: Sonnenblumensamen und Aufkleber. Gegen Kohle wirbt der eine, für Europa der andere. Umweltschutz und Eintreten für eine offene Gesellschaft - es sind die zwei Themen der Grünen, von denen sie glauben, dass sie die meisten Neumitglieder überzeugen. Stimmt, sagt Pruchnow.

Ein politischer Mensch sei sie schon immer gewesen, es auch zu zeigen, wurde ihr in den letzten Jahren stets wichtiger. Wegen der Sprüche gegen den Islam und Flüchtlinge, die sie immer öfter hörte. Wegen des Tons der CSU, der solche Aussagen salonfähig zu machen schien. Aber auch wegen eines offenen Europas, in dem sie leben will und für das die Grünen kämpfen. Es waren die großen Fragen, die sie in den kleinen Raum brachten, in dem die Grünen zu ihrer Veranstaltung laden.

Dort sitzt sie nun und hört, wie grüne Politik in Bayern auch sein kann. Die Landtagsabgeordnete Christine Kamm erzählt, "wie es in Bayern läuft": Kamm wollte mehr über die Pläne der Regierung zur Asylsozialberatung wissen, bekam von der Regierung aber nur "Brocken von Informationen". "So ist das Schicksal der Abgeordneten: Furchtbar!", sagt Kamm. Sie sagt es im Scherz, wenn Kamm mal verzweifelt, kann es ihr aber auch keiner übel nehmen. Seit Jahren weist sie auf Missstände in der Asylpolitik hin, ändern kann sie wenig.

In der Kommunalpolitik könnten auch die Grünen viel erreichen, sagt Gack, der 27 Jahre im Bamberger Stadtrat saß. Aber ja: "Opposition ist Mist", ihn habe das nie zum Verzweifeln gebracht, aber daran müsse man sich in Bayern gewöhnen. Pruchnow meint, sie hält das aus. Mit 22 Jahren sei sie noch genug Idealistin. Nicht so, dass sie alle Kompromisse ablehne, rote Linien aber müsse es schon geben, etwa beim Asylrecht.

Die bayerischen Grünen präsentieren sich sehr einig

Wolfgang Schenker dagegen hält von roten Linien wenig. Auch er ist erst seit knapp einem Jahr bei den Grünen. Vorher war der 65-Jährige mal bei der SPD, bis die ihm mit ihren Kompromissen in der Energiepolitik das Kraut ausgeschüttet hat. Immer Minderheit sein, immer mahnen, davon hat Schenker genug.

Er will, dass die Grünen endlich gestalten - Rot-rot-grün wäre ihm lieber gewesen im Bund, aber Jamaika ist okay. Gegen Deals hat er nichts. In einem Einwanderungsgesetz würde er sogar die CSU-Obergrenze von 200 000 akzeptieren, wenn die Union beim Familiennachzug von Flüchtlingen nachgebe.

Dass sich auch Pragmatiker wie er bei den Grünen in Bayern wohl fühlen, verwundert nicht. Auch die Fraktionschefs Ludwig Hartmann und Katharina Schulze im Landtag reden nicht gerne von roten Linien, dafür umso lieber von ihrem Willen mitzuregieren. Von der Grünen Jugend oder der Basis bekommen sie dafür nur selten eins auf den Deckel.

Dass die Grünen in Bayern nur wenig mit Flügelkämpfen in der Partei beschäftigt sind, könnte zu ihrer Beliebtheit gerade im Freistaat beitragen. Ihr gutes Abschneiden mit elf Prozent in der letzten Umfrage für die Landtagswahl könnte aber einen ganz einfachen Grund haben: Die Grünen haben von allen Parteien gerade am wenigsten Ärger. CSU und SPD sind durch ihre Niederlagen bei der Bundestagswahl geschwächt, die FDP hadert mit ihrem Noch-Landeschef Albert Duin und die Freien Wähler mussten zuletzt mehr über Austritte und Skandale in ihrer Fraktion sprechen als über Inhalte.

Fraktionschef Hartmann sieht das natürlich etwas anders. In seinen Augen würden die Grünen dafür belohnt, dass sie ihren Themen treu geblieben sind, auch wenn sich gerade keiner dafür interessierte. Der Kontakt zur Basis sei außerdem so gut wie noch nie. Davon kann Pruchnow an ihrem ersten Tag als Grüne noch nichts berichten, wenn sie ehrlich ist, weiß sie gar nicht, wer Hartmann ist. Im Landtagswahlkampf wird sie aber vielleicht seine Plakate aufhängen, wenn er sich als Spitzenkandidat bei der anstehenden Ur-Wahl durchsetzt.

So ein Wahlkampf sei auch nicht immer einfach, sagt Jonas Glüsenkamp, der ein paar Stühle weiter vor seinem Bier sitzt. "Für AfD-Wähler sind wir die Hassobjekte", sagt er. Türen, die einem vor der Nase zugeschlagen werden, Beschimpfungen als Träumer und Naivlinge, darauf müsse man sich einstellen. Noch mehr Tipps? "Die Grünen diskutieren gerne und lange", sagt Glüsenkamp. Und nach peniblen Regeln: Bevor am Parteitag ein Mann spricht muss immer erst eine Frau gesprochen haben. Pruchnow scheint das nicht abzuschrecken. Sie sitzt noch und diskutiert, da sind die meisten schon gegangen. Und das am Tag eines Bockbieranstichs in Bamberg.

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