Politik

298 Menschen sterben Passagierjet über der Ukraine abgeschossen

Pro-russische Separatisten begutachten die Wrackteile der Boeing 777: Die Trümmerteile liegen in weitem Umkreis verstreut, es gibt keine Aussicht auf Überlebende.

Pro-russische Separatisten begutachten die Wrackteile der Boeing 777: Die Trümmerteile liegen in weitem Umkreis verstreut, es gibt keine Aussicht auf Überlebende.

(Foto: REUTERS)

Der Krieg in der Ukraine erreicht eine neue Stufe: Über dem Kampfgebiet wird ein malaysisches Passagierflugzeug abgeschossen. An Bord waren fast 300 Menschen - darunter vier Deutsche und viele Niederländer. Die Ukraine und Russland schieben sich gegenseitig die Schuld zu.

In der Ukraine ist ein malaysisches Verkehrsflugzeug mit 298 Menschen an Bord offenbar abgeschossen worden. An Bord waren laut dem Vizepräsidenten von Malaysian Airlines vier Deutsche, 154 Niederländer, 27 Australier, 23 Malaysier, 11 Indonesier, 6 Briten, 4 Belgier, 3 Philippiner und ein Kanadier. Offenbar hat keiner der 283 Passagiere und 15 Crewmitglieder den Absturz überlebt. Zuvor hatte Malaysian Airlines den Verlust von Flug MH17 über der Ostukraine gemeldet. Die Boeing 777 sei auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur gewesen. Die Maschine flog in 10.000 Metern Höhe.

US-Vizepräsident Joe Biden sprach von einem Abschuss der Maschine. Der Absturz sei "kein Unfall", die Maschine sei "vom Himmel geholt worden", sagte Biden nach Angaben des TV-Senders MSNBC. Die Agentur Interfax berichtet, das Flugzeug sei von einer Rakete des Buk-Systems getroffen worden. Der Jet sei von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden, berichtet auch das "Wall Street Journal" unter Berufung auf ungenannte Quellen bei US-Geheimdiensten. Der Standort der Batterie ist noch nicht lokalisiert. Wer das Flugzeug abgeschossen hat ist unklar, ebenso ob der Abschuss versehentlich oder absichtlich erfolgte.

Moskau und Kiew beschuldigen sich

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Russland und die Ukraine gaben sich unmittelbar gegenseitig die Schuld für den Abschuss. Kremlchef Wladimir Putin wies Kiew die Verantwortung zu: Die schreckliche Tragödie wäre nicht passiert, wenn die Ukraine die Offensive im Osten des Landes nicht wiederaufgenommen hätte, sagte Putin am späten Donnerstagabend.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach dagegen von einem "terroristischen Akt" und beschuldigte prorussische Separatisten. Ein Verschulden der eigenen Armee schloss er aus. "Die Streitkräfte der Ukraine waren auf keinen Fall an der Zerstörung des Ziels in der Luft beteiligt", hieß es in einer Erklärung. Dies sei der dritte tragische Fall dieser Art, nachdem bereits in den vergangenen Tagen zwei ukrainische Militärflugzeuge von russischem Territorium aus abgeschossen worden seien. Poroschenko richtete eine Untersuchungskommission ein, zu der auch internationale Experten, darunter aus den Niederlanden und Malaysia eingeladen wurden.

Dramatische Szenen in Schiphol

Es besteht keine Hoffnung mehr.

Es besteht keine Hoffnung mehr.

(Foto: REUTERS)

Bei Flug MH17 hat es sich offenbar um einen sogenannten Urlaubsflieger gehandelt. Am Amsterdamer Flughafen Schiphol spielten sich am Abend dramatische Szenen ab. Dort hatten sich rund 100 Angehörige der Passagiere von Flug MH17 versammelt. Ratlos, tief bestürzt und weinend meldeten sich Freunde und Verwandte am Informationsschalter, wie das niederländische Fernsehen berichtete.

"Ich habe gehört, dass ich mich hier melden soll", sagt eine Frau. "Mein Schwager saß in der Maschine." Freunde und Familien möglicher Opfer wurden später in zwei Bussen in Begleitung einer Polizeieskorte zu einem nicht genannten Ort gefahren. Journalisten hatten dort keinen Zutritt. Dort sollten sie über das Unglück informiert werden, teilte der Flughafen mit. Reiseveranstalter und das Außenministerin richteten für Angehörige eine Sondertelefonnummer ein.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte brach eine Auslandsreise vorzeitig ab. "Ich bin zutiefst geschockt von den dramatischen Berichten", heißt es in einer Erklärung des Premiers. Er habe bereits mit dem ukrainischen Präsidenten gesprochen.

Rebellen wollten offenbar Antonow abschießen

Am späten Nachmittag informierten die prorussischen Rebellen auf Twitter und Facebook, sie hätten ein Flugzeug abgeschossen, eine Militärmaschine vom Typ Antonow, nachdem man zuvor vor einem Überfliegen der Region gewarnt habe. "Wir haben soeben eine AN-26 abgeschossen", schrieb Igor Strelkow, selbsternannter Verteidigungsminister der von den Separatisten ausgerufenen "Volksrepublik Donezk" am Nachmittag. Bei der AN-26 handelt es sich um einen von der ukrainischen Armee genutzten Transportflugzeugtyp.

Wörtlich hieß es: "Das Vögelchen liegt auf einer Abfallhalde, Zivilisten seien nicht betroffen." Strelkow schrieb, die angebliche AN-26 sei nahe der Ortschaft Snischne abgeschossen worden. Diese wiederum liegt genau in jener Gegend, in der wenig später die Trümmer der malaysischen Passagiermaschine gefunden wurden. Später distanzierten sich die prorussischen Rebellen: "Mit dem Abschuss der malaysischen Maschine haben wir nichts zu tun."

In einem weiteren Audio sollen sich nach Angaben von n-tv Korrespondent Dirk Emmerich Separatisten darüber unterhalten haben, "gerade eben eine Antonow vom Himmel geholt" zu haben. Im Laufe des Gesprächs sei ihnen aber bewusst geworden, dass es sich in Wahrheit um ein ziviles Flugzeug gehandelt habe. Nicht ausgeschlossen sei, dass es die Separatisten tatsächlich gar nicht auf das Passagierflugzeug abgesehen hätten, sondern die Antonow hätten treffen wollen. Militärflieger verfügten jedoch über zahlreiche Abwehrsysteme, die Lenkraketen in die Irre führen könnten.

Offenbar keine Experten am Werk

Luftfahrtexperte Ralf Benkö äußerte auf n-tv die Möglichkeit, dass die Luftabwehrwaffen nicht von Experten benutzt wurden. Eigentlich würden zivile Flugzeuge immer sofort erkannt, dafür gebe mehrere Möglichkeiten der Identifikation. Nur müsse man diese auch lesen können.

Auf der Twitterseite der "Volksrepublik Donezk" wurde zudem ein Eintrag veröffentlicht und später wieder gelöscht, demzufolge die Rebellen am Donnerstag ein "Buk"-Raketensystem zur Flugzeugabwehr von der ukrainischen Armee erbeutet hatten. Dessen Boden-Luft-Raketen können nach Herstellerangaben Ziele in bis zu 25 Kilometern Höhe treffen. Nach offiziellen Angaben war MH17 zuletzt in rund zehn Kilometern Flughöhe unterwegs.

Separatisten finden Blackbox

Der inzwischen abgesetzte "Bürgermeister" von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarew, hatte sich noch Ende April vor Journalisten der "Bild"-Zeitung damit gebrüstet, über Flugabwehrraketen zu verfügen, mit denen sie "jedes Flugzeug vom Himmel holen könnten". Ponomarew hatte damals behauptet, die Waffen stammten aus Tschetschenien. Zudem hätten sie auch Tschetschenien-Kämpfer in ihren Reihen. 

Die Ukraine weilenden Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind bereits auf den Weg zum Wrack. Nach dem Eintreffen des Teams in der Nähe der Ortschaft Grabowo sollen die Beobachter eine Einschätzung der Lage abgeben. Unterdessen gaben die prorussischen Separatisten bekannt, den Flugschreiber der Boeing 777-200 gefunden zu haben. "Die Black Box wurde sichergestellt", sagte einer der Sprecher der Aufständischen, Konstantin Knyrik. Sie wollen den Flugschreiber zur Auswertung an Russland übergeben.  

Ukrainischer Kampfjet abgeschossen

Erst am Mittwochabend soll ein russischer Kampfjet nach Darstellung der Armeeführung in Kiew ein ukrainisches Kampfflugzeug über ukrainischem Staatsgebiet abgeschossen haben. Dabei handele es sich um eine Maschine vom Typ Suchoi Su-25, sagte ein Sprecher. Das Düsenflugzeug wurde demnach am Mittwochabend von einer Rakete getroffen. Der Pilot habe mit Hilfe des Schleudersitzes überlebt. Zu einem weiteren Zwischenfall kam es am Mittwoch, als ebenfalls eine Su-25 von einer Rakete getroffen wurde und sicher landen konnte. Die Regierung in Kiew hat dafür aber Rebellen verantwortlich gemacht.

Bereits am Montag wurde eine ukrainische Transportmaschine vom Typ Antonow An-26 abgeschossen. Zwei von acht Menschen an Bord sollen ums Leben gekommen sein. Nach Darstellung der Regierung in Kiew könnte die Rakete von russischem Gebiet aus abgefeuert worden sein. Nach Angaben der Streitkräfte ereigneten sich alle Vorfälle im Osten der Ukraine, wo prorussische Separatisten gegen Regierungstruppen kämpfen. Sie wollen eine Abspaltung des Landesteiles erreichen.

Lufthansa flog gleiche Route

Nach dem Abschuss von MH17 ändert jetzt die Lufthansa ihre Flugrouten. "Die Lufthansa hat sich entschieden, von sofort an den ukrainischen Luftraum weiträumig zu umfliegen", sagte eine Sprecherin der Fluglinie. Eine Sperrung des Luftraums der Ukraine habe es nicht gegeben und gebe es auch derzeit nicht. Von der Entscheidung, die Flugrouten zu ändern, seien im Laufe des Donnerstag noch vier Flüge betroffen.

Für Malaysia Airlines wiederum wäre es schon der zweite Verlust einer Passagiermaschine in diesem Jahr. Am 8. März war der Flug MH370 nach dem Start in Kuala Lumpur in Richtung Peking von den Radarschirmen verschwunden. An Bord der Boeing 777 waren 239 Menschen. Über ihr Schicksal und darüber, was an Bord der Maschine passierte, herrscht völlige Ungewissheit. Trotz intensiver Suche wurde bislang keine Spur der Unglücksmaschine entdeckt.

Quelle: ntv.de, hvg/ppo/AFP/dpa/rts

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