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Gesellschaftskritiker Byung-Chul Han Wir Facebook-Kapitalisten

"Das Individuum wird zum Geschlechtsteil des Kapitals": Der Gesellschaftskritiker Byung-Chul Han lässt in seinem jüngsten Buch wenig Gutes am Neoliberalismus. Seine These: Die Freiheit wird missbraucht - um uns alle auszubeuten.
Philosoph Byung-Chul Han: "Neoliberalismus ist der Kapitalismus des Gefällt mir"

Philosoph Byung-Chul Han: "Neoliberalismus ist der Kapitalismus des Gefällt mir"

Foto: S. Fischer Verlag

"Du bist Deutschland" wurde uns noch vor wenigen Jahren im Fernsehen zugerufen - eine Motivationsspritze für den kleinen Mann und die kleine Frau, um als arbeitsames, pflichtbewusstes, stets innovatives und, ach ja, teamfähiges Individuum dem großen Ganzen zu dienen.

Während Michel Foucaults "Disziplinargesellschaft" noch von klaren Hierarchien ausging, ist in der Projektgesellschaft jeder Einzelne Unternehmer und Arbeitgeber zugleich. Man sollte nun meinen: Die Summe der sich selbst organisierenden Ich-AGs brächte allen mehr Freiheit. Doch dem ist nicht so, wie uns der in Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han in seinem erhellenden Essayband "Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken" vor Augen führt.

"Das neoliberale Regime verwandelt die Fremdausbeutung in die Selbstausbeutung", schreibt er. Wir sind auf ständige Selbstoptimierung getrimmt und treiben Raubbau am eigenen Geist und Körper. Für die Profiteure mag dies weitaus effizienter sein als jener Klassenkampfkapitalismus, den noch Marx beschwor. Gleichwohl verwirft der 1959 in Südkorea geborene Denker das marxistische Konzept nicht, sondern denkt es konsequent weiter. Wo die schrankenlose Konkurrenz den Markt beherrscht, nährt die Freiheit das monetäre Wachstum. "Somit wird das freie Individuum zum Geschlechtsteil des Kapitals degradiert."

Han spart nicht mit harten Worten, um den Leser vor dem drohenden Untergang des Abendlandes zu warnen. Aus einer Melange aus Heidegger, Foucault und Adorno entwirft er eine kulturkritische Diagnose, die in Zeiten von Cyberspionage und internationaler Überwachung die virulente Krise der Freiheit beschreibt.

Wissen ordnet uns in eine Herde blinder Wiederkäuer

Dabei knüpft er an seine letzten Werke an: Bereits in "Im Schwarm. Ansichten des Digitalen" (2013) und der "Transparenzgesellschaft" (2012) untersucht er den Organismus der digitalen Netzwerke und legt pointiert bedenkliche Metastasen frei. Es sind nicht allein die Datensammler der NSA und anderer, die ihm als Bedrohung eines verwesenden Liberalismus erscheinen. Es ist auch unser permanenter Drang zur Selbstausstellung, das stete Füttern von Pinnwänden und Blogs mit privaten Informationen.

Han beschreibt eine Gesellschaft, die ihr Sensorium für Intimität, Geheimnis und allen voran innere Besinnung verloren hat. Darin flottieren Informationen immer seichter. Wissen wird häppchenweise konsumierbar und derartig geglättet, dass es problemlos durch die digitalen Kanäle gejagt werden kann, wodurch unsere Gegenwart immer mehr an Beschleunigung gewinnt. Die Folge: Geistige Verarmung und eine allgemeine Konformisierung der Menschen. Wissen hebt uns nicht mehr ab, sondern ordnet uns in eine Herde blinder Wiederkäuer. Wer sich dem entzieht, den treffen sogleich Denunziation und Ausgrenzung.

Das Gesellschaftsklima ist rau und macht potenziell krank. Dies hatte der Autor auch 2010 in seiner "Müdigkeitsgesellschaft" bereits festgestellt. Überhaupt erweckt so manches in diesem impulsiven Werk den Eindruck, als wäre es einfach neu aufgewärmt. Wer dies glaubt, unterschätzt Hans Schreibprozess. Er nimmt in seinen Veröffentlichungen immer wieder verschiedene Fäden auf und webt sie stets engmaschiger zu einem einzigen Teppich zusammen.

Ärzte als Optimierer, Manager als Motivationstrainer

In der "Psychopolitik" verschmelzen Medien- und Kapitalismuskritik zum stimmigen Gesamtbild einer ebenso verblendeten wie durch fremde Mächte gelähmten Gesellschaft. Facebook mutet dafür immer wieder als symptomatisch an. Allen voran der "Like"-Button, von dem doch so viel demokratischer Glanz ausgeht, lässt uns zu Objekten einer subtil agierenden Informationsindustrie verkommen, da Big Data-Unternehmen jedwede Bewertung und Kundgebung zu sammeln und anschließend als Konsumentenprofile zu verkaufen wissen. "Der Neoliberalismus ist der Kapitalismus des Gefällt mir".

Mit teils polemischer Verve dekliniert Han durch, wie anstelle der körperlichen Kraft die Lenkung der Psyche zur wichtigsten Ressource im Produktionsprozess des 21. Jahrhunderts avanciert. So müssen sich Ärzte zunehmend als Optimierungshelfer und Manager als Motivationstrainer verstehen.

Selbst wenn der Kulturkritiker mithilfe seiner Vergleichs- und Sprachspiele manchmal doch allzu steile Thesensprünge wagt - etwa beim Versuch, dem Handy eine ähnlich reinigende Funktion wie einem Rosenkranz zuzuschreiben - trifft Han mit bestechender Präzision den Nerv der Zeit. Während sich die Geisteswissenschaft wegen ihres vermeintlichen Bedeutungsverlusts in Larmoyanz flüchtet, offenbart Han souverän und wortstark, welch zentrale Rolle sie eigentlich spielen könnte: die des Mahners und kritischen Beobachters ihrer Zeit.

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