Algorithmen, intelligente Software und Roboter können immer mehr Dinge, zu denen noch vor Kurzem allein der Mensch fähig war. Über die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) und deren Folgen berichtet ZEIT ONLINE in der Serie "Maschinenraum".

Finnlands zukünftige Elite sitzt auf den Stufen der Domkirche von Helsinki und trinkt Dosenbier. Es ist zwölf Uhr mittags, einige der jungen Frauen und Männer sind schon seit sechs Uhr hier. Sie tragen Hüte aus Zeitungspapier auf dem Kopf und Müllbeutel als T-Shirts um die Schultern. Es sind Erstsemester der Aalto-Universität, Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften. So verkleidet feiern junge Finnen den Beginn ihres Studiums.

In drei bis vier Jahren werden sie als Betriebswirte oder Steuerexperten auf den Arbeitsmarkt drängen – in Berufe, in denen Berechnungen und standardisierte Datenverarbeitung zum Alltag gehören und die insofern vom zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz betroffen sein werden. Das World Economic Forum geht in einer kürzlich veröffentlichten Studie davon aus, dass bis 2020 mehr als fünf Millionen Jobs in den 15 wichtigsten Industrieländern verloren gehen könnten.

Hat der Mensch Lust auf Arbeit?

Wenige Hundert Meter entfernt von den Stufen der Domkirche macht sich Olli Rehn intensiv Gedanken über die Zukunft Finnlands und seiner jungen Menschen. Der Boden im historischen Gebäude des finnischen Wirtschaftsministeriums wackelt, draußen rumpelt eine Tram durch die Aleksanterin-Straße. Seit 2015 ist Rehn Finnlands Wirtschaftsminister, davor war er Währungskommissar der Europäischen Union. Seine Regierung startet derzeit ein Projekt, das international für Aufsehen sorgt. Denn Finnland, die kleine Nation mit nur fünfeinhalb Millionen Einwohnern am nordöstlichen Rand der EU, will das erste Land der Welt sein, das ein bedingungsloses Grundeinkommen auf nationaler Ebene testet.

2.000 Menschen sollen im nächsten Jahr Geld von der Regierung bekommen und müssen dafür keine Gegenleistung erbringen. Einfach so. "560 Euro ist nicht weniger, als man durch Sozialhilfe und andere Leistungen in Finnland jetzt schon bekommt", sagt Rehn. Der wichtigste Unterschied sei aber: "Jeder Euro, den man dazuverdient – auch in einem Niedriglohn- oder Teilzeitjob – wird das Einkommen der Menschen erhöhen." Dieser Verdienst komme zum Grundeinkommen hinzu und werde nicht mit der Sozialhilfe verrechnet wie bisher – und wie es auch in Deutschland üblich ist.

Was Rehn und sein Mitte-rechts-Regierungsbündnis in Helsinki bei ihrem Grundeinkommensversuch herausfinden, könnte sehr wichtig werden für die Zukunft der Arbeitswelt. Denn Roboter und intelligente Maschinen bedrohen nicht nur die Jobs von eher geringer qualifizierten Arbeitern am Fließband. Gefährdet sind auch Jobs für Mittel- bis Hochqualifizierte vor allem in Logistik, Finanzen und Management, im Versicherungs- oder im Gesundheitswesen.

Wovon sollen Menschen leben, die durch den technologischen Wandel arbeitslos werden? Darauf geben viele Wissenschaftler, aber inzwischen auch hochrangige Politiker wie etwa Kanadas Premierminister Justin Trudeau dieselbe Antwort: Ein Grundeinkommen könnte ihre Existenz sichern und das Ausprobieren alternativer Arbeitsmodelle ermöglichen. Eine Diskussion, die jahrzehntelang eine Randexistenz im linken und liberalen Politikdiskurs führte, ist jetzt im Mainstream angekommen.

"Das wichtigste Ziel ist herauszufinden, wie wir die Anreize zur Arbeit erhöhen können", sagt Rehn. Obwohl ja gleichzeitig die soziale Absicherung gewährleistet sein soll. Es ist die größte Unbekannte in der Diskussion um ein Grundeinkommen, die Frage nach dem Menschenbild: Ist ein Bürger gewillt zu arbeiten, wenn der Staat sein Existenzminimum absichert?

Das finnische Experiment soll dazu Erkenntnisse liefern, zumal der Betrag mit 560 Euro so niedrig angesetzt ist, dass damit ein komfortables Leben in Finnland kaum möglich sein wird. Zunächst sollen nur Arbeitslose das Geld erhalten, die ohnehin auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Zusätzlich zum Grundeinkommen werden sie weiterhin Wohngeld beziehen, sodass man tatsächlich herausfinden könnte, ob Arbeit für diese Menschen attraktiver ist als Nichtstun.

Der Zeitpunkt für den Start des Versuchs passt scheinbar gar nicht und könnte doch nicht besser gewählt sein. Finnlands Wirtschaft erholt sich nur sehr langsam von einer dreijährigen Rezession. Die Arbeitslosenquote dümpelt bei etwa neun Prozent vor sich hin, dieses Jahr soll die Wirtschaft um ein knappes Prozent wachsen. Wenig Jobs, geringes Wachstum. Im Grunde sind das genau die Bedingungen, die – wenn es schlecht läuft – auf viele westliche Gesellschaften zukommen könnten.