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In Indien arbeiten viele Frauen auf dem Bau. Diese Bauarbeiterin in Neu-Delhi ist auf dem Weg zur Arbeit.

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Renana Jhabvala: "Arme gehen mit ihrem Geld viel weiser um als Reiche."

Foto: SEWA

Über ein bedingungsloses Grundeinkommen debattiert in unseren Breitengraden vor allem eine krisengeschüttelte Mittelschicht. Dass die Idee eines Grundeinkommens aber gerade in armen Ländern des Südens und Ostens bereits in der Armutsbekämpfung umgesetzt wird, ist kaum bekannt.

Indiens großer informeller Sektor

In Indien gehört Renana Jhabvala mit ihren Projekten zu den PionierInnen dieser Idee. Die führende Kraft in der Frauengewerkschaft SEWA arbeitet seit 1977 mit Frauen aus dem informellen Sektor. Über 90 Prozent aller indischen Erwerbstätigen erwächst durch ihre Arbeit keine soziale Absicherung. Sie müssen sich mit ihrem Einkommen medizinische Versorgung, Bildung und Altersvorsorge selbst einkaufen.

200 Rupies für Jede/n

2011 startete sie mit finanzieller Unterstützung von UNICEF ihre Pilotprojekte in verschiedenen Regionen Indiens. Jede Bewohnerin und jeder Bewohner (einschließlich der Kinder) aus acht ausgesuchten Dörfern erhielt über eineinhalb Jahre einen fixen Geldbetrag - ohne Vorbedingung oder festgelegten Verwendungszweck. Der mit monatlich 200 Rupies (für Kinder 100 Rupies) festgesetzte Betrag macht ein Viertel bis ein Fünftel des Einkommens einer armen indischen Familie aus. "Er sollte einerseits die Arbeit nicht ersetzen und andererseits nicht so niedrig sein, dass er für die Familien keinen Unterschied macht", erläutert Renana Jhabvala gegenüber dieStandard.at.

Wissenschaftliche Begleitung

Wie sich ein Grundeinkommen auf die Lebensqualität der einzelnen und das soziale Gefüge der Dörfer auswirkt, untersuchen Sewa und ihr wissenschaftlicher Berater, der britische Ökonom und Grundeinkommensaktivist Guy Standing, in einer parallel laufenden Studie. Mittels zwölf Kontrolldörfern, die im gleichen Zeitraum keine finanzielle Unterstützung erhalten, sollen die Ergebnisse des "cash transfers", so der Fachterminus für diese sozialpolitische Maßnahme, empirisch ausgewertet werden.

Strukturelle Probleme der Armutsbekämpfung

Ob diese Projekte gut funktionieren, könnte entscheidend sein für die indische Sozialpolitik. Der Staat investiert viel in Sozialprogramme und hat über die Jahrzehnte ein undurchschaubares Dickicht aus Unterstützungsprogrammen etwa für Nahrung, Medizin und Bildung geschaffen. In den Dörfern, in denen SEWA aktiv ist, kommen allein 321 unterschiedliche Programme zur Anwendung. "Das Problem ist allerdings, dass der Großteil der Gelder nicht bei den Bedürftigen ankommt", sagt Jhabvala.

Die Ergebnisse der Sewa-Projekte werden von der Regierung deshalb mit großem Interesse verfolgt. Klarerweise ist sie interessiert daran, ihre Sozialprogramme effizienter zu machen. Doch in Sachen Grundeinkommen für Arme ist die indische Gesellschaft derzeit noch sehr gespalten. Progressive Kräfte befürchten, dass durch die Einführung von Direktzahlungen alle anderen Sozialprogramme eingestellt würden. "Cash Transfers betrachten in Indien viele als neoliberale Maßnahme", so Jhabvala.

SEWA steht auf dem Standpunkt, dass der Staat ein Gesundheits- und Bildungssystem für alle bereitstellen sollte. Jene Sozialprogramme aber, die sich als ineffektiv erwiesen haben, sollten in Direktzahlungen umgewandelt werden, fordert Jhabvala.

Erste Ergebnisse: Ausgaben für Gesundheit und Bildung steigen

Im Dezember 2012 erhielten die Stadt- und DorfbewohnerInnen ihre letzte Zahlung, nun geht es an die Schlussauswertung des Pilotprojektes.
Bereits jetzt kann man aber schon etwas über die Effekte des Programms sagen. Eine qualitative Befragung von 180 TeilnehmerInnen zur Mitte des Programms lässt darauf schließen, dass die Menschen das Geld hauptsächlich für gesundheitliche Versorgung, für die Schulbildung der Kinder und für die eigene Behausung ausgeben.

Ein wünschenswertes Ergebnis für die OrganisatorInnen, das Jhabvala nicht wirklich zu überraschen scheint: "Ich arbeite seit vielen Jahren mit armen Menschen zusammen und ich habe gesehen, dass sie mit Geld sehr verantwortungsvoll umgehen. Sie sind darin viel geschickter als Reiche, weil sie ein starkes Interesse daran haben, ihr Leben zu verbessern."

Mikrofinanz vs. Grundeinkommen

In den letzten Jahrzehnten hat man vor allem versucht, der armen Landbevölkerung Indiens über Mikrokredite unter die Arme zu greifen und ihnen weitere Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. Auch die Genossenschaftsbank von Sewa vergibt Mikrokredite an Frauen. Sie haben als eine der ersten bereits Ende der 1970er damit angefangen. Die beiden Systeme - Mikrokredite und Grundeinkommen - sieht Jhabvala jedoch nicht miteinander verbunden. "Das eine ist ein Kredit für Investitionen im Erwerbsleben, das andere eine staatliche Leistung zur Stärkung der sozialen Netzes." Den Menschen bleibt es selbst überlassen, wofür sie ihr Grundeinkommen ausgeben. Und sie laufen nicht Gefahr, sich heillos zu verschulden. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 27.12.2012)

Cash Transfer Pilot-Projekt in Indien:

Ein Image-Film von SEWA über das laufende Pilotprojekt:

Quelle: www.youtube.com