Zusammenfassung:
Gegen einen Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der sowohl dienstlich mit Ermittlungen und Analysen zum Oktoberfestattentat als auch später zum NSU betraut war, ist nach Angaben der Bundesregierung ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Wie die Regierung dazu in ihrer Antwort (18/4584) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/4414) weiter schreibt, müssen „nähere Angaben im Sinne der Fragestellung“ aufgrund grundgesetzlicher Wertungen unterbleiben. Im Übrigen nehme die Bundesregierung „aufgrund der vom Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzverteilung zu Ländersachverhalten keine Stellung“. Die Fraktion hatte unter anderem wissen wollen, ob der Bundesregierung bekannt ist, ob und in welchen Fällen es zu Disziplinarverfahren gegen Beamte der Polizeibehörden und Verfassungsschutzämter des Bundes wie der Länder gekommen ist, die „sowohl dienstlich mit Ermittlungen und Analysen zum Oktoberfestattentat und später zum NSU betraut waren“.
Deutscher Bundestag
18. Wahlperiode
Drucksache 18/4584
10.04.2015
Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Sevim Dagdelen, Dr. Andre Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/4414-
Personelle Überschneidungen in Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen und Analysen zum Oktoberfestattentat und dem NSU-Komplex
Vorbemerkung der Fragesteller
In einer bemerkenswerten Übersicht beschäftigte sich der Bayerische Rundfunk mit Parallelen zwischen dem rechtsterroristischen Oktoberfestattentat und den Mordtaten des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU; vgl. „Oktoberfestattentat und NSU: Der Rechte Terror, der keiner sein durfte“, Bayerischer Rundfunk vom 31. Januar 2015, http://www.br.de/nachrichten! rechtsextremismus/oktoberfestattentat-nsu-gemeinsamkeiten-100 .html). Vor
dem Hintergrund offenkundiger Parallelen insbesondere in der Behandlung von Asservaten und Akten, verkürzten Ermittlungsansätzen, Verengung der Ermittlungen auf grund der so genannten Einzeltätertheorie und unzureichenden
Analysen in Bezug auf die ideologischen Hintergründe und die Praxis von neonazistischen Terrornetzwerken und -gruppen stellt sich die Frage nach personellen Überschneidungen in den zuständigen Ermittlungsbehörden und bei den
zuständigen Verfassungsschutzbehörden. Weiterhin muss vorausgesetzt werden, dass Polizei beamtinnen und -beamte in Thüringen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landesamt für Verfassungsschutz (LtV) von Thüringen
auch aus dem bayerischen Landeskriminalamt bzw. dem LtV Bayern rekrutiert wurden. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Beamtinnen und Beamte, die in bayerischen Strafverfolgungsbehörden und im bayerischen LtV dienstlich mit Vorgängen rund um das Oktoberfestattentat und die Wehrsportgruppe Hoffmann befasst waren, später dienstlich mit den fünf Morden des NSU in Bayern oder aber in Thüringen bei den Ermittlungen in der neonazistischen
Szene rund um den Thüringer Heimatschutz eingesetzt waren. Eine enge Zusammenarbeit des bayerischen und des thüringischen LtV erfolgte auch im Kontext der so genannten Operation Rennsteig, mit der in den 90er-Jahren
Neonazis, die in Thüringen aktiv waren, als V-Leute vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BtV) rekrutiert und Informationen über Verflechtungen zwischen der thüringisch-bayerischen Neonaziszene zwischen dem BtV sowie
dem LtV Bayern und dem LtV Thüringen geworben wurden (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14600). Karl-Heinz Hoffmann, der ehemalige Gründer und Anführer der Wehrsportgruppe Hoffmann, in der auch der einzige bislang bekannte Oktoberfestattentäter GundolfKöhler aktiv war, lebte in den 90er-Jahren zeitweise in der thüringischen Kleinstadt Kahla bei Jena (vgl. Andrea Röpke/ Bemy Vogl, „Rechte Glücksritter in Ostdeutschland“ in Antifaschistisches Infoblatt Nr. 2/2003, http://www.antifainfoblatt.de/artikel/rechte-gl%C3%BCcksritterostdeutschland). Tino Brandt, der langjährige neonazistische V-Mann des Thüringer LfV, hatte in Kahla ein Grundstück gepachtet, auf dem sich regelmäßig Aktivisten des Thüringer Heimatschutzes trafen (vgl. Frank Jansen „Gefahrliches Doppelspiel des Tino Brandt“, DER TAGES SPIEGEL vom 24. September 2014, http://www.tagesspiegel.de/politiklnsu-prozess-gefaehrlichesdoppelspiel-des-tino-brandtl10748744.html).
In beiden Rechtsterrorismuskomplexen, die zu den schwerwiegendsten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zählen, führt und führte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen und ist als Ermittlungsführer daher auch für Fragen personeller Kontinuitäten bzw. Überschneidungen zuständig.
Vorbemerkung der Bundesregierung
Eine Zuständigkeit des Generalbundesanwalts(GBA) für „Fragen personeller Kontinuitäten bzw. Überschneidungen“ besteht nicht. Sie lässt sich auch nicht aus der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft ableiten. Der GBA hat, wie
jede andere Staatsanwaltschaft, kein Recht, sich über die innerbehördliche Organisation der Polizeibehörde hinwegzusetzen und in deren Geschäftsverteilung sowie deren Einsatz- und Dienstpläne einzugreifen. Zwar kann er gemäß § 161 Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) von allen Behörden Auskunft verlangen und Ermittlungen durch die Behörden und Beamte des Polizeidienstes vornehmen lassen. Die Bearbeitung von Ermittlungsersuchen oder -aufträgen einschließlich der Aufgabenzuweisung an den konkreten Beamten oder Behördenmitarbeiter erfolgt jedoch im Regelfall eigenständig durch die ersuchte Behörde, ohne dass die sachleitende Staatsanwaltschaft hierauf Einfluss hat. Einen einzelnen Beamten darf die Staatsanwaltschaft lediglich dann unmittelbar beauftragen, wenn er bereits mit der Sache befasst ist. Ungeachtet dessen unterstehen diese Beamten, auch wenn dem GBA ein fachliches Weisungsrecht im Sinne von § 152 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) zukommt, ausschließlich der persönlichen Dienstaufsicht und Disziplinargewalt ihres Dienstherrn. Diese gehen nicht auf die Staatsanwaltschaft über.
Im Übrigen ist die von den Fragestellern behauptete Einzeltätertheorie zu keinem Zeitpunkt Grundlage der Ermittlungen des GBA gewesen.
1. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und in welchen Fällen es zu Ermittlungsverfahren bzw. Disziplinarverfahren gegen Beamtinnen und Beamte bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizeibehörden und Verfassungsschutzämter des Bundes wie der Länder kam, die sowohl dienstlich
mit Ermittlungen und Analysen zum Oktoberfestattentat und später zum NSU betraut waren (bitte nach Art der Behörde, dienstlicher Verwendung, Jahr und Art des Ermittlungsverfahrens bzw. Disziplinarverfahrens, Vor
würfen im Rahmen der Verfahren auflisten)?
Gegen einen Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BN), der sowohl dienstlich mit Ermittlungen und Analysen zum Oktoberfestattentat als auch später zum NSU betraut war, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Nähere Angaben im Sinne der Fragestellung müssen auf grund grundgesetzlicher Wertungen unterbleiben.
Aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, an dem die einzelnen Abgeordneten und die Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten nach Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages teilhaben und dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert. Diese Antwortpflicht unterliegt jedoch verfassungsrechtlichen Grenzen (BVerfGE 124, 161 [188]).
Die vorliegende Frage bezieht sich auf einzelne Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder und auf gegenüber ihnen ergriffene dienstliche Maßnahmen. Die Beurteilung des dienstlichen Verhaltens von Beamten
muss innerhalb der Schranken des Artikels 33 Absatz 2 GG erfolgen. Artikel 33 Absatz 2 GG ist ein grundrechtsgleiches Recht, das dem einzelnen Beamten einen Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung ver
mittelt (vgl. BVerfGK 14,492). Dabei entspricht es den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtenturns (Artikel 33 Absatz 5 GG), dass Beamte nur Stellen ihres Dienstherrn verantwortlich sind und dass auch nur diese Stellen zu
einer Beurteilung des Beamten befugt sind (vgl. BVerfGE 9, 268 [283f.]). Der einzelne Beamte ist daher hinsichtlich seiner Eignung, Befähigung und Leistung nicht Gegenstand parlamentarischer Kontrolle und öffentlicher Auseinander
setzung.
Dies gilt in besonderer Weise für dienstliche Maßnahmen gegenüber einzelnen Beamten. Die beamtenverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes beschränken insoweit den Informationsanspruch des Parlaments und werden durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das den Regelungen des Personaldatenschutzes zugrunde liegt, noch ergänzt.
Im Übrigen würde durch die Beantwortung der Frage die Dienst- und Fachaufsicht wesentlich erschwert, da dadurch sowohl organisatorische als auch personalwirtschaftliche Maßnahmen der parlamentarischen Einflussnahme zugäng
lich gemacht würden. Die innerhalb der Bundesregierung den einzelnen Bundesministern durch Artikel 65 Satz 2 GG zugewiesene Ressorthoheit ist in dem durch Artikel 20 Absatz 2 GG vorgeschriebenen gewaltenteiligen Verfas-sungsaufbau der Bundesregierung zugewiesen und umfasst als Kompetenz, den jeweiligen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu leiten, insbesondere die Personal- undOrganisationsgewalt.
Die Bundesregierung nimmt im Übrigen aufgrund der vom Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzverteilung zu Ländersachverhalten keine Stellung.
2. Ist der Bundesregierung bekannt, ob Beamte des LN bzw. der Polizeibehörden Bayerns in verantwortlicher Stellung mit Analysen und/oder Ermittlungen zum Oktoberfestattentat befasst waren und später im Rahmen
der SOKO Bosporus bei den Ermittlungen zu den damals so genannten Ceska-Morden in Nürnberg und München bzw. im LN Bayern zum Thema Rechtsterror bzw. NSU eingesetzt waren?
Die Bundesregierung nimmt aufgrund der vom Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzverteilung zu Ländersachverhalten keine Stellung.
3. Wenn der Bundesregierung dies bekannt ist, um weIche DienststeIlung in den Behörden handelt es sich jeweils, und weIche Aufgaben fielen den Beamtinnen und Beamten jeweils zu?
4. Ist der Bundesregierung bekannt, ob ehemalige Beamtinnen und Beamte des Landeskriminalamts (LKA) Bayern, die mit Ermittlungen zum Oktoberfestattentat befasst waren, später im Thüringer LKA mit Ermittlungen zum Thüringer Heimatschutz beschäftigt waren?
Wenn ja, um weIche DienststeIlung im LKA Bayern und LKA Thüringen handelte es sich jeweils, und weIche Aufgaben fielen den Beamtinnen und Beamten in den jeweiligen Ermittlungen zu?
Die Fragen 3 und 4 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.
5. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und welche Arbeitskontakte zwischen dem BfV sowie dem LfV Bayern und dem LN Thüringen zur Person des Anführers der Wehrsportgruppe Hoffmann, Karl-Heinz Hoffmann, existier
ten, der ab dem Jahr 1990 zeitweise auch in Thüringen in Kahla aktiv war?
Im Rahmen der Beobachtung der rechtsextremistischen Aktivitäten des Karl Heinz Hoffmann arbeitet das BN mit den genannten Landesbehörden zusammen. Diese Zusammenarbeit umfasst insbesondere den gegenseitigen Erkennt
nisaustausch in schriftlicher Form. Anlassbezogen wurden Erkenntnisse auch im Rahmen von Besprechungen mit den Landesbehörden in Thüringen und Bayern ausgetauscht.
6. Wenn der Bundesregierung dies bekannt ist, in welchen Jahren, unter wessen Federführung und mit weIcher Zielstellung erfolgte die Zusammenarbeit des BfV mit dem LN Thüringen und dem LN Bayern?
Die gemeinsame Bearbeitung der rechtsextremistischen Aktivitäten des Karl- . Heinz Hoffmann durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder fing mit Beginn des öffentlichkeitswirksamen Auftretens Hoffmanns Ende der 60er-Jahre an. Die Arbeitskontakte mit dem Landesamt für Verfassungsschutz (LN) Bayern dienten insbesondere der Aufklärung der Aktivitäten der .Wehrsportgruppe Hoffmann“ sowie der Bearbeitung von möglichen Zusammenhängen mit mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mord- und Sprengstoffanschlägen.
Arbeitskontakte mit dem LN Thüringen bestanden Anfang der 90er-Jahre wegen möglichen rechtsextremistischen Aktivitäten und später im Zusammenhang mit einem zwischenzeitlich eingestellten Ermittlungsverfahren der Staatsan-waltschaft
Gera gegen Hoffmann und weitere Personen wegen des Verdachts des unerlaubten Erwerbs und Besitzes von explosionsgefährlichen Stoffen. Die Federführung einer bestimmten Behörde bei den aufgeführten Arbeitskontakten war nicht gegeben.
7. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob Beamte, die beim LKA Bayern und/oder bei dem LfV Bayern bei den Ermittlungen zum Oktoberfestattentat eingesetzt waren, später beim Bundeskriminalamt (BKA) oder
BfV beschäftigt waren?
Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.
8. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob Beamte, die beim LKA Bayern und/oder bei dem LfV Bayern bei den Ermittlungen zum Oktoberfestattentat eingesetzt waren, später bei den Ermittlungen zur CeskaMordserie beteiligt waren (bitte unter Angabe der jeweiligen Behörde)?
9. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob Beamte, die beim LKA Bayern und/oder bei dem LfV Bayern bei den Ermittlungen zum Oktoberfestattentat eingesetzt waren, ab Januar 1998 an den Ermittlungen bzw. der Suche zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe beteiligt waren (bitte unter Angabe der jeweiligen Behörde)?
10. Inwieweit sind nach Kenntnis der Bundesregierung Beamtinnen und Beamte bayerischer Behörden, die in den Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat dahingehend in Medienberichten (vgI. Bayerischer Rundfunk vom 31. Januar 2015, Vorbemerkung der Fragesteller) charakterisiert werden, dass sie Einfluss auf das LKA Bayern genommen hätten, an der „EinzeItäterthese“ festzuhalten, später dienst- bzw. fachaufsichtlieh dem LKA bei den Ermittlungen der Morde in München und Nürnberg im Rahmen der so genannten Ceska-Mordserie in Bayern vorgesetzt gewesen?
Die Fragen 8 bis 10 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.
Quelle: Deutscher Bundestag