Hatte das hessische Landesamt für Verfassungsschutz vor dem Mord an Halit Yozgat Hinweise auf den Anschlag? Seit zwei Tagen wird diese Frage heftig diskutiert: Abgehörte Telefonate des ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas T., der damals am Tatort war, nähren aus Sicht der Anwälte der Familie Yozgat den Verdacht, dass dieser im Vorfeld "konkrete Kenntnisse von der geplanten Tat, der Tatzeit, dem Tatopfer und den Tätern hatte", wie es in einem Beweisantrag der Nebenklagevertreter heißt.

Details aus den Gesprächen waren am Wochenende durch einen Bericht der Welt am Sonntag bekannt geworden. Dem Ausschuss des hessischen Landtags zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bescherte dies kurz vor seiner zweiten öffentlichen Sitzung am Montag einen gehörigen Aufmerksamkeitsschub.

Dabei spielt Hessen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie ohnehin eine Schlüsselrolle. Sowohl das erste als auch das letzte Opfer der seit 2011 der NSU zugeschriebenen Česká-Mordserie kommen aus dem Bundesland. Enver Şimşek, am 9. September 2000 in Nürnberg niedergeschossen, lebte im hessischen Schlüchtern. Halit Yozgat wurde am 6. April 2006 in einem Internetcafé in Kassel ermordet. Danach brach die offenbar rassistisch motivierte Mordserie ab. Das zehnte mutmaßliche NSU-Opfer, die Polizistin Michèle Kiesewetter, wurde ein Jahr später mit einer anderen Waffe erschossen. 

Warum die Täter gerade den 21-jährigen Yozgat töteten, wieso sie danach ihr Vorgehen änderten und ob sie vor Ort Helfer hatten, ist noch immer nicht bekannt.

Auch die hessischen Behörden spielen immer wieder eine Rolle: So waren es hessische Beamte, die in den 1990er Jahren den Verfassungsschutz in Thüringen aufbauten, dem der Untersuchungsausschuss im Nachhinein ein verheerendes Zeugnis ausstellte. Und Hessens Verfassungsschutz stand seit Bekanntwerden der Morde unter Druck. Die Rolle des ehemaligen V-Mann-Führers T., der sogar selbst unter Mordverdacht geriet, gilt immer noch als ungeklärt. Bisherige Aussagen, er sei rein privat in dem Internetcafé gewesen und habe von der Tat nichts mitbekommen, stufen viele Beobachter als nicht glaubwürdig ein. 

Mit den Abhörprotokollen, die jetzt bekannt wurden, verdichten sich die Hinweise, dass das Amt mehr gewusst haben könnte, als es bisher zugab. Die Anwälte der Familie Yozgat wollen deshalb auch, dass der hessische Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU), der zu jener Zeit als Innenminister für den Verfassungsschutz verantwortlich war, als Zeuge beim NSU-Prozess aussagt

Bei der Aufklärung der Vorwürfe hatte sich die hessische Politik bislang viel Zeit gelassen. Erst im vergangen Mai setzte der Landtag einen Untersuchungsausschuss ein – ohne die Stimmen der schwarz-grünen Regierungskoalition. Danach war das Gremium lange mit Querelen um Akten und die eigene Arbeitsweise beschäftigt. Auf einen Terminplan über die ersten Sitzungen hinaus konnte man sich bis heute nicht einigen. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wurden erst im November Ausschüsse eingesetzt. Die Abgeordneten dort begannen trotzdem noch vor ihren hessischen Kollegen mit der Anhörung von Sachverständigen.

Ministerpräsident Bouffier unter Druck

Ein Grund für die zögerliche Aufklärung dürfte die politische Brisanz der Vorgänge sein. Bouffier entschied damals als Innenminister, dass die V-Leute von T. nicht direkt von den Ermittlern befragt werden durften. Eine Enttarnung der Quellen könne dem "Wohl des Landes Hessen" schaden, lautete seine Begründung. Nicht nur die Anwälte der Familie Yozgat sehen darin eine Behinderung der Polizeiarbeit.

Zudem sagte Bouffier im Sommer 2006 im Innenausschuss des Landtags, er habe erst aus der Presse von den Ermittlungen gegen T. erfahren. Die Anwälte schreiben in ihrem Beweisantrag nun, dass er damals bereits von der Staatsanwaltschaft informiert gewesen sei.