Jetzt muss er erst mal eine Zigarette rauchen. Egon Bahr, ehemals Kanzlerberater, Sozialdemokrat, 92 Jahre alt, steht vor dem Hotel Maritim in Berlin-Mitte und nimmt einen tiefen Zug. Gerade hat er sich drei Stunden lang angehört, was falsch läuft in der Welt, mit der Ukraine-Krise und warum in Wahrheit nicht die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin der Aggressor ist, sondern die Europäische Union, als verlängerter Arm der amerikanischen Weltherrschaftspolitik.

Das jedenfalls ist Konsens auf der "Friedenskonferenz", die das rechtspopulistische Magazin Compact am Samstag veranstaltet. Zu den Rednern zählen etwa der Präsident der russischen Eisenbahn und enger Vertrauter Putins, Wladimir Jakunin, Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer, der kaum eine Verschwörungstheorie unverbreitet lässt, Alexander Gauland, Brandenburg-Chef der Alternative für Deutschland – und eben Egon Bahr.


"Ich habe lange überlegt, ob ich etwas sagen soll", sagt Bahr. Warum er es dann doch getan hat, warum er überhaupt zu dieser Veranstaltung gekommen ist, bleibt sein Geheimnis. Bahr, immerhin so etwas wie eine lebende Legende der SPD, war Berater der Regierung unter Willy Brandt und gestaltete die Ostpolitik Deutschlands mit ihrer Leitlinie "Wandel durch Annäherung" entscheidend mit. Dass er nun also hier steht und an seiner Zigarette zieht, lässt sich als politische Aufwertung der ganzen Veranstaltung verstehen – oder besser: missverstehen.

Denn auf einer Linie mit seinen Vorrednern liegt Bahr nicht. Kurz vor der Pause geht er spontan auf die Bühne, niemand hatte seine Rede eingeplant: "Es gibt einige, die sich vor Russland fürchten. Ich glaube zwar nicht, dass man das muss, aber ich kann es verstehen", sagt er. Vor diesem speziellen Publikum, fast 800 Menschen sollen es laut Veranstalter sein, ist das ein geradezu revolutionäres Bekenntnis.  

Krude Theorien über Coca Cola, die Weltherrschaft und Impfstoffe

69 Euro kostet ein Ticket für diese Konferenz. 350 Euro für jene, die nahe bei ihren politischen Idolen in der ersten Reihe sitzen wollen. Ein Preis, den viele gerne zahlen. Zum einen, weil sie glauben, dass "den Medien" nicht mehr zu trauen sei und sie nur über solche Veranstaltungen wahrhaftige Informationen bekämen. Zum anderen, weil es sich über die Wahrheit, die hier alle zu kennen glauben, nirgendwo sonst ungestört mit Gleichgesinnten austauschen lässt.

So kritisch die Konferenzteilnehmer gegenüber der Berichterstattung klassischer Medien sind, so selbstverständlich übernehmen sie Erklärungsmuster, wie sie in Compact oder vom Kopp-Verlag verbreitet werden. Zum Verkauf liegen in der Lobby einschlägige Bücher bereit: Sarrazin natürlich, Udo Ulfkotte mit seinem vermeintlichen Enthüllungsbuch Gekaufte Journalisten und diverse Tiraden gegen Euro und EU, gerne aus der Feder von AfD-Vize Hans-Olaf Henkel.

Eine Frau hat gleich einen ganzen Stapel Compact-Magazine unter dem Arm. Die Titel sind vor allem meinungsstark. Steinmeier, der Kriegsminister, Netanjahu, der Völkermörder, Merkel in US-Uniform. "Wie soll Jürgen Elsässer weiter die Menschen aufklären können, wenn kaum jemand die Hefte kauft?", fragt sie. Und aufzuklären gebe es noch eine ganze Menge. Wenig bekannt sei zum Beispiel, dass die USA Cola und Fastfood erfunden hätten, weil deren Inhaltsstoffe Abwehrmechanismen des Körpers ausschalten, so dass Umweltgifte ungehindert ins Gehirn gelangen können. "Wie sonst will man es schaffen, 80 Prozent der Menschen ruhig zu stellen?", fragt sie weiter und ist ehrlich besorgt, dass über diesen Skandal bisher noch kaum berichtet wurde.