Der Fiskalpakt ist verfassungswidrig!

Offener Brief an den Bundespräsidenten. Die Globalisierungskritiker von „Attac“ fordern Heinz Fischer auf, den Vertrag über den Fiskalpakt „im Sinne des Rechtsstaates“ nicht zu unterzeichnen.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!


Der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ (Fiskalpakt) wird demnächst zur Unterzeichnung auf Ihrem Schreibtisch liegen. Obwohl der politische Druck zurzeit sehr groß ist, möchten wir Sie bitten, den Vertrag im Sinne des Rechtsstaates Österreich nicht zu unterschreiben. Im „Standard“ vom 22. Juni dieses Jahres werden Sie damit zitiert, dass Sie den Vertrag nur unterzeichnen werden, wenn er „verfassungsmäßig zustande gekommen ist“.

Es stellt sich nunmehr heraus, dass die führenden Verfassungs- und Europarechtsexperten des Landes, o. Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer, Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller, Assoz. Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler und andere, jedoch dezidiert der Meinung sind, dass der „Fiskalpakt verfassungsrechtlich korrekt nur mit Zweidrittelmehrheit bzw. einem Verfassungsbegleitgesetz im Nationalrat beschlossen werden kann.

Kritik aus der Wissenschaft

Wir gehen davon aus, dass Ihnen die Argumente der Wissenschaftler bekannt sind:

Artikel 50, Absatz 1, Ziffer 2 in Verbindung mit Absatz 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG) normiert, dass ein völkerrechtlicher Vertrag, durch den die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedarf. „Ein Vertrag, der nach Europarecht schmeckt, nach Europarecht riecht – und daher wohl faktisch ein europarechtlicher Vertrag ist.“

Auch wenn der Fiskalpakt formal so tut, als wäre es reines Völkerrecht. Doch der Fiskalpakt nimmt inhaltlich Bezug auf die Europäische Kommission (bekanntlich ein Organ der EU) und versieht sie mit Aufgaben (Kontrolle). Bei den Durchführungsbestimmungen wird ebenso auf sekundäres EU-Recht verwiesen, und der Pakt soll auch früher oder später in – formales – EU-Recht überführt werden.“ (Prof. Leidenmühler, zitiert in der Wiener Zeitung vom 19.Juni 2012).

Der Vertrag ist materiell verfassungsändernd und bedarf daher der Begleitung durch ein Verfassungsgesetz. Diese Meinung vertreten Prof. Bernd-Christian Funk (öffentliche Veranstaltung am Juridicum, 5. Juni 2012) und Prof. Heinz Mayer, aber auch Prof. Griller, der dies im Rahmen des Hearings im Verfassungsausschuss am 28. Juni 2012 deutlich zum Ausdruck brachte: „Der Fiskalpakt ist nach Ansicht von Stefan Griller verfassungsändernd und braucht daher im Parlament ein verfassungsmäßiges Ermächtigungsgesetz.“

Strenger als bestehender Pakt

Der Salzburger Universitätsprofessor begründete seine Auffassung anhand von drei Punkten. Der Fiskalpakt sei mit seiner Begrenzung des strukturellen Defizits von 0,5 Prozent weit strenger als der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt („Six-Pack“), welcher verfassungsrechtlich abgesichert sei. Mit den Bestimmungen des Fiskalpakts werde nun aber die Budgethoheit des Nationalrats eingeschränkt, hielt Griller fest.

Darüber hinaus stieß sich Griller am Art. 7 des Paktes, wonach die österreichische Finanzministerin im Ecofin verpflichtet ist, mit der Europäischen Kommission zu stimmen, wenn es darum geht festzustellen, ob ein anderer Staat die Vorschriften verletzt hat. Eine derartige Bindung eines Regierungsmitglieds an die Äußerungen der Kommission habe es bisher nicht gegeben, merkte er an.

Griller befürchtet auch im Hinblick auf die Salvatorische Klausel im Art. 3 Abs. 2 im Zusammenhang mit Art. 7, dass die Minister nun eine Normenkontrolle vornehmen müssen, ob die Meinung der Europäischen Kommission europarechtskonform ist. Die Klausel besagt nämlich, dass der Vertrag nur insoweit gilt, insoweit er mit den Verträgen der EU vereinbar ist.“ (Prof. Griller, Parlamentskorrespondenz Nr. 564 vom 28.6.2012.)

Außerdem erscheint uns folgende Bestimmung verfassungsrechtlich problematisch: Wenn sich Österreich – wie derzeit – im Defizitverfahren befindet, erhalten gemäß Artikel 5 des Vertrags die Kommission und der Rat das Recht, Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme, die eine detaillierte Beschreibung der Strukturreformen enthalten müssen, zu genehmigen.

Dadurch werden die Gestaltungsrechte des Parlaments in Bezug auf Sparpakete und haushaltsrechtliche Prioritätensetzungen drastisch beschnitten, da die Entscheidungsfindung an die Meinung der Europäischen Kommission und des Rates gebunden ist. Zu denken muss auch geben, dass die Regierungsparteien für das Hearing zum Fiskalpakt im Verfassungsausschuss des Parlaments am 28.6.2012 keinen einzigen unabhängigen Verfassungsjuristen gewinnen konnten, um die Verfassungskonformität zu bescheinigen. Allein der Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, Dr. Hesse, unterstützte die Regierungsposition.

Nehmen Sie Ihre Pflicht wahr!

Wir hoffen, dass Sie Ihre Sorgfaltspflicht wahrnehmen und den verfassungsmäßig nicht korrekt zustande gekommenen Vertrag nicht unterzeichnen.


Mit freundlichen Grüßen,
Mag.a. Alexandra Strickner, Obfrau Attac, Ökonomin
Dr.in Elisabeth Klatzer, Attac Vorstand und Ökonomin
Univ. Prof. i.R. Dr. Emmerich Tálos
Dr.in Michaela Moser, Die Armutskonferenz
Mag. Christian Felber, Buchautor, Attac
Klaudia Paiha, AUGE/UG-Alternative und Grüne GewerkschafterInnen
Mag. Markus Koza, Ökonom, UG Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB
Mag.a. Karin Küblböck, Attac, Ökonomin
Franzobel, Schriftsteller


PS: Wir sind uns bewusst, dass Sie vor einer schwierigen Situation stehen. Allerdings wäre eine Unterzeichnung und nachfolgende Feststellung der Verfassungswidrigkeit vonseiten des Verfassungsgerichtshofes unter Aspekten der Rechtssicherheit und Glaubwürdigkeit der österreichischen Politik wohl noch viel problematischer.

Eine Verfassungskrise droht

Denn unser Verständnis der Materie ist, dass der Vertrag in Österreich zwar nicht angewendet werden darf, wenn der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil das nicht verfassungsmäßig korrekte Zustandekommen feststellt, die völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung des Vertrages bliebe allerdings bestehen.

Diese Situation einer Verfassungskrise in Österreich ist unter allen Umständen zu vermeiden.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person

Attac ist eine weltweit agierende NGO mit rund 90.000 Mitgliedern, die sich der Kritik an der gegenwärtigen Ausprägung der Globalisierung und des weltweiten Wirtschaftswesens verschrieben hat.

In Österreich sind unter anderem mehrere Gewerkschaften, Untereinheiten der katholischen Kirche und Intellektuelle wie Peter Menasse und Franzobel Unterstützer von Attac.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2012)

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