Um Wohnungen in Berlin zu schaffen, sollen Innenhöfe bebaut und Baulücken geschlossen werden. Doch dagegen regt sich Protest.

Der Druck auf den Berliner Wohnungsmarkt wächst. „Nachverdichtung“ lautet eines der Lieblingsworte des Charlottenburg-Wilmersdorfer Baustadtrats Marc Schulte (SPD). Doch meistens sind die Anwohner weniger euphorisch, wenn ihre Innenhöfe oder Lücken im Blockrand bebaut werden sollen. So wie die Bewohner des denkmalgeschützten Woga-Komplexes am Lehniner Platz in Wilmersdorf, deren Hinterhof bebaut werden soll.

Das städtebauliche Ensemble sieht so modern aus, dass man kaum glauben mag, dass es bereits 1931 fertiggestellt wurde. Erbaut wurde es im Auftrag der Wohnungs-Grundstücks-Verwertungs-Aktiengesellschaft (Woga) der Verlegerfamilie Mosse nach Plänen des Architekten Erich Mendelsohn im Stil der Neuen Sachlichkeit.

Kommentar: Der Denkmalschutz ist ein zahnloser Tiger

In ruhiger 1A-Lage nahe dem Kurfürstendamm gibt es dort alte Tennisplätze, auf denen schon Erich Kästner und Willy Brandt gespielt haben. Die haben bei einem Investor Begehrlichkeiten geweckt. Die britische Shore Capital Group hat die knapp 6000 Quadratmeter große Freifläche hinter der Schaubühne im Frühjahr 2013 für 435.000 Euro gekauft und will darauf unter der Projektbezeichnung „Cicerostraße 55A“ ein mehrstöckiges Gebäude errichten.

Das würde, wie so oft im Westen Berlins, der Baunutzungsplan von 1958/60 erlauben. Ein Bauantrag beim Bezirksamt ist inzwischen auch eingereicht. Doch vor der Realisierung steht neben dem Bürgerprotest bislang noch der Denkmalschutz. Die gesamte Anlage steht samt Grün und Tennisplätzen seit 1982 unter Denkmalschutz. Auch, wenn die Tennisplätze seit 2007 nicht mehr genutzt werden. Baustadrat Marc Schulte (SPD) gibt in Ausschüssen und in der Bezirksverordnetenversammlung unumwunden zu, dass er eine Bebauung an dieser Stelle begrüßen würde.

Zwei Gutachten zur baurechtlichen Bebaubarkeit wurden erstellt

Auf eine Kleine Anfrage der fraktionslosen Verordneten Nadia Rouhani, ob und wann er der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt die Tennisplätze als Baupotenzialflächen benannt hat, antwortet Schulte am 29. Februar: „Das Bezirksamt hat die Fläche der Tennisplätze als festgesetzte Baufläche im März 2015 als Potenzial in den Entwurf des Wohnbauflächenkonzepts aufgenommen.“ Spätestens seit 2013 ist die neue Eigentümerin Shore Capital mit der Bauverwaltung und den Denkmalbehörden zugunsten eines Nachverdichtungsprojekts im Gespräch. Zwei Gutachten zur baurechtlichen Bebaubarkeit und zum Denkmalschutz wurden im Auftrag des Investors erstellt.

Doch gerade das Fazit der bauhistorischen Dokumentation des Berliner Architekturbüros Peter Lemburg vom 23. Juni 2013 zweifeln Anwohner und Gegner einer tiefgreifenden Veränderung des Baudenkmals an. Lemburg kommt in seinen Ausführungen zu dem Ergebnis, dass bereits 1932 eine Bebauung des Grundstücks mit einer Reihe sogenannter Kreuzhäuser genehmigt worden sei. Doch umgesetzt wurde dieses Vorhaben nie. Lemburg glaubt, dass die Ursache dafür die Emigration von Erich Mendelsohn und der Eigentümerfamilie Mosse nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten sei. Die Tennisplätze, so der Bauhistoriker, seien somit nur als „interimistische Lösung“ ausgeführt worden.

Anwohnern finden einen Brief Erich Mendelsohns

Die Anwohnerinitiative hat sich unterdessen durch die Archive des Landesdenkmalamts gewühlt und ist fündig geworden: „Wir haben einen Brief von Erich Mendelsohn in der Bauakte gefunden, in der er eindeutig auf die Genehmigung für die Bebauung des Innenhofs verzichtet“, sagt Christiane von Trotha. Mendelsohn schreibt darin mit Datum vom 12. April 1932: „Die seinerzeit projektierten Kreuzhäuser auf diesem Gelände kommen nicht zur Ausführung. Stattdessen sollen an dieser Stelle 4 Tennisplätze gebaut werden. Die dazu benötigte Fläche umfasst 37/78 m, die verbleibende Freifläche erhält Grünflächen und eine Bepflanzung mit Kastanienbäumen.“ Zur Begründung dieser neuen Planung schreibt Mendelsohn weiter: „Da die Anlage von Spiel- und Grünflächen auch dem Wunsche aller Beteiligten sowie der Wohnungsfürsorge-Gesellschaft entspricht, bitte ich um baldige Genehmigung der Anlage.“ Von Emigration oder anderen Gründen war ein knappes Jahr vor der Machtergreifung noch keine Rede.

Es gebe nicht viele Gründe, weshalb so einem Ensemble der Denkmalschutz entzogen werden könne, sagt Christiane von Trotha. Das Bezirksamt argumentiere mit „Wohnungsnot in Berlin“ als sogenannten „höheren Grund“, so die Sprecherin. „Doch wenn Wohnungsnot Denkmalschutz schlägt, kann man mit dem gleichen Argument den Schlosspark Charlottenburg oder den Lietzenseepark bebauen“, so von Trotha. Sie hält es für Spiegelfechterei, bei einem Bauvorhaben an dieser Stelle mit „Wohnungsnot“ zu argumentieren. „Der Durchschnittsberliner wird sich da keine Wohnung leisten können, wahrscheinlich werden die Wohnungen als reine Anlageobjekte leer stehen bleiben.“

Expertinnen halten die Tennisplätze für ein wichtiges Zeugnis

Argumentative Rückendeckung liefern auch die Professorinnen Regina Stephan von der Hochschule Mainz und Kathleen James-Chakraborty vom University College in Dublin. Die beiden renommierten Mendelsohn-Expertinnen haben ebenfalls eine Stellungnahme zur Überbauung der Tennisplätze abgegeben: „Der Woga-Komplex ist ein herausragendes Ensemble des Neuen Bauens der Zwanziger Jahre, das als Gesamtanlage der Bauten und Freiflächen denkmalgeschützt ist (…) Die Tennisplätze gehen auf den Sportpark ‚Neue West-Eisbahn‘ zurück, der das damals noch freie Grundstück ab 1908 im Sommer als Tennisplätze, im Winter als Eisbahn nutzte. Die Tennisplätze sind somit ein Zeugnis der Lebensreformbewegung in Berlin.“ Der Entwurf der sogenannten Kreuzhäuser entspreche weder der ursprünglichen Intention des Bauherrn noch des Architekten. Dieser, so die Wissenschaftlerinnen, habe sich weder in seinen Briefen noch in einer seiner Publikationen dazu geäußert. „Mendelsohn hat jedoch stets größten Wert darauf gelegt, seine Projekte zu veröffentlichen“, so ihre Argumentation.

Das Landesdenkmalamt will keine Stellungnahme zu dem Bauprojekt abgeben: „Das Landesdenkmalamt ist nicht der zuständige Ansprechpartner für das Bauvorhaben“, sagte Petra Rohland, stellvertretende Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Landesbehörde stimme sich zwar mit der unteren Denkmalschutzbehörde beim Bezirk ab, doch letztlich treffe der Bezirk die Entscheidung.

Am heutigen Mittwoch steht das Thema wieder auf der Agenda des Stadtplanungsausschusses. Vermutlich nicht zum letzten Mal.