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Buchauszug "Das fossile Imperium schlägt zurück" Das Märchen von der Deindustrialisierung durch Ökostrom

Von Claudia Kemfert
Stahlarbeiter in Duisburg

Stahlarbeiter in Duisburg

Foto: REUTERS
Claudia Kemfert
Foto: DPA

Claudia Kemfert ist Expertin für Energie- und Klimaökonomie. Seit 2004 leitet sie die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance. Kemfert ist Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und im Präsidium des Club of Rome. In der Politik hat Kemferts Stimme großes Gewicht. Vor zwei Landtagswahlen war sie als Regierungsmitglied im Gespräch: In Hessen 2013 für die SPD, in Nordrhein-Westfalen 2012 für die CDU. In beiden Fällen setzte sich aber die jeweils andere politische Seite durch.

Ganz unabhängig von den Kosten, die dem Verbraucher aufgebürdet werden, fürchtet auch die Industrie in Deutschland hohe Strompreise durch die erneuerbaren Energien. Damit einher geht die Angst vor wirtschaftlichen Auswirkungen auf das ganze Land: Die Energiewende treibe die deutschen Unternehmen ins Ausland, so die Befürchtung, und koste Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand seien in Gefahr. Am Ende profitiere noch nicht einmal der Klimaschutz davon, wenn die Unternehmen statt in Deutschland künftig im Ausland mit Kohleenergie produzierten. Am härtesten träfe es dabei die Stahl- und Aluminiumbranche, heißt es. Doch nicht nur für die Metallindustrie, auch für Chemie- und Papierunternehmen, bei denen der Anteil der Strom- an den Gesamtkosten hoch ist, würde die Situation kritisch.

Die erneuerbaren Energien gelten daher in den Augen vieler als Wachstumsbremse, die die Zukunftsfähigkeit und den Industriestandort Deutschland gefährden. Aber könnte die Abkehr von den fossilen Energien am Ende tatsächlich zum Rückschritt in vorindustrielle Zeiten geraten?

Alle Zahlen und Prognosen sprechen eine andere Sprache. Deutschland steht im internationalen Vergleich der Volkswirtschaften hervorragender da dann je, wie der aktuelle Global Competitiveness Report zeigt. Das Weltwirtschaftsforum vergleicht darin die Wachstumschancen von 138 Volkswirtschaften weltweit.

Die Daten zur Infrastruktur, Gesundheit und Bildung, zur Wirtschaft, dem Arbeitsmarkteffizienz und zum technologischen Entwicklungsgrad werden jährlich analysiert und ausgewertet. Deutschland ist auf der globalen Rangliste seit Jahren immer unter den Top Ten zu finden: aktuell belegt Deutschland im Gesamtranking Platz 5.

Von einer De-Industrialisierung Deutschlands kann ganz offensichtlich keine Rede sein. Seitdem die Energiewende beschlossene Sache ist, hatte das offenbar keine negativen Folgen für das wirtschaftliche Wachstum. Die deutsche Wirtschaft verzeichnet einen Beschäftigungsrekord und wachsende Exportzahlen.

Auch eine Abwanderung der Unternehmen ist bislang nicht erfolgt, jedenfalls nicht aufgrund der Energiepreise: Wenn Unternehmen ins Ausland abwandern oder ihre Produktionsstandorte verlagern, liegt das in den allermeisten Fällen an den in Deutschland vergleichsweise hohen Sozialabgaben und Lohnkosten.

Erneuerbare Energien - eine deutsche Jobmaschine ohne Beispiel

Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands gibt allem Anschein nach keinen Anlass zur Sorge, im Gegenteil. Die Investitionen in die Energiewende machen sich immer mehr bezahlt: Die Kostenbelastung sinkt von Jahr zu Jahr, ebenso wie die Energiepreise. Und auch wenn im Verbrauch noch enorme Einsparpotenziale liegen, ist die deutsche Industrie im internationalen Vergleich eine der energieeffizientesten.

Deutschland ist mit der Energiewende nicht nur wettbewerbsfähig, die Energiewende schafft auch im Land wirtschaftliche Vorteile. Auch wenn die Gewerkschaften weiter um die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie kämpfen, die Zukunft liegt in der Branche der erneuerbaren Energien. Hier entstehen neue Arbeitsplätze.

Schon heute gibt es in Deutschland fünfmal so viele Beschäftigte im Bereich der Erneuerbaren wie in der Kohleindustrie. Arbeiteten 2004 noch rund 160.000 Menschen in der Erneuerbare-Energien-Branche, waren es bis 2012 etwa 400.000 Beschäftigte - auch wenn die Zahl in den letzten Jahren aufgrund der gezielten Ausbremsung der Energiewende durch die Verschlechterung der Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien etwas zurückgegangen ist.

Hinzu kommen die Arbeitsplätze im Bereich Energieeffizienz. Es ist fraglich, wem die Investitionen in den Erhalt der Arbeitsplätze in der Kohleindustrie noch nutzen - und ob es nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse ist, die Gelder nicht in die alte Energiewelt, sondern in die Arbeitsmärkte der Zukunft zu investieren.

Doch nicht nur in Deutschland, auch im Rest der Welt boomt die Branche: Die International Renewable Energy Agency (Irena) hat 2014 in einer Studie untersucht, was eine Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien im globalen Energiemix auf 36 Prozent bis 2030 für die Weltwirtschaft und die einzelnen Volkswirtschaften bedeuten würde. Das Ergebnis: Die Erneuerbaren kurbeln die Wirtschaft an.

Das weltweite Bruttoinlandsprodukt würde stärker wachsen als es bei einem langsameren Ausbau der Erneuerbaren der Fall wäre, am stärksten in Japan mit bis zu 2,3 Prozent mehr Wachstum. Aber auch für viele andere Länder wurde ein höheres Wachstum prognostiziert, für Deutschland etwa ein Prozent.

Der globale Arbeitsmarkt im Bereich erneuerbare Energien würde von knapp zehn Millionen auf etwa 24,4 Millionen Arbeitsplätze wachsen. Die globalen Kohleimporte würden um mehr als die Hälfte sinken.

Statt einseitig brennstoffexportierender und brennstoffimportierender Länder würde sich ein anderes Geflecht internationaler Handelsbeziehungen ergeben - und für mehr Vielfalt und mehr Stabilität auf den Weltmärkten sorgen. Insgesamt geht die Irena von einem durchweg höheren Gemeinwohl aus - mit vielen positiven Effekten auf die UN-Nachhaltigkeitsziele, die die internationale Staatengemeinschaft anzustreben beschlossen hat.

Das fossile Imperium schlägt zurück: Über das neue Buch von Claudia Kemfert

Was kaum jemand merkt: In News und Netz tobt ein brandgefährlicher Krieg um Energie. Überall auf der Welt ist ein Comeback fossiler Energien zu beobachten. Auch in Deutschland, dem Mutterland der Energiewende. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde zulasten der Energiewende novelliert und in Brüssel blockieren ausgerechnet die deutschen Klimapioniere die Emissionsgrenzwerte. Lobbyisten lenken von dieser Wende in der Energiewende bewusst ab. Sie verbreiten gezielt Fehlinformationen und schüren Mythen, die hartnäckig die Runde machen.

Bestsellerautorin Claudia Kemfert warnt: Fake News sind im Kampf um Macht und Geld zur Waffe geworden - auch in Sachen Energiewende. Lobbyisten verbreiten gezielt Fehlinformationen und schüren Mythen, die hartnäckig die Runde machen. In ihrem topaktuellen Buch "Das fossile Imperium schlägt zurück" widerlegt die Energieökonomin die gängigen Irrtümer mit sachlichen Argumenten und wissenschaftlichen Fakten.

Zehn Behauptungen unterzieht sie einem gründlichen Faktencheck:

  • 1. "Die Energiewende ist bis 2022 nicht zu schaffen."
  • 2. "Zielmarke 2050 - So lang im Voraus kann man doch gar nicht planen!"
  • 3. "Die erneuerbaren Energien brauchen ein Tempolimit!"
  • 4. "Es drohen Blackouts."
  • 5. "Die Energiewende lässt die Strompreise explodieren"
  • 6. "Es droht ein Kosten-Tsunami durch die Energiewende."
  • 7. "Die Energiewende führt zu einer De-Industrialisierung in Deutschland."
  • 8. "Wir brauchen keine Planwirtschaft - die Energiewirtschaft braucht Markt."
  • 9. "Die Energiewende führt zur sozialen Verelendung."
  • 10. "Mit seinem Alleingang isoliert sich Deutschland und gerät international ins Abseits."

Anschaulich erklärt die Wissenschaftlerin die politischen und ökonomischen Zusammenhänge und erläutert die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Damit versachlicht sie die aktuelle - immer wieder polemisch geführte - Debatte.

Ihr Buch ist ein Weckruf, sich nicht täuschen zu lassen und jetzt erst recht aktiv zu werden. Ihr Appell: "Erneuerbare Energien und Klimaschutz sorgen weltweit für Bildung, Wohlstand und Gerechtigkeit. Wir brauchen die Energiewende dringender denn je!"