WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Gesundheit
  3. Psychologie
  4. Psychologie : Warum Sie in der Kantine essen, was Sie essen

Psychologie Psychologie

Warum Sie in der Kantine essen, was Sie essen

Woran liegt es, dass in der Kantine die längsten Schlangen stets beim Schnitzel, den Königsberger Klopsen oder Spaghetti Bolognese sind? Forscher haben gefragt, wie sich Hungrige entscheiden.

Bei diesem Anblick wird so manchem Betrachter wohl das Wasser im Mund zusammenlaufen: Langkornreis mit geschnetzeltem Kalbfleisch und Currysauce, versüßt mit Bananen- und Ananasstückchen und garniert mit gerösteten Mandelsplittern, direkt daneben ein saftiges Cordon Bleu vom Huhn. Stellen Sie sich vor, sie stünden in der Kantine: Für welches der beiden Gerichte würden Sie sich entscheiden? Und vor allem: warum?

Wissenschaftler unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin sind dieser Frage nachgegangen: Sie wollten wissen, wie wir vorhandene Informationen nutzen – darunter Aussehen, Preis und Inhaltsstoffe der Speisen – und wie sie unsere Entscheidungen, zum Beispiel bei der Wahl in der Kantine, beeinflussen. Das Ergebnis: Wir machen es uns möglichst einfach, indem wir die meisten der durchaus verfügbaren Informationen einfach ignorieren und uns stattdessen nur auf einige wenige konzentrieren.

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Die Berliner Wissenschaftler um Michael Schulte-Mecklenbeck führten dazu eine Studie mit 56 Teilnehmern durch – allerdings nicht in der Kantine, sondern im Labor. Die Probanden sahen mehrmals jeweils zwei Gerichte vor sich auf einem Computerbildschirm, zum Beispiel das Schweizer Reisgericht Riz Casimir und ein Cordon Bleu vom Huhn. Für eines davon sollten sie sich entscheiden.

Dabei halfen ihnen Bilder der Speisen genauso wie Informationen zu deren Name, Preis und Nährstoffen. Der Clou: Die Fotos und Infos waren verdeckt und konnten mit der Computermaus nur vorübergehend sichtbar gemacht werden – nämlich solange, wie die Teilnehmer die Maus gezielt über ein Feld mit einer bestimmten Information führten. Bewegte ein Proband den Mauszeiger beispielsweise auf das Feld „Cholesterin-Wert“, sah er diesen solange, bis er den Mauszeiger auf ein anderes Feld navigierte.

Aussehen einer Speise ist am wichtigsten

Die Wissenschaftler haben sich angeschaut, in welcher Reihenfolge die Testpersonen die Informationen abriefen und wie lange und wie oft sie sich eine Information anschauten. Daraus leiteten sie ab, wie wichtig den Teilnehmern eine bestimmte Eigenschaft ist. In mehr als 70 Prozent sei das Aussehen einer Speise das stärkste Merkmal gewesen, sagt Schulte-Mecklenbeck. Auch den Preis und Namen einer Speise hätten die Teilnehmer häufig als Entscheidungshilfen genutzt.

Dass gerade der visuelle Eindruck ausschlaggebend ist, kenne man schon aus der Konsumentenforschung und Werbebranche: Ein Bild ziehe die Aufmerksamkeit auf sich und gebe – wie im Fall der Berliner Studie – einen ersten Eindruck davon, ob ein Gericht gesund oder ungesund ist, ob es viele Kalorien hat oder nicht. Ist der Fisch beispielsweise paniert und die Kartoffeln von einer cremigen Sauce bedeckt, lasse das auf ein eher kalorienreiches Essen schließen, sagt Schulte-Mecklenbeck. Ein Blick auf die Liste der Inhaltsstoffe fiele damit bei vielen unter den Tisch.

Kein Teilnehmer hat rational entschieden

Interessanterweise hat keiner der Studien-Teilnehmer alle vorhandenen Informationen angeschaut – geschweige denn, sie gegeneinander abgewogen. So sähe aber eigentlich eine rationale Entscheidung aus. Stattdessen seien den Forschern zwei Gruppen aufgefallen: „Ein Teil der Studienteilnehmer nutzte sehr einfache Strategien: Sie suchten sich ein oder zwei Informationshäppchen heraus – zum Beispiel Aussehen und Preis – und trafen daraufhin ihre Entscheidung. Die anderen Teilnehmer machten zwar den Anschein, als wollten sie zu Beginn ihrer Suche alle vorhandenen Informationen nutzen, doch auch sie brachen ihre Informationsaufnahme vorzeitig ab“, sagt Schulte-Mecklenbeck.

Warum das so ist, erklärt Schulte-Mecklenbeck so: „Menschen greifen auf einfache Entscheidungsstrategien zurück, um ihren Alltag besser zu bewältigen.“ In unserem Leben würden wir so viele Entscheidungen treffen, dass wir mit rationalen Entscheidungen, bei denen wir alle Informationen gründlich abwägen müssten, einfach nicht hinterherkämen. Deshalb, so der Forscher, sei diese komplexe Herangehensweise in der Realität so gut wie nicht vorhanden.

Mehr Informationen bringen nicht unbedingt mehr

Die Ergebnisse der Berliner Studie decken sich Schulte-Mecklenbeck zufolge mit den Erkenntnissen der Entscheidungsforschung. Trotzdem laute die vorherrschende Meinung immer noch, dass mehr Information auch mehr nütze. Gerade die Politik handele nach dieser Vorstellung: Der mündige Bürger nehme alle vorhandenen Informationen auf, wiege sie gegeneinander ab und treffe so die für ihn optimale Entscheidung.

Anzeige

Dass dem nicht so ist, zeigt sich nicht nur in der Kantine, sondern auch im Supermarkt. Die Inhaltsstoffe und Nährwerte stehen oft kleingedruckt auf der Rückseite einer Verpackung – sie zu lesen dauert vielen ganz einfach zu lange. Die Information, die eigentlich da ist, findet keine genaue Beachtung und ist damit verschenkt.

Deshalb spricht sich Schulte-Mecklenbeck für einen Ansatz aus, den es so schon in anderen Ländern gibt, zum Beispiel in England: Bestimmte Informationen aus der Nährwerttabelle auf der Rückseite werden prominent auf die Vorderseite geholt. So könnten prägnante Mini-Infos auf ein Lebensmittel mit „wenig Zucker“ oder „viel Fett“ hinweisen. Das könnte letztlich dazu führen, dass wir uns nicht nur schnell, sondern öfter auch für gesündere Lebensmittel entscheiden.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema