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Fraktionschef Oppermann SPD setzt Merkel bei Einwanderungsgesetz unter Druck

Der Koalition droht Ärger wegen des Einwanderungsgesetzes: Die SPD will eine Entscheidung bis Jahresende, die Kanzlerin bremst. Fraktionschef Oppermann erklärt im Interview, warum das Gesetz gerade in der Flüchtlingskrise notwendig ist.
Flüchtlinge in München: "Wir brauchen ein Sofortprogramm"

Flüchtlinge in München: "Wir brauchen ein Sofortprogramm"

Foto: CHRISTOF STACHE/ AFP

Die Kanzlerin hat die Flüchtlingskrise zur Chefsache erklärt - aber von einem flankierenden Einwanderungsgesetz will CDU-Chefin Angela Merkel momentan nichts wissen. Damit droht der Großen Koalition ein neuer Konflikt, denn die SPD pocht auf das Gesetz. "Wenn die Kanzlerin das nun auf die lange Bank schiebt, macht sie einen schweren Fehler", sagt Fraktionschef Thomas Oppermann im SPIEGEL-ONLINE-Interview. "Wir sollten bis Jahresende eine Grundsatzentscheidung dazu in der Koalition erreichen."

Der SPD-Politiker erklärt auch, warum dies in der aktuellen Lage besonders wichtig ist. "Es gibt viele politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge, die nach Deutschland kommen - aber auch viele, die einfach ein besseres Leben oder Arbeit suchen", so Oppermann. "Für diese Gruppe brauchen wir ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln." Klar sei: "Deutschland braucht langfristig junge, gut ausgebildete Menschen", so der SPD-Fraktionschef.

Gleichzeitig macht Oppermann konkrete Vorschläge zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, unter anderem mit Blick auf deren Ursachen. Und er sagt: "Es gibt auch noch andere Probleme, um die sich die Menschen zu Recht sorgen."

Lesen Sie hier das komplette SPIEGEL-ONLINE-Interview:

SPIEGEL ONLINE: Herr Oppermann, unternimmt Deutschland genug zur Bewältigung der Flüchtlingskrise?

Oppermann: Kein anderes Land in Europa ist so aktiv wie Deutschland. Trotzdem können und müssen wir in vielen Bereichen noch besser werden.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie konkret?

Oppermann: Als Erstes müssen wir die menschenwürdige Aufnahme der Flüchtlinge sicherstellen: Wir brauchen ein Sofortprogramm zur Bereitstellung von Erstaufnahmeeinrichtungen - in kurzer Zeit müssen wir 100.000 neue Plätze schaffen, je zur Hälfte von Bund und Ländern. An die Kommunen sollten dann nur noch Flüchtlinge weitergeleitet werden, die eine Bleibeperspektive haben. Gleichzeitig müssen wir die Verfahren beschleunigen.

SPIEGEL ONLINE: Wie soll das gehen?

Oppermann: Die Entscheidung über das Bleiberecht muss in maximal drei Monaten getroffen werden und zwar in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, müssen rascher zurückgeführt werden. Außerdem brauchen wir eine neue europäische Flüchtlingsordnung. Die alte ist zerbrochen. Wir müssen dringend zu einer fairen Verteilung in Europa kommen. So, wie es gerade in Ungarn passiert ist, darf es nicht laufen. Es muss ein geordnetes Verfahren geben und keinen rechtsfreien Raum.

SPD-Politiker Oppermann: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz

SPD-Politiker Oppermann: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz

Foto: Soeren Stache/ picture alliance / dpa

SPIEGEL ONLINE: Was kann Deutschland zur Bekämpfung der Fluchtursachen tun?

Oppermann: Da müssen wir uns deutlich mehr engagieren. Der Etat des Entwicklungshilfeministeriums wird kräftig aufgestockt - allein in diesem Jahr um fast 750 Millionen Euro. Aber für die Sonderinitiative "Fluchtursachen bekämpfen" sind gerade einmal 40 Millionen Euro zusätzlich übrig. Wir diskutieren zu Recht über die täglich entstehenden Probleme, wie Unterbringung, aber wir müssen auch die tiefer liegenden Probleme angehen.

SPIEGEL ONLINE: Was schwebt Ihnen vor?

Oppermann: Die Anrainerstaaten der Herkunftsländer benötigen dringend Hilfe: In Jordanien, Syrien und der Türkei verlassen viele die Flüchtlingslager, weil dort die Lage katastrophal ist - da können wir anfangen und vor Ort die Situation verbessern. Wenn der Uno-Flüchtlingskommissar aus Finanznot die Lebensmittelrationen kürzen muss, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Flüchtlinge nach Europa weiterziehen. In einigen afrikanischen Ländern sind Informationszentren für Flüchtlinge sinnvoll, in denen die Menschen beispielsweise von der Schlepperkriminalität erfahren und über die tatsächlichen Verhältnisse in Europa.

SPIEGEL ONLINE: Die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU klappt überhaupt nicht. Welche Druckmöglichkeiten hat Deutschland, um andere Länder dazu zu bringen, ihren Beitrag zu leisten?

Oppermann: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das müssen wir unseren europäischen Partnern klarmachen. Und es geht um das gemeinsame Wertesystem. Dazu gehören Humanität und Solidarität. Sicherlich gibt es Gründe, warum manche Länder weniger Flüchtlinge aufnehmen können als andere. Und Deutschland wird überproportional viele aufnehmen - aber es kann nicht sein, dass am Ende alle zu uns kommen.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von der Idee des Koalitionspartners, Asylbewerbern in Deutschland wieder mehr Sachleistungen statt Geld zukommen zu lassen - insbesondere zur Abschreckung der Balkan-Flüchtlinge?

Oppermann: Ich begegne solchen Vorschlägen mit großem Unbehagen. Angesichts der Größe der Aufgabe sollten wir uns auch nicht in kleinteiligen Diskussionen verzetteln. Viel effektiver wäre es, Asylverfahren drastisch zu beschleunigen - dann löst sich auch die Sach-/Geldleistungsdebatte. Ich bin mir sicher, dass Verfahren von Westbalkan-Flüchtlingen nicht länger als einen Monat dauern müssen.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist die Bundesregierung beim Flüchtlingsthema so spät aufgewacht?

Oppermann: Die Positionen der SPD liegen seit Monaten auf dem Tisch. Die Kanzlerin hat sich spät, aber eindeutig positioniert. Das begrüße ich. Mit ihrem Satz, dass bei aller deutschen Gründlichkeit jetzt auch Flexibilität gefordert sei, hat sie eine Richtlinienentscheidung getroffen, die sicher alle Beteiligten zur Kenntnis genommen haben. Die Menschen in Deutschland sind mit ihrer Hilfsbereitschaft quasi in Vorleistung gegangen - jetzt müssen auch die notwendigen staatlichen Entscheidungen getroffen werden.

SPIEGEL ONLINE: Die Kanzlerin sieht keine Notwendigkeit für das von Ihnen vorangetriebene Einwanderungsgesetz. Schmerzt Sie das?

Oppermann: Frau Merkel kennt die richtigen Argumente für ein Einwanderungsgesetz. Wenn die Kanzlerin das nun auf die lange Bank schiebt, macht sie einen schweren Fehler. Es gibt viele politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge, die nach Deutschland kommen - aber auch viele, die einfach ein besseres Leben oder Arbeit suchen. Für diese Gruppe brauchen wir ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln. Damit würden wir die Voraussetzungen für Einwanderung definieren und auch steuern, wie groß der Zuzug pro Jahr ist. Das hätte den großen Vorteil, dass damit die Asylverfahren nicht mehr belastet würden.

SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie das durchsetzen gegen die Kanzlerin?

Oppermann: Wir müssen uns insgesamt einigen. Ich werde beim Einwanderungsgesetz nicht locker lassen. Die Union war auch schon mal weiter. Nach den hinhaltenden Worten Merkels ist aber wohl noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Die SPD wird - übrigens mit Unterstützung der deutschen Wirtschaft - konsequent für das Gesetz streiten. Und die Kanzlerin wäre gut beraten, wenn sie und die Union sich dabei nicht verweigern. Wir sollten bis Jahresende eine Grundsatzentscheidung dazu in der Koalition erreichen. Deutschland braucht langfristig junge, gut ausgebildete Menschen. Davon gibt es nicht wenige unter den Flüchtlingen, die wir aus humanitären Gründen aufnehmen. Davon trennen müssen wir unser Interesse an zusätzlichen qualifizierten Einwanderern. Die brauchen wir für die Zukunft unseres Landes.

SPIEGEL ONLINE: Was kann gegen die Fremdenfeindlichkeit getan werden, die es in Deutschland auch gibt?

Oppermann: Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen in Deutschland Flüchtlinge oder Polizisten, die Flüchtlinge schützen, angreifen. Ich empfehle eine Doppelstrategie: Mit aller Härte gegen Hetzer und Gewalttäter vorgehen, aber gleichzeitig um verunsicherte Menschen werben, ihnen Mut machen und zeigen, dass Flüchtlinge für unser Land eine große Chance sein können. Und es darf nicht der Eindruck entstehen, die Politik beschäftige sich nur noch mit der Flüchtlingsfrage. Es gibt auch noch andere Probleme, um die sich die Menschen zu Recht sorgen.

SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?

Oppermann: Ein wichtiges Thema ist der Wohnungsbau: Da brauchen wir deutlichen Zuwachs, nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Mieter, die hier schon seit Langem nach bezahlbarem Wohnraum suchen. Diese beiden Gruppen darf man nicht gegeneinander ausspielen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau zu verdoppeln und steuerliche Anreize für den freien Mietwohnungsbau in Ballungszentren zu geben. Ein Engpass ist auch verfügbares Bauland in den Städten. Und wir müssen intelligent bauen: Immobilien, die erst von Flüchtlingen genutzt werden können, dann von Studenten und am Ende auch Senioren. Solche Projekte gibt es schon, aber das muss forciert werden.