Im Mattertal sind Stellenangebote und Arbeitskräfte rar. Der Industrieriese Bosch hat seine Aktivitäten hier gleichwohl stark erweitert. Ganz anders fällt die Bilanz in Solothurn und Frauenfeld aus.
Der Platz für Autos ist an den steilen Hängen rund um die Fabrik der Bosch-Gruppe in St. Niklaus im Walliser Mattertal eng begrenzt. Doch zum Glück haben viele der mittlerweile fast 700 Beschäftigten des Werks, in dem pro Jahr über 200 Mio. Sägeblätter für die ganze Welt hergestellt werden, einen kurzen Arbeitsweg. Als an diesem heissen Frühsommertag die Morgenschicht um 13 Uhr zu Ende geht, verlassen etliche Arbeiter die Fabrik zu Fuss. Dasselbe Bild wiederholt sich um 21 Uhr und um 5 Uhr, wenn jeweils die Mitarbeiter der Nachmittags- und der Nachtschicht nach Hause gehen.
Im Werk, das wie die gesamte ehemalige Scintilla-Gruppe bereits 1954 in den Mehrheitsbesitz des deutschen Industrieriesen Bosch überging, wird im Drei-Schichten-Betrieb von Montag bis Freitag gearbeitet. Der Arbeitsanfall ist seit Jahren so gross, dass sich die Firma immer wieder gezwungen sieht, samstags Extraschichten anzuordnen. Freiwillige fänden sich dafür problemlos, ist aus dem Umfeld des Betriebs zu hören.
Werkleiter Marzell Chanton sagte an einer Medienkonferenz anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Fabrik sowie des 100-Jahre-Jubiläums der Scintilla-Gruppe, die Flexibilität der Mitarbeiter zähle zu den Hauptvorteilen des Standorts St. Niklaus. Fast jeder Angestellte habe Familienangehörige, die entweder im Tourismus oder in der Landwirtschaft tätig seien. Auch in diesen Branchen gebe es ernte- und saisonbedingt Spitzenzeiten, in denen das Arbeitspensum flexibel gehandhabt werde.
Bosch profitiert in der Herstellung von Sägeblättern und weiterem Zubehör für Elektrowerkzeuge von der rasch fortschreitenden Globalisierung. Elektrische Schlagbohrmaschinen, Sägen oder Winkelschleifer werden weltweit für eine wachsende Zahl von Profi- und Hobbyhandwerkern erschwinglich. Einen Nachfrageschub hat dem Konzern in den letzten Jahren zudem das Geschäft mit multifunktionalen oszillierenden Elektrowerkzeugen verschafft, mit denen sich Materialien auf unterschiedlichste Art sowie aus schwierigen Positionen bearbeiten lassen. In der Walliser Fabrik werden neben Stich- und Säbelsägeblättern auch die für die Verbindung zwischen der Maschine und dem Werkzeug benötigten Teile gefertigt.
Die grosse Herausforderung, die sich den Beschäftigten in St. Niklaus zurzeit stellt, ist, mit der Nachfrage Schritt zu halten. Laut der jüngsten Ausgabe der Mitarbeiterzeitung nahmen die Verkäufe im Bereich Schneidwerkzeuge im ersten Quartal 2017 um weitere 12% zu. Bei der Erfüllung der Lieferungen sei man nach wie vor unter Druck, heisst es. Das markante Wachstum veranlasste das Management, seit 2012 zusätzliche 140 Mitarbeiter im Walliser Werk einzustellen. Die Hälfte davon waren Frauen, womit ihr Anteil inzwischen fast 40% beträgt. Verglichen mit anderen Betrieben im Bereich der metallverarbeitenden Industrie ist dies ein überdurchschnittlich hoher Wert.
Der nächste Ausbau der Produktionskapazität ist allerdings in den USA vorgesehen. In einem bestehenden Bosch-Werk sollen 100 neue Mitarbeiter rekrutiert werden, um vor allem die rege Nachfrage aus den USA zu bedienen. Zurzeit gehen 40% der Lieferungen von St. Niklaus nach Nordamerika, womit dieser Absatzmarkt für das Unternehmen beinahe gleich gross ist wie Europa (Anteil von 42%). Werksleiter Chanton, der vor 45 Jahren als Konstrukteurlehrling in die Firma eintrat und seine gegenwärtige Funktion schon seit 20 Jahren ausübt, schliesst eine weitere Expansion auch im Wallis nicht aus. Landreserven wären direkt neben dem jüngsten Neubau, der 2011 fertiggestellt wurde, vorhanden.
Das starke Wachstum war angesichts der Frankenstärke in den vergangenen Jahren für den Standort ein Glücksfall. Zwar wurde wie in vielen Schweizer Industriebetrieben die Arbeitszeit nach der Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank Anfang 2015 auch in St. Niklaus vorübergehend erhöht, doch inzwischen liege die Profitabilität des Werks sogar über dem Niveau von 2014, sagte Ute Lepple, die als Schweizer Repräsentantin von Bosch amtiert. Die Managerin, die zusätzlich auch die kaufmännische Verantwortung für das weltweite Geschäft des Konzerns mit Zubehör für Elektrowerkzeuge (Gesamtumsatz von 1,2 Mrd. €) trägt, fügte hinzu, das Walliser Werk schneide in Sachen Ertragskraft firmenintern weiterhin überdurchschnittlich ab. Bosch unterhält im selben Geschäftsbereich Produktionsstätten unter anderem auch in Deutschland, Ungarn, den USA, Brasilien und China.
St. Niklaus sticht auch im Vergleich mit zwei Schweizer Werken, die der deutsche Konzern bis anhin innerhalb des Geschäfts mit Elektrowerkzeugen betrieben hat, positiv heraus. In Solothurn wurde Ende 2016 die Herstellung von Elektrowerkzeugen aus Kostengründen endgültig eingestellt, womit 330 Arbeitsplätze verloren gingen. Als Fertigungsstandort dient in der Zwischenzeit Ungarn. Bei der auf die Produktion von Schleifmitteln spezialisierten Tochtergesellschaft SIA Abrasives in Frauenfeld ist die – im November 2015 angekündigte – Restrukturierung noch im Gang. Sie dürfte voraussichtlich zum Abbau von 260 der bis anhin dort vorhandenen 720 Stellen führen. Laut Lepple ist Bosch bei Schleifmitteln anders als bei Stichsägeblättern alles andere als marktführend. Es herrsche ein harter Wettbewerbsdruck. Zudem fehle es an Wachstum, und es würden Verluste eingefahren.
Die Verbundenheit der fast 700 Angestellten in St. Niklaus mit ihrem Betrieb gilt als hoch, was indes kaum erstaunlich ist. Weitere grosse Arbeitgeber in der Region sind rar. Sie beschränken sich weitgehend auf das Chemiewerk von Lonza in Visp und die Matterhorn-Gotthard-Bahn. Bei Bosch sind die Mitarbeiter bereit, auch bei schweisstreibenden Temperaturen zu arbeiten. In den Werkhallen werden an Sommertagen bis zu 35 Grad gemessen, obschon sich das Werk auf rund 1100 Metern über Meer befindet. Ein künstliches Kühlsystem gibt es nicht.
Dem Unternehmen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die zusätzlich geschaffenen Stellen nach wie vor primär mit einheimischen Arbeitskräften zu besetzen. Der Anteil der Beschäftigten mit Schweizer Staatszugehörigkeit beträgt über 80%. Das limitierte Angebot von Arbeitskräften ist zugleich – neben den auch im Wallis hohen Lohnkosten – aber auch der grösste Standortnachteil.
Aus Sicht der Logistik wirkt sich die periphere Lage dagegen kaum ungünstig aus. Die rund 1 Mio. kleinen Sägeblätter und anderen Produkte, die pro Tag in St. Niklaus gefertigt werden, finden beim Abtransport jeweils in einem Lastwagen Platz.