Hallo Ü-Wagen: Der Deutschlandfunk diskutierte an der unteren Schloßstraße über die Zukunft der Innenstädte

„Ich kauf mir was. Kaufen macht so viel Spaß“, röhrte einst Herbert Grönemeyer. Doch immer mehr Menschen kaufen sich heute etwas im Internet oder in einem Einkaufszentrum. Was kann man vor diesem Hintergrund gegen die Verödung der Innenstädte tun? Um diese Frage in seiner Sendung Länderzeit zu diskutieren, schickte der Deutschlandfunk seinen Ü-Wagen zur unteren Schloßstraße.

„Mülheim hatte vor 40 Jahren die erste Fußgängerzone mit einer Tiefgarage und heute versuchen wir die Schloßstraße mit dem neuen Ruhrquartier und dem neu entstehenden Stadtquartier Schloßstraße wieder zu beleben“, erklärte Stadtsprecher Volker Wiebels, warum er das DLF-Team zur unteren Schloßstraße gelotst hatte, wo die leer stehenden Ladenlokale unübersehbar sind.
„Es könnte hier um diese Zeit voller sein“, erfasste Moderator Jürgen Wiebicke mit seiner Eingangsfrage die Lage und den Kern des Problems.
Das räumte nicht nur Architekt, Investor und Gründer von „Architektur, Industrie- und Gewerbebau“ Gerd Rainer Scholze sofort ein und erklärte gleich, warum er davon überzeugt ist, dass das neue Stadtquartier nach seiner Fertigstellung 2019 auch die untere Schloßstraße „mit seiner Qualität aufwerten wird.“ Die reine Shoppingmeile ist nach seiner Ansicht nicht mehr gefragt. „Es kommt auf den richtigen Mix an, der die Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse der Menschen aufgreift“, sagte Scholze. Das neue Stadtquartier Schloßstraße sieht der Investor mit seinem Mix aus Gastronomie, Einzelhandel, Hotel, Fitness-Center, Pflegeheim, Seniorenwohnungen und Büros auf dem richtigen Weg.
„Ich bewundere ihr unternehmerisches Geschick und ihre Weitsicht Herr Scholze. Aber Innenstädte, wie die Mülheims werden es auch künftig nicht leicht haben, weil sie im Einzugsbereich von Metropolen liegen“, gibt der Einzelhandelsforscher Professor Christian Grunninger von der Hochschule Lörrach zu bedenken.

Der Kunde entscheidet

„Wir alle müssen unser Konsumverhalten kritisch hinterfragen. Wir tun uns eben keinen Gefallen damit, wenn wir zuhause bequem auf dem Sofa im Internet einkaufen“, brachte der aus Berlin zugeschaltete Stadtentwicklungsdezernent des Deutschen Städtetages, Hilmar von Lojewski, die Verantwortung der Bürger ins Spiel, die sich lebendige Stadtzentren wünschen, dort aber nicht oft genug einkaufen. „Ich kaufe auch schon mal im Internet ein, aber immer mit schlechtem Gewissen. Denn irgendwie macht man sich damit die eigene Gesellschaft kaputt“, gab ein junger Mann zu, den DLF-Reporterin Bettina Köster in einem Einspieler aus dem Rhein-Ruhr-Zentrum interviewte. Eine Zuhörerin sagte ihr die Vorteile des Einkaufszentrums ins Mikrofon: „Hier ist es immer trocken und hier finde ich alles was ich brauche, unter einem Dach. Einschließlich eines kostenfreien Parkplatzes.“

Schloßstraße für Autos öffnen

Das letzte Argument rief den Vorsitzenden der Werbegemeinschaft Innenstadt, Hermann-Josef Pogge, auf den Plan. Er wies auf die Erfolgsgeschichte der Düsseldorfer Straße hin und plädierte dafür, „die Schloßstraße zumindest auf einer Spur für Autos zu öffnen, weil man die Leute nicht umerziehen kann“, und so auch jene Kunden in die Innenstadt holen könnte, die nicht ohne ihr Auto einkaufen können oder wollen.

Aus Berlin kam eine Gegenstimme: „Ich warne davor, dass Heil einer Innenstadt allein im Autoverkehr und in freien Parkplätzen zu sehen. Im Gegenteil: "Die Innenstädte werden immer beliebter, in denen Menschen Aufenthalts- und Lebensqualität finden und wo sie zu Fuß oder mit dem Rad ungestört unterwegs sein können,“ betonte Hilmar von Lojewski. Wer sich in der Nachrichtenpause bei Zuhörern vor Ort umhört, hört unter anderem von zu geringen Renten und Löhnen, die vielen Menschen die Kaufkraft raubten. Von zu hohen Ladenmieten und zu wenigen kostenfreien Parkplätzen oder zu wenigen Ordnungshütern auf der Straße ist da die Rede.

Lebensmittel werden lieber vor Ort gekauft

Nach den Nachrichten berichtete Lebensmittel-Einzelhändler Felix Kels „von treuen Kunden, die die Beratung und die Frische der Produkte im stationären Einzelhandel zu schätzen wissen.“ Doch sein Innenstadt-Kollege Pogge erzählte auch von jenen Kunden, „die sich in unserem Raumausstatter-Geschäft beraten lassen und die Tapete ihrer Wahl fotografieren, um sie später im Internet zu kaufen.“ Ein weiterer Einspieler mit einer Umfrage der im Rhein-Ruhr-Zentrum stationierten Außen-Reporterin Bettina Köster zeigte: Es sind vor allem jüngere Kunden, die gerne und oft im Internet einkaufen, während sich die älteren Kunden fast ausschließlich im stationären Einzelhandel versorgen.
Einzelhandelsforscher Christian Grunninger prognostizierte für 2020 einen 15-Prozent-Marktanteil des Online-Handels, der zurzeit schon bei zehn Prozent liege.

Sowohl als auch- statt entweder oder

„Es wird wohl auf eine Kombination aus beidem hinauslaufen“, vermutete Oberbürgermeister Ulrich Scholten. Die Anregung eines Zuhörers aufgreifend, machte der Oberbürgermeister deutlich, „dass wir als Stadt gar nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, Ladenmieten zu sponsern, um damit mehr kleine Geschäfte in die Innenstadt zu bekommen.“ Scholten sieht die Aufgabe der Stadt darin: „gute Rahmenbedingungen für den Einzelhandel zu schaffen und darüber hinaus Händlern beratend und durch das Öffnen von Türen zur Seite zu stehen.“

Und was meinte der Mann aus Berlin dazu? Hilmar von Lojewski kann sich eine erfolgreiche Symbiose aus stationärem und digitalem Einzelhandel vorstellen. „Ich kann mir Einzelhändler vorstellen, die ihre Waren in einem Showroom in der Innenstadt präsentieren und dort auch Kunden beraten, aber ihre Produkte gleichzeitig auch im Internet verkaufen und bei Bedarf auch nach Hause liefern.“

Dabei ließen die Einzelhändler Kels und Pogge keinen Zweifel daran, dass die stationären Einzelhändler mit Rücksicht auf ihre Mitarbeiter niemals mit dem 24-Stunden-Einkauf im Internet konkurrieren können und wollen. Am Ende waren sich Architekt und Investor Gerd Rainer Scholze und Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag darin einig, dass langfristig die Stadtquartiere die Nase vorn haben werden, denen es am besten gelingen wird, Arbeit, Konsum und Freizeit miteinander zu verbinden.
Alle Diskussionsteilnehmer vor dem Hotel Noy zeigen sich in der Schlussrunde mit Jürgen Wiebicke zuversichtlich, dass eben dies der Innenstadt mit dem neuen Ruhr- und dem neuen Stadtquartier künftig gelingen wird. Thomas Emons

Autor:

Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr

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