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Medien erzeugen verzerrtes Bild von Flüchtlingen

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Flüchtlinge bei einer hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen Ende 2015.
Flüchtlinge bei einer hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen Ende 2015. © dpa

Gewalttätige Einwanderer als Angstfigur: Eine Studie zeigt, wie Medien ein verzerrtes Bild erzeugen. Wachsende Gewalt gegen Flüchtlinge geht in der Berichterstattung unter.

Seit den Ereignissen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln hat sich der Umgang der Medien mit Flüchtlingen verändert: Zu diesem Ergebnis kommt der Medienwissenschaftler Thomas Hestermann in einer Studie, über die er im Medienmagazin „journalist“ (Mittwoch) berichtet und die der Katholischen Nachrichten-Agentur vorliegt. Seit der Silvesternacht mit ihren Übergriffen seien Flüchtlinge als mutmaßliche Gewalttäter in den Fokus der Berichterstattung gerückt - die wachsende Gewalt gegen Flüchtlinge werde hingegen kaum thematisiert.

Hestermann analysierte zwischen Januar und April dieses Jahres 283 Artikel in überregionalen Zeitungen sowie 81 TV-Beiträge. „Die deutschen Medien haben den gewalttätigen Einwanderer als Angstfigur neu entdeckt“, sagt der Journalismus-Professor. Ernüchterung und Alarmismus zögen sich „wie ein roter Faden durch die gesamte Berichterstattung“.

Wissenschaftler warnt vor Vorurteilen

Demnach berichteten deutsche Fernsehsender in diesem Zeitraum viermal so häufig über Gewalt nichtdeutscher Tatverdächtiger im Vergleich zu 2014, obwohl deren Anteil in der Kriminalstatistik in diesem Zeitraum nur um ein Drittel angestiegen sei. Nichtdeutschen Opfern von Gewalttaten widmete das Fernsehen in diesem Jahr demnach halb so viele Berichte wie 2014, obwohl deren Zahl laut Bundeskriminalamt anstieg. „Das führt zu einem verzerrten Bild und kann Vorurteile in der Bevölkerung anheizen“, warnt der Medienwissenschaftler.

Ein weiteres Ergebnis: Vor allem die „Bild“-Zeitung berichte über Ausländer meist im Zusammenhang mit Kriminalität. In 64,3 Prozent der untersuchten Artikel wurden Ausländer erwähnt, wenn sie einer Straftat verdächtigt wurden. „Süddeutsche Zeitung“ (39,5 Prozent) und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (38,2 Prozent) thematisierten seltener Kriminalität. In der „taz“ ging es mit 18,6 Prozent der Artikel über Nichtdeutsche deutlich weniger um Straftaten. Die TV-Berichte bezogen sich demnach mit knapper Mehrheit (52,2 Prozent) auf Kriminalität.

3,6 Prozent nichtdeutsche Gesprächspartner bei „Bild“

Die Perspektive der Betroffenen bleibt laut Studie meist außen vor, wenn es um Flüchtlinge geht. In der „Bild“-Zeitung kam in 3,6 Prozent der untersuchten Artikel ein nichtdeutscher Gesprächspartner zu Wort; in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in 20 Prozent. Geflüchtete hätten keine starke Lobby, so Hestermann.

Auch Helfer kämen nur vereinzelt zu Wort: die katholische Kirche und die Caritas in vier von 283 Artikeln, die evangelische Kirche und die Diakonie in 2. Würden Flüchtlinge porträtiert, dann hätten ihre Geschichten meist „etwas Tragisches“: „Es sind Narrative von Aussichtslosigkeit, vom Scheitern aller Bemühungen, in Deutschland anzukommen.“

Hestermann leitet ein Forschungsprojekt zur TV-Berichterstattung über Gewaltkriminalität in Zusammenarbeit mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Für die Studie wurden Artikel aus „Bild“-Zeitung, „Süddeutscher Zeitung“, „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“ und „taz“ analysiert sowie Beiträge von ARD, ZDF, RTL, RTL II, Sat.1, ProSieben, kabel eins und Vox. (kna)

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