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Jan Fleischhauer

Kampf gegen das Auto Sag zum Abschied leise Polo

Verarmt, dafür aber ökologisch vorbildlich: Mit ihrem Kampf gegen die eigene Autoindustrie betreibt die deutsche Wohlstandsgesellschaft ihre Selbstabschaffung.
Die deutsche Limousine - der alte, weiße Mann der Warenwelt. Fahren wir bald alle Polo?

Die deutsche Limousine - der alte, weiße Mann der Warenwelt. Fahren wir bald alle Polo?

Foto: KOALL/ EPA/ REX/ Shutterstock

Bei der Überwindung der Fesseln der Biologie sind wir weit vorangekommen. Über die Vererbung von Intelligenz reden nur noch Leute, die es nicht besser wissen. Auch das Geschlecht ist nicht länger eine Kategorie, die sich nicht nach Belieben gestalten ließe. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem aus den Personalausweisen die Angaben "Mann" und "Frau" getilgt sind.

Bei der Befreiung von den Gesetzen der Physik hinken wir noch hinterher. Aber wir arbeiten hart daran, dass auch hier der Fortschritt Einzug hält, wie die Diskussion über die Rückständigkeit der deutschen Automobilindustrie zeigt.

Wenn die Unternehmen in Ingolstadt, München oder Zuffenhausen die begehrtesten Autos der Welt bauen wollen, dann sei ihnen das zugestanden. Nur verbrauchen sollen ihre Produkte halt nichts mehr, in jedem Fall nicht mehr als ein italienischer Kleinwagen. Eine Autoflotte, die pro Kilometer maximal 130 Gramm CO2 abgibt, das ist die Vorgabe der Politik, darauf hat man sich in Brüssel verständigt. Das ist das Ende der klassischen Limousine - oder der Beginn einer neuen Form physikalischer Ordnung.

Das Problem der Abgase lässt sich nicht mit Sprachregelungen aus der Welt schaffen, wie wir es aus der Genderforschung kennen. Die Abschaltvorrichtung auf dem Prüfstand ist das Pendant zum Binnen-I: Eine Hilfsmaßnahme, um Naturwissenschaft und gesellschaftliche Vorgaben zu versöhnen. Leider sind Stickoxid und CO2 auch noch messbar, wenn vorne das Ökolabel draufklebt. "Physics is a bitch", wie man im Englischen sagen würde. Energieausbeute, Verbrennungsgrad, Verdichtung - all das stößt an Grenzen, die dem menschlichen Gestaltungswillen bislang noch entzogen sind.

Niemand hat je an Drittelmix-Verbrauchsangaben geglaubt

Viel ist jetzt vom Betrug am Verbraucher die Rede. Aber an dem Mogel-Kartell, das wir beklagen, sind die Autobesitzer beteiligt. Es wäre ganz einfach, die Klimaziele im Verkehr zu erfüllen: Die Deutschen müssten nur auf Fiat Panda oder VW Polo umsteigen. Ein Volk von glücklichen Verzichtsautobesitzern, und das CO2-Problem wäre gelöst.

Aber das wollen die Leute nicht. Sie hängen an ihrem BMW und ihrem Mercedes, deshalb sind sie auch bereit, über alle Mogeleien hinwegzusehen. Niemand klaren Verstandes hat je an die Drittelmix-Verbrauchsangaben geglaubt. Jeder, der nach 500 Kilometer an der Tankstelle vorfährt, weiß, dass der in den Papieren ausgewiesene Kraftstoffverbrauch eine sprachliche Übereinkunft ist, damit sich alle besser fühlen.

Wenn Sie mich fragen, ist der sogenannte Flottenverbrauch ohnehin eine ziemliche Schnapsidee. Niemand käme auf die Idee, einen Gesamtkaviarverbrauch für Deutschlands Gastronomie festzulegen. Jeder wüsste, dass McDonald's und Wienerwald dabei immer zu den Gewinnern zählen würden. Der Kaviarverbrauch bei Kempinski oder Steigenberger fällt naturgemäß höher aus als der in der Fastfood-Industrie, daran können alle Appelle nichts ändern. Wer sich als Kaviaranbieter auf so einen Wettbewerb einlässt, wird immer den Kürzeren ziehen. Das ist genau das, was der deutschen Autoindustrie in Brüssel passiert ist.

Ich stehe dem technischen Fortschritt aufgeschlossen gegenüber. Alle Welt schwärmt vom Elektroauto. Als ich vor ein paar Wochen einen DriveNow-Wagen brauchte, nahm ich gerne ein paar Meter Fußweg mehr in Kauf, um einen BMW i3 zu mieten. Die Beschleunigung ist toll, keine Frage. Leider entspricht die Reichweite nicht ganz den Erwartungen, die man an ein Auto hat.

Als ich am Ziel angekommen war, einem Biergarten im Süden Münchens, und die Heimatadresse für den Rückweg in das Navi eintippte, informierte mich das Gerät, das die Ladeleistung nicht ausreiche, um mich zum Wohnort zurückzubringen. Die Tankanzeige hatte mir bei Abfahrt noch einen halben Tank angezeigt, darauf hatte ich mich verlassen. Als ich bei DriveNow anrief, erklärte mir eine freundliche Stimme, dass ein Elektro-BMW vollgetankt realistisch 140 Kilometer zurücklegen kann, bei beanspruchender Fahrweise auch weniger. 140 Kilometer, bevor man an die nächste Steckdose muss: Das taugt als Kita-Bringwagen, aber nicht als ernst zu nehmendes Transportmittel.

Auch die Ökobilanz der gelobten Elektrowelt sieht eher mau aus. Wer noch immer meint, dass der E-Motor eine saubere Alternative sei, dem kann man nur empfehlen, die Begriffe "Lithium", "Kobalt" und "Nickel" in Verbindung mit "Kinderarbeit", "Mine" und "Menschenrechten" zu googeln. Dass die erforderlichen Batterien künftig umweltverträglich in Deutschland und nicht mehr in China hergestellt werden, ist ein Traum so realistisch wie der Drittelmix.

Es ist ein ziemlich dicker Ast, an dem wir gerade sägen. Wir haben die Atomindustrie außer Landes getrieben. Wir haben die Gentechnik exiliert. Im Grunde mögen wir auch die chemische Industrie nicht, und die Internetwirtschaft ist uns eh suspekt. Die postindustrielle Manufactum-Gesellschaft, in der man morgens Jäger ist, mittags Fischer und abends Kritiker ist, ist ein hehres Ziel. Leider lässt sich ohne industrielle Basis keine entwickelte Volkswirtschaft am Laufen zu halten, schon gar nicht ein Sozialstaat von dem Ausmaß, wie ihn sich die Deutschen leisten. Das wissen übrigens auch alle Linken, die noch Marx gelesen haben.

Es wird jetzt wieder eine Reihe von Lesern geben, die mich darauf hinweisen, wie zynisch meine Ansicht zum Auto sei. Dazu kann ich nur sagen: Ja, Feinstaub tötet. Auch Stickoxide sind der Gesundheit nicht zuträglich. Ich habe trotzdem nicht den Eindruck, dass wir alle dem Nahtod geweiht sind. Jedes Jahr fordert der Feinstaub angeblich das Leben von 45.000 Deutschen. Eigenartig, dass wir als Gesamtheit dennoch immer älter werden. Beim letzten Mal, als ich nachgeschaut habe, lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 83 Jahren. Wie alt wollen die Leute denn noch werden, frage ich mich: 90 Jahre, 100 Jahre?

Die traditionelle deutsche Limousine ist der alte, weiße Mann der Warenwelt. Geduldet, aber nicht geschätzt, ein Relikt aus einer Zeit, über die der gesellschaftliche Fortschritt hingegangen ist. Insofern ist auch diese Kolumne nur ein wehmütiges Farewell. Der Prozess der Emanzipation ist unaufhaltsam.