Formel-1-Syndrom — Sebastian Vettel: „Wir müssen über den Schatten springen!“

Formel-1-Syndrom — Sebastian Vettel: „Wir müssen über den Schatten springen!“.001

Eine Manöverkritik aus aktuellem Anlass.

Von Andreas Weber

Über 200.000 Menschen wurden rund um den Grand Prix in Monaco zur Formel 1 befragt. Das Ergebnis ist eindeutig: Zu teuer, zu technisch, zu langweilig. Sebastian Vettel muss im Interview per ARD Morgenmagazin am 3. Juli 2015 gesendet, unverblümt zugeben, dass man sich im Rennzirkus wohl zu sehr mit sich selbst beschäftige. Und zuwenig mit den Zuschauern. Die Interessen der Veranstalter und Rennställe decken sich nicht mehr mit denen der Zuschauer. Die Fahrer leiden darunter, wie Sebastian Vettel und andere Rennfahrer einräumen. Vettel empfiehlt, zu überdenken, was man da tue. Und fordert auf, über den eigenen Schatten zu springen.

Das ist eine Steilvorlage, um im Rennen um werthaltige Kommunikation seine Position zu überdenken. Und das betrifft uns alle. In den letzten Wochen tun sich geradezu Abgründe auf, da auf breiter Front das Ziel verfehlt wird. Und der Dilettantismus Oberhand gewinnt. Beispiel: Die Messe Nürnberg schafft es mit der CO-REACH als Fachmesse für Dialogmarketing (mit Fokus auf Print, Online, Crossmedia) einen Dialog über das Messegeschehen gar nicht erst stattfinden zu lassen. Fast tragik-komisch: Auf Facebook lässt die Messegesellschaft auf der CO-REACH-Seite Bilder von Vorträgen posten, die Chart-Inhalte zeigen, die sagen, worum es heute geht, wenn man Erfolg haben will: Dialoge über Social Media führen, Bloggen als aktive Form der qualifizierten Kommunikation nutzen, um Dialoge zu initiieren, die Interaktionen in Gang setzen u.v.m. — Doch nichts davon passiert. Es gab bis zum Messeende am 25. Juni 2015 kaum likes oder Re-Tweets. Scheinbar verfolgt auch niemand im Management der Messegesellschaft, was da vor sich geht, ebenso wenig auf Twitter. Hier war die Messe Nürnberg so clever, gleich verschiedene Hashtags zu initiieren, statt nur einen. Folge: Die Resonanz versickert bzw. bleibt aus. Es interessiert kaum jemanden. Dies wird noch übertroffen durch Fachmedienpartner der CO-REACH, die emsig-bemüht, aber ziemlich amateurhaft agieren. Gerade, wenn man mit Kritik aufwartet. So geht es, wenn Printmagazine meinen, Online- und Social-Media-Kommunikation zu beherrschen, indem man klassisch Meldungen pusht und auf Feedback in Echtzeit gar nicht erst vorbereitet ist. Zugleich ist natürlich eine große Angst vorhanden, die Kontrolle zu verlieren.

Kommunikation: Ein Milliarden-Euro-Grab?

Spannend: Die Aussteller, die viel Geld für ihre Messebeteiligung ausgeben, lässt das völlig kalt. Sie bekommen es nicht mit, weil Sie unter dem oben beschriebenen Formel-Eins-Syndrom leiden. Dabei hätte man auf der CO-REACH nur zuhören müssen. Ausreichend qualifizierte Vorträge wurden geboten. Allen voran der von Mr. Media, Thomas Koch, aka @ufomedia. Er verzichtete auf Charts, und las der Branche besonnen, aber zielgenau die Leviten. Sein Thema: „Das Ende der Werbung“. Fazit: Nichts ist mehr, wie es war. Die Medien und die Werber haben nicht im Ansatz verstanden, was heute vor sich geht. Und profitieren davon, dass ihre Kunden es zumeist auch nicht besser wissen. Übrigens: Von der Rede von Thomas Koch konnte man nur Kenntnis erhalten, weil er im Anschluss an seinen Vortrag selbst wirksam darüber kommunizierte. Per Twitter und Facebook teilte er den Link zur Videoaufzeichnung seines Vortrags.

Dazu passt bestens eine weitere Beobachtung von Thomas Koch: Die Rolle von Chefredakteuren der Medien wurde von der Bloggerszene übernommen. News werden über uns alle nicht nur kolportiert, sondern qualifiziert wie auch emotionalisiert bewertet. Das Dilemma aber ist: Es wird soviel Geld für Kommunikation ausgegeben wie nie zu vor. Und noch nie wurde so wenig Wirkung wie heute damit erzielt. Angeblich fehle es an validen Messgrößen, weshalb sich Google und Facebook verbiegen, um mit den Mediaexperten ins Gespräch zu kommen, weil sich die Auftraggeberschar mehrheitlich noch auf deren Rat verlässt. Jeder, der Begriffe wie „Content Marketing“ oder „Targeting“ nur einigermaßen richtig aussprechen kann, erhält einen Auftrag. Unabhängig davon , ob die tatsächlich erreichbaren Möglichkeiten sinnvoll ausgeschöpft werden.  Beispiel: Social Media-Projekte werden in Unternehmen zu gerne über die Werbeabteilung per Outsourcing an „Agenturen“ vergeben, deren Wissen und Können oft nur darin besteht, per neuen Technologien die gleichen alten Push-Inhalte unters Volk zu bringen wie vorher auch schon. So entstehen Facebook-Seiten, die keine Interaktion hervorrufen. Und auch Facebooks Stärke, das beste Targeting zu bieten, gar nicht richtig nutzen. Per Blog-Technik entstehen Corporate Blogs genannte Sub-Websites, die per „Copy and Paste“ Inhalte erfassen, die längst ubiquitär sind und daher vielerorts im Netz schon aufgetaucht sind. So zahlen Kunden für angebliche Blogs, die streng genommen gar nicht der Bloggerkultur entsprechen, weil die Inhalte weder persönlich noch exklusiv sind; und somit zu keiner nutzbringenden Meinungsbildung führen können. Das geht alles bis dato soweit gut, weil der Auftraggeber es nicht bemerkt. Oder, weil kritische Geister, die es bemerken, sich in den Firmen ducken, weil angeblich die konservative Firmenstruktur es nicht anders zulasse. Oh je…

Stats co-reach Christian Kopocz 25062015 1716h

CO-REACH: Ziel verfehlt! Am Ende der Messe in Nürnberg gab es kaum Resonanz per Social Media.

Liebe Leute, ganz ehrlich: Ich bin in meiner Kritik noch zurückhaltend bis zaghaft. Es ist schlimm. Der blanke Irrsinn, was da auf breiter Front geschieht. Hört doch einfach auf Thomas Koch. Und auch auf Sebastian Vettel. Überdenkt, was ihr tut. Stellt es in Frage. Lernt dazu. Und besinnt Euch darauf, worum es geht: Kommunikation werthaltig zu gestalten. 

EMPFEHLENSWERT:
Videoaufzeichnung des Vortrags von Thomas Koch “Das Ende der Werbung”

PS: Rückblick

Die Besucherzahlen der CO-REACH sind übrigens gegenüber 2014 kaum gestiegen: 6.000 Besucher aus 12 Ländern vermeldet die Messe Nürnberg per 26. Juni 2015. 2014 waren es 5.778 Besucher aus 20 Ländern. Und 2009, als die CO-REACH noch Mailingtage hieß, war es 8.150 Besucher. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/CO-REACH sowie http://www.marketing-boerse.de/Fachartikel/details/Abschlussbericht-mailingtage-2009-%96-Erfolgreich-am-Puls-der-Zeit/17235

Dies Ausstellerzahl war 2015 mit 266 gegenüber 2014 leicht rückläufig, da waren es noch 269 Aussteller. 2009 wurden noch 400 Aussteller vermeldet.

3 comments
  1. Christian Kopocz (prindoz.com) said:

    Es ist schon wirklich müßig die vielseitigen Gründe des Versagens zu beleuchten. Der Social Media Diskussion um die Mailingtage, entschuldigung: CO-REACH durfte ich ja beiwohnen. Die Abgründe allein hier sind unbeschreiblich. Doch was passiert im Hintergrund. Dilletantisch agierende Mitarbeiter werden sich wahrscheinlich noch nicht einmal schämen, denn sie sind sich partout keiner schuld bewußt. Notfalls wird auf die nächstgelegene Führungsperson oder das System im Unternehmen allgemein verwiesen. Nie ist jemand schuld, nie interessiert sich jemand dafür. Geredet wird viel, gemacht nicht nur nichts, sondern mit aller Kraft dagegengesteuert.

    Ich möchte nicht wissen, wieviel Kraft und Energie hier in den Niedergang investiert wird, wo doch die andere Richtung vielversprechender wäre. Eventuell liegt der Kern des Dilemmas genau hier. Studien beweisen daß die Verlustangst deutlich größer ist, als der Anreiz bei mehr Einsatz einen Gewinn zu verbuchen. (http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article141017492/Aus-Bestrafungen-lernen-Menschen-deutlich-schneller.html)

    Gerade die Marketingabteilungen kennen das, die Zeit in der ein Posten besetzt ist liegt bei weniger als 2 Jahren. Da bleibt gerade Zeit sich gemütlich einzurichten und mit der Kaffeemaschine und den Pausengewohnheiten zu beschäftigen, Urlaub zu planen und schon will auch das für die VITA so wichtige nächste Pöstchen anvisiert werden. Dazwischen hat doch tatsächlich jemand gewagt über werthaltige Kommunikation, soziale Netzwerke und weiteren Schnick Schnack zu predigen. Wer wil sich schon nachsagen lassen, oder eben jetzt genau durch Auswertungen belegen lassen, was in den vergangenen Monaten, Jahren eben NICHT oder FALSCH gemacht wurde.

    Da wird sich geduckt und anstatt das NEUE aufzunehmen, einzusetzen und auf der Erfolgwelle die Versäumnisse der Vergangenheit einfach untergehen zu lassen, passiert – klassisch deutsch – NICHTS.

    Im Beschweren sind diese “Experten” ganz groß, Meetings über Meetings, steets gestresst und scheinbar dankbar für jede “Agentur”, die sich als Heilsbringer mit fadenscheinigen Copy & Paste – WIR MACHEN DIR SOCIAL SCHÖN – Gedanken. In der Tat wird Geld für Werbung ausgegeben. Das falsche Wort: verbrannt.

    Klar passen die vielen neuen Kanäle der letzten Jahre schwerlich in die antiquierten Schubladen der Werbung. Doch wann gedenkt jemand mal auszusteigen? Multichannel offeriert so viel, Mobile weißt den weg, neue Generationen fordern es ein. Doch es passiert einfach zu zögerlich, zu wenig.

    Innovationsverweigerer so weit das Auge reicht.

    Fangen wir doch endlich mal as relevante, interessante Inhalte zu veröffentlichen, Geschichten die packen,berühren – Storytelling nennt man das neudeutsch. – Siehe da, das Publikum findet zu uns. Denn das Publikum bestimmt seit geraumer Zeit wann, was und wie es Informationen an sich heranläßt. Schon gemerkt?

    P.S. Eine Randbemerkung zur CO-REACH. Die wenigen Schnipseldialoge über Twitter, welche nach absichtlich provozierenden Tweets auch durch mich herausgekitzelt wurden, sind beispielgebend für eine Medienlandschaft, die nicht nur Einheitsinhalte durch Copy und Paste viertverwertet und sich dann noch wundert das es jemand ließt, geschweige denn darauf gefasst ist, was passiert wenn sich das Publikum zu Wort meldet. Ist es der Mindestlohn? Ist es der debile Praktikant? Die ewig gestrigen an der Spitze?…

    http://www.twitter.com/prindoz – diskutieren wir. gerne provokant. aber stets ehrlich.

    Ihr

    Christian Kopocz

  2. Christian Kopocz (prindoz.com) said:

    Es ist schon wirklich müßig die vielseitigen Gründe des Versagens zu beleuchten. Der Social Media Diskussion um die Mailingtage, entschuldigung: CO-REACH durfte ich ja beiwohnen. Die Abgründe allein hier sind unbeschreiblich. Doch was passiert im Hintergrund. Dilletantisch agierende Mitarbeiter werden sich wahrscheinlich noch nicht einmal schämen, denn sie sind sich partout keiner schuld bewußt. Notfalls wird auf die nächstgelegene Führungsperson oder das System im Unternehmen allgemein verwiesen. Nie ist jemand schuld, nie interessiert sich jemand dafür. Geredet wird viel, gemacht nicht nur nichts, sondern mit aller Kraft dagegengesteuert. Wenigstens dies geschieht konsequent und kontinuierlich.Schon beachtlich.

    Ich möchte nicht wissen, wieviel Kraft und Energie hier in den Niedergang investiert wird, wo doch die andere Richtung vielversprechender wäre. Eventuell liegt der Kern des Dilemmas genau hier. Studien beweisen daß die Verlustangst deutlich größer ist, als der Anreiz bei mehr Einsatz einen Gewinn zu verbuchen. (http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article141017492/Aus-Bestrafungen-lernen-Menschen-deutlich-schneller.html)

    Gerade die Marketingabteilungen kennen das, die Zeit in der ein Posten besetzt ist liegt bei weniger als 2 Jahren. Da bleibt gerade Zeit sich gemütlich einzurichten und mit der Kaffeemaschine und den Pausengewohnheiten zu beschäftigen, Urlaub zu planen und schon will auch das für die VITA so wichtige nächste Pöstchen anvisiert werden. Dazwischen hat doch tatsächlich jemand gewagt über werthaltige Kommunikation, soziale Netzwerke und weiteren Schnick Schnack zu predigen. Wer wil sich schon nachsagen lassen, oder eben jetzt genau durch Auswertungen belegen lassen, was in den vergangenen Monaten, Jahren eben NICHT oder FALSCH gemacht wurde.

    Da wird sich geduckt und anstatt das NEUE aufzunehmen, einzusetzen und auf der Erfolgwelle die Versäumnisse der Vergangenheit einfach untergehen zu lassen, passiert – klassisch deutsch – NICHTS.

    Im Beschweren sind diese “Experten” ganz groß, Meetings über Meetings, steets gestresst und scheinbar dankbar für jede “Agentur”, die sich als Heilsbringer mit fadenscheinigen Copy & Paste – WIR MACHEN DIR SOCIAL SCHÖN – Gedanken unberechtigt in den Vordergrund und auf die Zahlungsliste schreiben. In der Tat wird Geld für Werbung ausgegeben. Das falsche Wort: verbrannt.

    Klar passen die vielen neuen Kanäle der letzten Jahre schwerlich in die antiquierten Schubladen der Werbung. Doch wann gedenkt jemand mal auszusteigen? Multichannel offeriert so viel, Mobile weist den Weg, neue Generationen fordern es ein. Doch es passiert einfach zu zögerlich, zu wenig.

    Innovationsverweigerer so weit das Auge reicht.

    Fangen wir doch endlich mal as relevante, interessante Inhalte zu veröffentlichen, Geschichten die packen,berühren – Storytelling nennt man das neudeutsch. – Siehe da, das Publikum findet zu uns. Denn das Publikum bestimmt seit geraumer Zeit wann, was und wie es Informationen an sich heranläßt. Schon gemerkt?

    P.S. Eine Randbemerkung zur CO-REACH. Die wenigen Schnipseldialoge über Twitter, welche nach absichtlich provozierenden Tweets auch durch mich herausgekitzelt wurden, sind beispielgebend für eine Medienlandschaft, die nicht nur Einheitsinhalte durch Copy und Paste viertverwertet und sich dann noch wundert das es jemand ließt, geschweige denn darauf gefasst ist, was passiert wenn sich das Publikum zu Wort meldet. Ist es der Mindestlohn? Ist es der debile Praktikant? Die ewig gestrigen an der Spitze?…

    http://www.twitter.com/prindoz – diskutieren wir. gerne provokant. aber stets ehrlich.

    Ihr

    Christian Kopocz

  3. Auf den Punkt gebracht. Danke für diese wunderbaren Ergänzungen, lieber @ChristianKopocz.

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