Das kleine Gaunerstück – Seite 1

Der DFB arbeitet weiter an seinem Ruf als Organisation, die über dem Gesetz stehen will. Im Dezember sollte er im Sportausschuss des Bundestags für die nächste EM-Kandidatur werben und darüber informieren, was es Neues über den Skandal der WM 2006 gibt. Der DFB-Präsident Reinhard Grindel, bis vor Kurzem selbst Mitglied des Sportausschusses, ließ den Termin wegen "längerfristiger terminlicher Verpflichtungen" absagen. In einem Schreiben des DFB, aus dem die Rheinische Post zitiert, hieß es zudem: "Wir erlauben uns, die Zuständigkeit des Deutschen Bundestags in dieser Angelegenheit kritisch zu hinterfragen."

Das ist ein Ding, auch wenn der DFB inzwischen erwägt, einen Ersatztermin vorzuschlagen. Denn am Sonntag ist es erst ein Jahr her, dass der Spiegel mit einer Story den DFB als kleinen Bruder der Fifa enttarnte. "Das zerstörte Sommermärchen", schrie es von der Titelseite. Zu sehen waren, im Outfit von Geschäftsmännern und finster schauend, Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach und ein Mann mit Zigarre. Insider erkannten Robert Louis-Dreyfus, den ehemaligen, inzwischen verstorbenen Adidas-Chef. Im Hintergrund wehten Deutschlandfahnen, auf denen Zahlen montiert waren, als wären sie keine Winkelemente, sondern Geldscheine.

Es folgte ein einmaliges Kapitel deutscher Sportgeschichte. Die große Recherche über die "schwarzen Kassen" des DFB, der viele kleine folgten, fegte die Spitze des Verbands hinweg und demontierte die Lichtgestalt Beckenbauer. Vor allem schrumpfte die Weltmeisterschaft 2006 vom Jahrhundertereignis zum kleinen Gaunerstück. Das zehnjährige Jubiläum in diesem Sommer fiel aus.

Das Denkmal Beckenbauers ist ein Torso

Der Fall ist so verzwickt, dass auch ein Jahr danach noch viele Fragen offen sind. Es ermitteln Behörden aus verschiedenen Ländern, Journalisten recherchieren weiter, ein rechtskräftiges Sportgerichtsurteil steht noch aus. Und der deutsche Fußball hat zwar eine neue Führung, die ein wenig zur Aufklärung beigetragen hat, doch es ist längst nicht alles gut beim DFB. Ihm geht es längst um das nächste große Turnier, die Europameisterschaft 2024.

Es ist nicht der letzte Beweis erbracht, dass das deutsche Organisationskomitee (OK) die WM im Jahr 2000 gekauft hat. Doch es sind inzwischen viele kleine Verträge und Rechnungen aufgetaucht, für Tickets, Fähnchen oder Shoppingtouren für Ehefrauen, deren Begünstigte so schmierige Fifa-Wahlmänner wie Jack Warner waren.

Im Zentrum der WM-Affäre stehen aber die sagenumwobenen 6,7 Millionen Euro. Sie hat der DFB laut einem Protokoll für eine Kulturgala über die Fifa in dunkle Kanäle überwiesen, die nie stattfinden sollte. Es handelte sich um ein Darlehen von Dreyfus aus dem Jahr 2002, das er sodann vom DFB zurückverlangte. Der reiche Verband konnte nie verständlich machen, warum er sich Geld leihen musste. Und noch immer gibt es keine Erklärung über den Verwendungszweck. War es Schmiergeld, war es – und das wäre nicht besser – Wahlkampfhilfe für Sepp Blatter?

Die, die es wissen müssten, schweigen, vor allem Beckenbauer, der Kopf der deutschen WM-Bewerbung. Obwohl das Geld auch über ein Konto nach Katar floss, auf das er Zugriff hatte. Vor dem Skandal war er der majestätischste Deutsche der Nachkriegsgeschichte. Heute ist sein Denkmal ein Torso. Zumal jüngst bekannt wurde, dass er über einen Sponsorenvertrag des WM-OK mit Oddset 5,5 Millionen Euro verdiente. Ob als Vergütung für Werbeverträge oder als verdecktes Honorar für sein Amt als OK-Präsident, wird diskutiert. Er hatte stets beteuert, ehrenamtlich als OK-Chef gearbeitet zu haben. Stimmt es, was der Schweizer Tages-Anzeiger schreibt, hat er auch als Fifa-Vorstand in den Jahren 2007 bis 2011 auf fragliche Art weitere Millionen eingenommen.

Mit Beckenbauer hat es eine alte Fußballsippe erwischt. Horst Schmidt galt als sauberer Sportfunktionär. Theo Zwanziger hatte es sich zwar schon zuvor mit vielen verscherzt, zehrte aber noch von seinem verdienten Ruf als Präsident mit Sinn für gesellschaftliche Verantwortung. Der Ruf der beiden hat auch gelitten, beide hatten als Mitglieder des OK Kenntnis von den Ungereimtheiten. Sie haben die Rückzahlung der 6,7 Millionen Euro abgewickelt.

Der DFB blickt in die Zukunft

Wolfgang Niersbach, ebenfalls Präsidiumsmitglied im OK, wusste nach aktueller Aktenlage ebenfalls früh vom Dreyfus-Darlehen, spätestens 2004, nicht erst seit 2015, wie er bis heute beteuert. Er sagte nichts und musste als Präsident zurücktreten. Seine Mein-Name-ist-Niersbach-PK im November 2015 wurde zur Vorlage für Satiresendungen und das sächsische Justizministerium. Niersbach wurde inzwischen von der Fifa-Ethikkommission gesperrt, weil er die Sache im vorigen Sommer gegenüber Fifa und DFB-Präsidium zunächst vertuschte. Er hat Einspruch gegen das Urteil eingelegt, ohne große Aussichten. Seine Funktionärskarriere ist wohl am Ende.

Der ehemalige Vizegeneralsekretär Stefan Hans, schon in Niersbachs Zeiten als Generalsekretär dessen Stellvertreter, wurde vom DFB im November 2015 fristlos entlassen, weil er ebenfalls nicht rechtzeitig informierte. Er prozessiert gegen die Kündigung, im November sieht man sich wieder vor Gericht. Helmut Sandrock trat im Februar 2016 als Generalsekretär zurück. Entgegen der offiziellen Version nicht freiwillig, er wurde dazu gedrängt. Ein halbes Jahr später forderte die Fifa-Ethikkommission eine Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit für Sandrock. Auch er hatte zu lange vieles verschleiert.

Für Zwanziger, Beckenbauer und Schmidt ist der Fall sportrechtlich abgeschlossen, sie sind Fußballrentner. Strafrechtlich kann es aber noch brisant werden. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen Niersbach, Schmidt und Zwanziger sowie gegen den DFB wegen Steuerhinterziehung. Die Schweizer Behörden ermitteln gegen die gleichen Personen wegen Geldwäsche und Veruntreuung, zusätzlich auch gegen Beckenbauer. Die treibende Kraft dürfte das FBI sein, die Amerikaner, die gerade die Fifa zerlegen, haben es auf die korrupten globalen Sportverbände abgesehen.

Es könnte sein, dass die Untersuchungen erst in drei bis vier Jahren abgeschlossen sein werden. Dem DFB könnte die Gemeinnützigkeit für die Jahre 2005 und 2006 rückwirkend aberkannt werden. Sollte er hohe Summen an die Finanzbehörden zurückzahlen müssen, wird er wohl vor Gericht versuchen, sich das Geld von den Verursachern dieses Schadens zurückzuholen. Das könnte vor allem Niersbach treffen, der 2007 die falsche Steuererklärung des DFB unterschrieb. Es ist also weiterhin mit neuen Konflikten, Prozessen und Details in den wichtigsten Fragen zu rechnen:

  • Wofür sind die 6,7 Millionen Euro verwendet worden?
  • Warum zahlte der DFB und nicht Oddset das Honorar von 5,5 Millionen Euro an Beckenbauer?
  • Warum erhielt Beckenbauer unter dem Betreff "Löhne und Bezüge" 5,4 Millionen Schweizer Franken für seine Zeit bei der Fifa, obwohl ihm nur 400.000 für vier Jahre im Vorstand zugestanden haben? Und warum zahlte die Fifa das Geld auf das Konto des Beckenbauer-Beraters Fedor Radmann und nicht direkt an ihn?
  • Hat Beckenbauer noch mehr am Sommermärchen verdient?
  • Was stand in der Akte "Fifa 2000", die aus dem DFB-Archiv verschwunden ist? In welchem Garten ist sie vergraben? Die Niersbach-Assistentin, die laut Aussage der DFB-Archivarin den Ordner aus dem Keller holte, will sich wie Niersbach an nichts erinnern. Von wem erhielt sie den Auftrag? Selbstständig hat sie mit Sicherheit nicht gehandelt.
  • Und was wusste die aktuelle Führung wann, vor allem was hätte sie wann unternehmen müssen?

Reinhard Grindel, Friedrich Curtius und Ralf Köttker heißen die Neuen. Sie wurden im April Präsident, Generalsekretär und Vizegeneralsekretär. Ob sie Lehren aus dem Skandal gezogen haben, haben sie nicht zweifellos belegt. Grindel hat sich zwar von Beckenbauer distanziert und mit dem DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch die Kanzlei Freshfields beauftragt, den Fall aufzuklären. Die Kanzlei entdeckte immerhin den Geldfluss der Dreyfus-Millionen nach Katar und das Beckenbauer-Konto.

Applaus für Niersbach auf dem DFB-Bundestag

Aber der große Wurf war das nicht. Die Oddset-Zahlung an Beckenbauer tauchte im Freshfields-Bericht nicht auf, von ihr erfuhr die Öffentlichkeit später durch den Spiegel. Und zu mehr als einem unentschlossenen Fazit war Freshfields nicht fähig: Bestechung könne nicht nachgewiesen werden, aber auch nicht ausgeschlossen. Die DFB-Führung, die die teure Untersuchung mit großer Rhetorik als weltmeisterliche Aufklärung verkaufen wollte, beschränkte sich auf den ersten Teil des Fazits. Damit erweckte der DFB den Eindruck, dass die Sache für ihn erledigt ist.

Es gibt weitere Indizien dafür, dass der DFB am liebsten nach vorne schauen will. Den Vertrag mit Adidas hat er verlängert, ohne dass beide ein Wort über den Pakt zwischen dem ehemaligen Adidas-Chef Dreyfus (bis 2001 im Amt) und Beckenbauer verloren. Hätte die Fifa Niersbach nicht gesperrt, würde er weiterhin den deutschen Fußball in der Fifa und Uefa vertreten. Auf dem Außerordentlichen Bundestag im April erhielt er von den Delegierten warmen Applaus.

Bei der Wahl zum Uefa-Präsidenten stimmte Grindel für den Slowenen Aleksander Čeferin, der tauchte bereits nach wenigen Wochen auf dem Radar der Fifa-Ethiker auf. Es gab einen Gegenkandidaten, der eher für Ethik und saubere Politik steht. Doch taktisch war es für den DFB im Interesse der EM-Bewerbung klüger, auf der Seite des Siegers zu stehen.

In den Fokus gerät zunehmend der 16. Oktober 2015 und die Wochen danach. An diesem Tag unterrichtete Niersbach sein Präsidium in einer Telefonkonferenz von dem Dreyfus-Darlehen. Nun stellt sich die Frage: Hat Grindel richtig gehandelt oder hätte er als damaliger Schatzmeister umgehend die Finanzbehörden einschalten müssen? Und Köttker ist sogar im DFB aufgestiegen, obwohl er für die fatale Pressekonferenz Niersbachs mitverantwortlich war. Im Fokus des DFB hingegen steht die Zukunft.