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  3. Sicher, günstig, immer voll: Zu Gast in New Yorks Frauen-Hotel

ICONIST New York

In diesem Hotel dürfen nur Frauen einchecken

Frauen aus der ganzen Welt lieben das Hotel „Webster“ in New York: Die Zimmer sind sicher, preiswert, immer restlos ausgebucht. Und nur zu haben, wenn der weibliche Gast auch einen Job vorweisen kann.

Es dauert ein paar Tage, bis man sich daran gewöhnt hat, morgens im Fahrstuhl ausschließlich verschlafenen Frauen zu begegnen. Sämtliche Nationen im Pyjama oder Snoopy-Boxershorts, die zu Ugg-Boots kombiniert werden. Dann stellt sich Erleichterung ein, weil die Abwesenheit von maskuliner Energie irgendwie entspannt, nicht nur optisch. Schon bald schreit man laut auf, weil einem männliches Putzpersonal auf der Toilette begegnet. Ein bisschen erinnert der Aufenthalt in der Frauenresidenz auf der 34. Straße an die amerikanische Komödie „Die Frauen“ von George Cukor aus dem Jahr 1939, in der ausschließlich weibliche Darsteller mitspielen.

„The Webster“ ist eine „Not for Profit Women’s Residence“, eines der letzten seiner Art. Seit 1923 bietet man hier arbeitenden jungen Frauen eine sichere und preiswerte Unterkunft, bis heute ist es immer zu 99 Prozent ausgebucht. Und das, ohne jemals Werbung gemacht zu haben. Zwei Brüder, Charles und Josiah Webster, kamen damals auf die Idee, unverheirateten Frauen in New York eine sichere, bezahlbare Unterkunft zu bieten, in der sie zweimal täglich eine gesunde Mahlzeit bekommen. Die Websters waren Cousins von Roland H. Macy, dem Kaufhausgründer. Ende des 19. Jahrhunderts kamen sie nach New York City, um von Macy alles über den Handel zu lernen, und sahen dort die vielen jungen Kassiererinnen bei Macy’s, die genau solch eine Unterkunft nötig hatten.

Bekannt und beliebt auf der ganzen Welt

Heute ist das Haus unter Praktikantinnen weltweit bekannt und beliebt. Die meisten Einrichtungen dieser Art wurden mittlerweile geschlossen oder können bei Sicherheit und Standard nicht mithalten. Eine Unterkunft der Heilsarmee gilt als eher unsicher. Da würden seltsame Typen auf den Gängen rumschleichen, erzählen sich die Mädchen im Frühstücksraum beim Porridge. Zurzeit wohnen hier über 60 Prozent Deutsche, andere kommen aus den Niederlanden, Großbritannien. Getrennt ist man voneinander nur durch eine Wand, man hört sich. Aber Vera, 23 und aus Aschaffenburg, wohnt hier seit vier Monaten. Und sagt: „Alles, was ich brauche, ist ein Zimmer. Ich fühlte mich nie durch eine Zimmernachbarin gestört.“

Für ein winziges Zimmer in der Stadt zahlt man zum Teil 3000 Dollar, für ein Sandwich zwölf. Wer kann sich das leisten als Berufsanfängerin? Hinzu kommt die Sorge der Eltern, die Tochter alleine in die Stadt zu schicken, die angeblich niemals schläft. Im „The Webster“ kann man ruhig schlafen. Es gibt zwar keine Sperrstunde, aber ab Mitternacht ist die Tür abgeschlossen und man wird vom Portier reingelassen. Die zwei Eingänge sind rund um die Uhr von Kameras überwacht. Männer haben nur im Erdgeschoss und im Garten Zutritt, niemals in den Zimmern. Davon gibt es fast vierhundert, alle Einzelzimmer. Die Woche kostet 335 Dollar, inklusive zwei Mahlzeiten, für ein Zustellbett für die Mutter oder Freundin, kommen 50 Dollar die Nacht hinzu. Ein Schnäppchen für New Yorker Verhältnisse.

Residieren in Hell’s Kitchen

Wenn die Heizung nicht funktioniert, ruft man bei der Rezeption an und zwei Minuten später kommt ein Handwerker und repariert sie. Handtücher werden gewechselt, die Betten gemacht, allerdings nur dann, wenn es auf dem Laken nicht zu chaotisch aussieht, wie ein Infoblatt mitteilt. So viel Erziehung muss sein. Weder Kaffeemaschinen noch Wasserkocher, Kerzen oder gar ganze Kühlschränke sind im Zimmer erlaubt, auch kein Geschirr aus dem Speisesaal. Während der Mahlzeiten kann man sich Getränke in einen mitgebrachten, verschließbaren Plastikbecher abfüllen. Es gibt viele Regeln, aber nicht mehr als in jeder Jugendherberge. Einzige Bedingung für die Bewerberinnen: eine Vollzeitbeschäftigung in New York, sei es ein Job oder ein Praktikum. Das „The Webster“ ist unabhängig, nicht religiös und trotz seiner fast hundert Jahre modern.

Dafür sorgt auch Siobhan McManus, die hier seit zwei Jahren Direktorin ist. Das zwölfstöckige Backsteinhaus liegt genau wie damals in der 34. Straße in Midtown, unweit der Metrostation Penn Station. Die Gegend nennt sich Hell’s Kitchen, was aufregender klingt, als es heute ist: Ein Block neben der Frauenresidenz sieht man schon mal Heidi Klum für das Vorsingen bei der Talentshow „America’s Got Talent“ aus einer Limousine steigen, Starbucks an jeder Ecke, Zara und natürlich das legendäre Kaufhaus Macy’s.

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Direktorin war die Renovierung der alten Bibliothek, auf die die Gründer viel Wert legten. „Daran hat sich auch nichts geändert“, sagt McManus, „man muss sie nur auf den Standard des 21. Jahrhunderts bringen.“ Heute wird in erster Linie digital gelesen und auch wenn weiterhin Bücher die Regale an den Wänden füllen, wurden vor allem die Tische zeitgemäß mit Steckdosen für Laptop und Handy ausgestattet.

Kickstart, um es nach New York zu schaffen

Es ist kein Fünf-Sterne-Hotel, aber eine bezahlbare Unterkunft mit sauberen Duschen und Toiletten auf jedem Gang. Oder wie die Direktorin sagt: ein Kickstart, um einen Fuß in die Tür von New York City zu bekommen. Wie zum Beispiel Diana, 23, aus Massachusetts, sie ist Studentin an der „Circle of the Square Theatre School“ auf dem Broadway und macht eine zweijährige Ausbildung zur Musicaldarstellerin. Ihre Traumrolle? Einmal Cinderella spielen. Bis es so weit ist, verkauft sie an vier Abenden die Woche Tassen und T-Shirts bei Araca, eine der größten Theater Merchandising-Firmen. Oder schaut an ihrem freien Abend einen Film im Kinoraum.

Es muss nach einer Woche sein, dass man sich, während man sich spätabends in Filzpuschen noch einen Schokoriegel zieht, bei dem Gedanken ertappt, dass es doch okay ist, so ein Leben ohne Männer. Vielleicht wäre die Welt friedlicher, wenn es weder Eifersucht noch Besitzanspruch, noch gekränkte Eitelkeiten wegen einem Kerl gäbe. Doch spätestens auf der Fahrt zurück in den elften Stock ist man geheilt von dieser tristen Fantasie. Ein Mädchen chattet live im Lift mit geöffnetem Laptop mit ihrem Boyfriend zu Hause. Hach.

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Im Erdgeschoss gibt es außerdem sechs sogenannte „The Beau Parlors“, wo man seine männlichen Verehrer oder amtlichen Freunde einladen darf. Die gab es schon damals, aber jetzt wurden sie liebevoll renoviert und haben Namen wie „Marlene Dietrich“ (mit goldener Decke) oder „Casanova Room“, mit venezianischen Motiven und grün-goldenem Teppich. Die Direktorin hat sie mit tonnenweise DVDs und Flatscreens ausgestattet. „Wir wollen den Frauen ein ‚home away from home‘ bieten!“ Verwöhnt wird hier zwar niemand, aber für eine behagliche Atmosphäre gesorgt.

Im Sommer veranstaltet man Barbecues im Garten, an Ostern wird dekoriert, man kann am wöchentlichen Fitclub im Bryant Park oder am kostenlosen Karriere-Coaching im Haus teilnehmen. Das Highlight des Hauses aber ist die Dachterrasse mit Blick über New York, auf der nicht nur in diesem Jahr 800 Tulpen gepflanzt wurden, sondern auch geraucht werden darf. In der Lobby hängt die Welcome-List, auf der die Neuen namentlich begrüßt werden, mit der Info, wo sie ihr Praktikum machen. Von Marc Jacobs über Mercedes Benz bis zum New Museum ist alles dabei.

Einmal pro Woche wird zur Movie-Night im frisch renovierten Saal im Erdgeschoss geladen. Circa sechzig Girls hocken auf den Dielen der „Pink Hall“, zwischen all den Frauen ein junger, männlicher Gast, etwas ungelenk im Schneidersitz und sichtlich um Fassung ringend. Heute wird „Breakfast at Tiffany’s“ gezeigt. Mehr New York geht nicht!

Wie eine strenge Mutter

„Meistens bringen die Eltern ihre Töchter. Sie freuen sich zu sehen, dass die hier gut und sicher aufgehoben sind”, erzählt die Direktorin. Während die Mütter helfen, die tonnenschweren Koffer aufs Zimmer zu hieven, wartet ein Vater gemütlich auf einem der Sofas in der Lobby. Dort sitzen auch vier Deutsche, die heute abreisen. Eine von ihnen präsentiert aufgekratzt ihre Shopping-Beute: grüne Strings von Victoria’s Secret. Der wartende Herr versucht möglichst unbeteiligt zu wirken und betet vermutlich, dass seine eigene Tochter in ihrer Freizeit kulturträchtigere Orte besichtigen wird als eine Dessous-Boutique.

Wochenendstimmung: In den Fahrstühlen tragen die Mädchen unbeirrt ihre Schmutzwäsche umher, man schnappt Gespräche auf à la: „Jenny hat noch Schwarz, dann machen wir eine Maschine zusammen.“ Es wird gefragt, ob die eine der anderen ein Top leihen kann für den Abend. Die ohne Freund suchen „Husband Material“. Jedenfalls kursiert das Gerücht eines Morgens im Frühstücksraum. Beim Frühstück sitzt man zusammen und redet über die privatesten Dinge. So wie man an einem Urlaubsort mit Wildfremden alles teilt, weil man weiß, dass man sich danach nie wieder sehen wird.

Manche jedoch finden Freundinnen fürs Leben, wie die drei Frauen, die sich im „Webster“ kennenlernten und nach fünf Jahren (die maximale Aufenthaltsdauer) zusammen eine Wohnung in New York nahmen, erzählt McManus. „Wir schmeißen niemanden raus, aber nach Ablauf des Praktikums oder eben spätestens nach fünf Jahren, müssen die Frauen ausziehen.“ Der Verdienst wird regelmäßig überprüft, weil es kein billiger Wohnort sein soll für Großverdiener, sondern eine faire Chance für jede Einzelne.

Viele checken hier auch nach einer Scheidung ein, um einen Neuanfang zu wagen und erst mal etwas Geld zu sparen. Eine bekam während ihres Aufenthalts Krebs. Das „Webster“ sei der beste Ort gewesen, um das zu überleben, sagte sie. Viele Geschichten, manches Schicksal, Hoffnung, Hummeln im Hintern und Lust aufs Leben wohnen hier unter einem Dach. Das „The Webster“ bleibt ruhig wie eine strenge Mutter: alles unter Kontrolle, aber das Herz auf dem rechten Fleck.

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