Wie lange dauert es, bis die da draußen die da drinnen vergessen haben? Das ist die Wette, die jede Diktatur auf dem Rücken ihrer Gefangenen eingeht. In Ägypten gewinnt das Regime sie gerade. Die Gefängnisse des Abdel Fattah al-Sissi sind voll, Menschenrechtsorganisationen gehen von mehr als 60.000 politischen Gefangenen aus, und wer genau wissen will, wie mit vielen von ihnen dort umgegangen wird, der lese den jüngsten Bericht von Human Rights Watch über die Folter in Sissis Ägypten.

Eine alternative Methode ist das langsame Zermürben und Zermahlen Einzelner durch die ägyptische Justiz.

Stellvertretend für Zehntausende sei hier der Name Mahmud Abu Seid genannt. Der besondere Anlass: Der Mann wurde vor Kurzem 30 Jahre alt, von denen er die vergangenen vier in einem Kairoer Gefängnis verbracht hat.

Nahostkorrespondenten kennen ihn unter seinem Künstlernamen Shawkan. Er ist Fotograf, und zwar einer der richtig guten, auch wenn sein Talent hier keine Rolle spielen soll. Seine Bilder wurden in US-amerikanischen, britischen und auch deutschen Medien veröffentlicht.

Am 14. August 2013 fotografierte er mit Kollegen die Ereignisse auf dem Kairoer Rabaa-al-Adwijaa-Platz, wo damals Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi ein Protestlager errichtet hatten. "Ereignisse" ist in diesem Zusammenhang ein Euphemismus. An diesem Tag verübten Armee und Polizei ein Blutbad und töteten mehr als 800 Menschen, die meisten von ihnen Anhänger der Muslimbrüder.

Zahlreiche Journalisten wurden verhaftet, darunter zusammen mit Shawkan der Franzose Louis Jammes und der US-Amerikaner Mike Giglio. Alle drei landeten im selben Polizeibus, wo sie verprügelt wurden. Jammes und Giglio kamen bald wieder frei. Shawkan sitzt seither im Tora-Gefängnis. Nach fast zwei Jahren Haft wurde er zum ersten Mal einem Richter vorgeführt. Im September 2015 klagte ihn die Staatsanwaltschaft zusammen mit über 700 anderen Gefangenen wegen "Mordes, versuchten Mordes, illegaler Versammlung und illegalen Waffenbesitzes" an. Die ersten drei Anklagepunkte sind offensichtlich absurd, der vierte stimmt, wenn man die Kamera in der Hand eines Journalisten als Waffe sieht. Was der ägyptische Staat tut. 

Shawkan droht im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe.

Ich hatte in den vergangenen Jahren nur einmal Gelegenheit, mir das Tora-Gefängnis von außen anzusehen – 2014 im Zusammenhang mit dem Prozess gegen drei Journalisten von Al Dschasira.

Damals warteten wir stundenlang auf die nächste Verhandlungsrunde und ließen uns unterdessen von Angehörigen anderer Gefangener vor dem Tor die Haftbedingungen schildern. Klar wurde: Man muss nicht erst zum Tode verurteilt werden. Man kann im Tora-Gefängnis auch ohne Henker sterben.

Shawkan ist an Hepatitis C erkrankt und leidet zudem an Anämie. Es gibt keine medizinische Betreuung im Gefängnis, die diesen Namen verdient. Im Dezember 2016 beantragten seine Anwälte die Freilassung ihres Mandanten aus medizinischen Gründen. Im Mai 2017 lehnte die Justiz den Antrag mit der Begründung ab, Shawkan sei gesund.