Berlin und Rostock sind die einzigen Städte, die keine Sperrverordnung haben

Das Scheunenviertel in Berlins Mitte war vor 100 Jahren das, was wir heute als sozialen Brennpunktkiez bezeichnen würden. Zwischen dem Hackeschen Markt und dem Rosa-Luxemburg-Platz ballten sich Prostitution und Kriminalität inmitten heruntergekommener Mietskasernen. Das berüchtigtste Lokal war die Mulackritze, berühmt vor allem für die Hurenstube im Hinterzimmer. Um 1920 blühte in dem Viertel das Geschäft der leichtbekleideten Damen, die ihre Freier oft in armselige Hinterhofkämmerchen mitnahmen. Es war die Zeit, in der in Deutschland erstmals der Begriff Rotlichtviertel auftauchte. Gemeint war damit eine Konzentration des Bordell- und Prostitutionsmilieus. Jahrzehnte später kamen in diesen Gegenden noch Sexshops, Striptease-Bars, Pornokinos und Animierbars dazu. Im Gegensatz zu den Rotlichtvierteln entstanden Sperrbezirke – festgelegte Gebiete, in denen alle Dienstleistungen rund um das Sexgewerbe verboten waren.

Genaue Zahlen zur Prostitution in Deutschland gibt es nicht. Die Schätzungen reichen von 150.000 bis 700.000 Prostituierten. Als gesichert gilt, dass 90 Prozent davon Frauen sind. Vor einem Jahr hat „Die Welt“ eine Rangliste der Hochburgen der Prostitution veröffentlicht. Die Zahlen basieren auf Schätzungen der Polizei in den Großstädten. Augsburg ist beim Thema Rotlicht der Spitzenreiter. Auf 100.000 Einwohner kommen in der bayrischen Stadt 244 Prostituierte. Ob es dort tatsächlich mehr Huren als in den anderen Kommunen gibt, ist jedoch fraglich. Prostitution auf der Straße ist dort verboten, das wird vom Kommissariat kontrolliert, genau wie das gesamte Rotlichtmilieu. Die hohe Zahl kann daher auf mehr Kontrollen zurückgeführt werden.

Berlin und München im Mittelfeld

Auf dem zweiten Platz liegt Trier mit 237, gefolgt von Nürnberg mit 225 und Erlangen mit 207 Prostituierten bezogen auf 100.000 Einwohner. Berlin und München liegen gemeinsam im Mittelfeld mit jeweils 200 Prostituierten. Hochgerechnet würde das bedeuten, dass in Berlin mindestens 7000 Damen ihre sexuellen Dienstleistungen anbieten. Am Ende der Skala der zehn Prostitutions-Hochburgen liegen Hannover (176), Saarbrücken (162) und Bremerhaven (150). Hamburg mit der berühmten Reeperbahn taucht überraschenderweise gar nicht unter den ersten zehn auf. Die Zahl der Prostituierten wird dort von der Polizei auf 2200 geschätzt, dass entspricht 122 auf 100.000 Einwohner.

Jedes Bundesland handhabt das Vorkommen, die Ausbreitung und die Kontrolle der Prostitution anders. Grundlage ist das jeweilige Polizeigesetz, in dem die Befugnisse der Polizei – zum Beispiel das Betreten und die Durchsuchung der Bordelle – sehr unterschiedlich geregelt sind. Jede Kommune kann die Prostitution mit ihren eigenen Instrumenten zulassen oder zurückdrängen. Das ist über Bebauungspläne, Sperrgebietsverordnungen und das Steuerrecht möglich.

Grundsätzlich ist Prostitution in Deutschland erlaubt. Mit dem Prostitutionsgesetz, das 2002 in Kraft trat, wurde die Sittenwidrigkeit weitgehend aufgehoben. Im Jahr 2011 wollte die Stadt Dortmund den Straßenstrich im gesamten Stadtgebiet verbieten lassen. Dieses Verbot wurde zwei Jahre später vom Verwaltungsgericht wieder aufgehoben – das Urteil gilt als Präzedenzfall für ganz Deutschland. Mehrere deutsche Städte haben mittlerweile einen streng kontrollierten Straßenstrich mit sogenannten Verrichtungsboxen eingeführt. Diese befinden sich oft am Rande der Städte in Industriegebieten. Dort stehen die Damen auf ausgewiesenen Parkplätzen, während die Freier im Kreis an ihnen vorbeifahren. Haben sie sich ein Mädchen ausgesucht, lassen sie es in das Auto einsteigen und fahren mit ihm in die Verrichtungsbox. Diese haben die Anmutung eines Carports. Sie sind an drei Seiten geschlossen, damit die Frauen die Box im Notfall verlassen können. Köln war die erste Stadt, die das Modell einführte und auch als Erfolg bewertete. Vor allem ist es eine Möglichkeit, um die Kriminalitätserscheinungen, die oft mit dem Rotlichtmilieu einhergehen, zurückzudrängen.

Zum Schutz von Anwohnern und Jugendlichen hat der Gesetzgeber Sperrbezirke festgelegt, in denen es keine sexuellen Dienstleistungen geben darf. Das gilt grundsätzlich für das gesamte Gebiet von Gemeinden bis 22.000 Einwohner. In Städten und Bezirken mit mehr als 50.000 Einwohnern ist die Prostitution zugelassen, dort können aber Sperrbezirke für begrenzte Gebiete festgelegt werden. In Frankfurt am Main ist die Prostitution zum Beispiel nicht in der Innenstadt erlaubt. In Baden-Württemberg herrscht ein grundsätzliches Verbot, in Gemeinden mit bis zu 35.000 Einwohnern der Prostitution nachzugehen und in Bayern und Thüringen in Gemeinden mit bis zu 30.000 Einwohnern.

Die einzigen Städte in Deutschland, die keine Sperrverordnung haben, sind Berlin und Rostock. Das heißt, dass es keine speziellen Regelungen für einzelne Orte und die Prostitution gibt. Eine bekannte Adresse in Berlin ist die Oranienburger Straße. Während die Touristen in den Straßencafés sitzen, stehen die Damen des Gewerbes am Straßenrand – ein Zustand, der bekannt und offenbar akzeptiert ist. Anders an der Kurfürstenstraße in Schöneberg. Dort treten immer wieder Konflikte zwischen Prostituierten und den Anwohnern auf.

Weltweit bekannt ist die Reeperbahn in Hamburg-St. Pauli, dort besonders die Herbertstraße und das Umfeld des Hans-Albers-Platzes. Weitere bekannte Rotlichtmeilen gibt es in Hannover im Steintorviertel, in Frankfurt am Main im nördlichen Bahnhofsviertel zwischen Taunusstraße und Niddastraße, in Bochum an der Gussstahlstraße, in Essen in der Stahlstraße, in Duisburg an der Vulkanstraße und in Dortmund an der Linienstraße. In Kiel ist im Hafen an der Straße Wall ein bekanntes Rotlichtviertel.

Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes und der damit einhergehenden Liberalisierung entstanden neue Großbordelle, sogenannte Sauna- und FKK-Clubs. In Berlin eröffnete 2005 das Artemis mit 3000 Quadratmetern und in Stuttgart 2006 das Paradise mit 5800 Quadratmetern. Die Großbordelle führten zu einem Verdrängungswettkampf des Straßenstrichs.