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Das Mikrobiom – Das unterschätzte Organ

Das Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit aller fremden Gene, die sich in Form von Mikroorganismen in und auf unserem Körper befinden. Seine Zusammensetzung variiert von Mensch zu Mensch und verrät viel über unsere Persönlichkeit. Mehr noch: Es hat unser Leben in seiner Hand.

Foto von Babyfüssen. | © unsplash

Unter dem Begriff Mikrobiom werden alle Mikroorganismen auf und im Körper zusammengefasst. (unsplash)

In unserem Organismus befinden sich mehr Mikroorganismen als menschliche Zellen. Aus diesem Grund sind in unserem Körper auch die nicht menschlichen Gene zahlenmässig hoch überlegen. Gene kodieren u. a. für Proteine und Enzyme, die wiederum bestimmte Stoffe produzieren. Kein Wunder also, dass etwa jedes dritte Stoffwechselprodukt in unserem Blut nicht menschlichen, sondern mikrobiellen Ursprungs ist. Zu glauben, dass das purer Zufall sei, erscheint noch verrückter als die Idee, dass unsere wie ein eigenständiges Organ zur Aufrechterhaltung unserer Gesundheit dient. Während seiner Entwicklung ist der Mensch keimfrei. 

Die Besiedelung mit Mikroorganismen beginnt während der Geburt durch Bakterien aus dem Geburtskanal der Mutter. Die Mund- und Darmflora des Babys ähnelt noch Wochen nach der Geburt der Vaginalflora seiner Mutter. Werden Kinder per Kaiserschnitt geboren, findet die Besiedelung hingegen vorwiegend mit Hautbakterien statt. Ein Unterschied, der nicht nur die aktuelle, sondern auch die Gesundheit als Erwachsene beeinflussen könnte.

Kaiserschnitt-Babys weisen im späteren Leben ein höheres Risiko für Allergien, Asthma und andere Autoimmunkrankheiten auf. Das ist kein Beweis für einen Zusammenhang mit der Art der Erstbesiedlung. Er kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Mancherorts werden Kaiserschnitt-Babys deshalb mit einem Tupfer eingerieben, der zuvor in der Scheide der Mutter platziert worden war, um den natürlichen Vorgang nachzuahmen.

Eine Aura von Bakterien

Im Laufe der Zeit werden die gesamte Haut, alle Schleimhäute und sämtliche Körperhöhlen von Mikroorganismen besiedelt. Etwas, was wir grosszügig mit unseren Nächsten teilen. Auf unserer Haut beispielsweise, dem grössten Organ unseres Körpers, findet ununterbrochen ein Austausch zwischen ansässigen Bakterien und Bakterien aus der Umwelt statt. Bei Berührungen oder z. B. beim Küssen werden Millionen von Bakterien ausgetauscht. Selbst im passiven Zustand soll ein Mensch eine Million Mikroorganismen pro Stunde über die Atemluft, abfallende Hautschüppchen und verdunsteten Schweiss in sein Umfeld abgeben. 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Menschen, die eng zusammenleben, ein ähnlicheres Mikrobiom aufweisen als Fremdpersonen. Man könnte auch sagen: Das Mikrobiom wird vererbt, das heisst, etwa vierzig Prozent der Mikroorganismen gehören sozusagen zur Grundausstattung. Der Rest wird durch die Ernährung, die Lebensweise und die Veranlagung bestimmt, sodass jeder Mensch sein ganz individuelles Mikrobiom aufweist. Das könnte dereinst sogar in der Forensik eine Rolle spielen: Wenn weder Fingerabdrücke noch DNA vom Täter gefunden werde, könnten ihn stattdessen seine eigenen Bakterien überführen. 

Ein Teil der Verdauung

Die Forschung am Mikrobiom ist noch jung, doch fördert sie laufend neue Erkenntnisse zutage. Für Wissenschaftler ist das Mikrobiom eine Art Superorgan, das mit vielen Körperfunktionen in wechselseitiger Beziehung steht. Am offensichtlichsten ist vielleicht ihre Bedeutung für die Verdauung. Mikroorganismen können Bestandteile der Nahrung verwerten, die ansonsten unverdaulich wären. Auf diese Weise tragen sie zur Gewinnung von Energie sowie lebenswichtigen Nährstoffen und Vitaminen bei. Vitamin B12 z. B. kann nur von einer gesunden Darmflora in ausreichender Menge hergestellt werden. 

Ein ausreichender Vitamin-B12-Spiegel ist deshalb weniger von der Ernährung als vom Zustand der Darmflora abhängig. Vitamin B12 wird vor allem zur Bildung roter Blutkörperchen sowie für eine optimale Funktion der Nervenzellen benötigt. Dank der Mikroben im Darm entstehen bei der Nahrungsverwertung aus unverdaulichen, komplexen Kohlenhydraten Einfachzucker und kurzkettige Fettsäuren. Sie alleine decken fünf bis zehn Prozent des menschlichen Energiebedarfs, bei Kühen sind es bis zu siebzig Prozent.

Stärkung der Abwehrkräfte

Es wird geschätzt, dass sich über tausend verschiedene Bakterienarten im Darm eines Erwachsenen befinden. Je grösser die Diversität, desto besser. Um nicht an der grossen Anzahl zu verzweifeln, können die Bakterien salopp in «gute» und «schlechte» eingeteilt werden. Zu den schlechten zählen beispielsweise Koli- oder Fäulnisbakterien. Solange ihr Anteil weniger als 15 Prozent beträgt, werden sie von den guten Bakterien in Schach gehalten. Laktobazillen und Bifidobakterien sind natürliche Gegenspieler der Kolibakterien und halten das Darmmilieu im Gleichgewicht. Der dichte Bakterienfilm auf der Darmschleimhaut schützt vor Infektionen mit schädlichen Bakterien, Viren, Parasiten und Pilzen. 

Interessanterweise werden die Bakterien des Mikrobioms vom Immunsystem nicht bekämpft, sondern toleriert. Es ist auf sie angewiesen, um schädliche Keime abzuwehren. Hinter den Kulissen passiert aber noch viel mehr: Eine der wichtigsten Aufgaben der Darmflora ist das Training des Immunsystems. Zwischen Darmflora und Zellen der Immunabwehr findet ein ständiger Austausch statt. Die Abläufe sind sehr komplex. Vereinfacht könnte man vielleicht sagen, dass die Darmflora das Immunsystem ein angemessenes Verhalten lehrt. Denn der Grat zwischen Unter- und Überreaktion ist schmal. Störungen der Darmflora können zu einer fehlerhaften Kommunikation mit dem Immunsystem führen und damit Autoimmunerkrankungen und chronische Entzündungen auslösen.

Eine Zeichnung von bunten, runden Mikroorganismen. | © unsplash Jeder Körper ist von Bakterien, Pilzen und Viren besiedelt. (unsplash)

Grenzkontrolle

Die Darmflora nährt und pflegt die Darmschleimhaut und erhält sie gesund, sodass sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Nebst der Aufnahme von Nährstoffen hat die Darmschleimhaut vor allem eine Funktion: den Organismus vor schädlichen Umweltstoffen zu schützen, die über die Nahrung in den Magen-Darm-Trakt gelangen. Enge Verknüpfungen zwischen den Zellen der Darmschleimhaut, sogenannte «tight junctions», sorgen dafür, dass Stoffe nicht beliebig durchschlüpfen und in den Blutkreislauf gelangen können. Erleiden diese abdichtenden Strukturen einen Schaden, wird der Darm durchlässig für toxische Substanzen wie Giftstoffe, Pilze, Krankheitserreger und unvollständig verdaute Nahrungsbestandteile. Das wiederum kann chronische Entzündungen und Autoimmunerkrankungen auslösen. Man nennt das auch «löchriger Darm» oder «leaky gut syndrome». 

Schon seit Längerem werden gewisse Pestizide aus der Nahrungsmittelindustrie verdächtigt, solche Schäden zu verursachen. Ausserdem gibt es Bakterien, deren Stoffwechselprodukte zur Zerstörung der Abdichtung beitragen. Cholera-Bakterien sind ein extremes Beispiel dafür, man wird sie nicht ignorieren, wenn sie zu heftigen Durchfällen führen. Anders bei Bakterien, deren Wirkweise etwas subtiler ist. Eine intakte Darmflora könnte die Barrierefunktion vor negativen Bakterien und Einflüssen schützen.

Die Darm-Hirn-Achse

Die kleinen Mikroben in unserem Darm beeinflussen sogar unser psychisches Wohlbefinden, indem sie über die Blutbahn und das Nervensystem mit dem Gehirn kommunizieren. Je nach Zusammensetzung der Darmflora kann das Mikrobiom eine Vielzahl biologisch aktiver Substanzen herstellen, darunter auch Botenstoffe wie GABA, Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Acetylcholin – dieselben Neurotransmitter, die im Gehirn unser Empfinden und Handeln steuern. In Tierversuchen wurden bereits einige Zusammenhänge untersucht. Die Studien wurden entweder mit axenischen Mäusen durchgeführt, die steril gehalten werden und über keinerlei Darmflora verfügen. Oder mit Tieren, deren Darmflora gezielt manipuliert wurde, beispielsweise mithilfe von Antibiotika, die einen gravierenden Einfluss auf die Darmflora haben können. 

Man spricht im Falle einer gestörten Darmflora auch von Dysbiose. Im Falle einer Dysbiose entsteht ein anderes, nicht gesundheitsförderndes Verhältnis der verschiedenen Bakterienarten untereinander. Es bedeutet, dass weniger gesundheitsfördernde und mehr schädliche Stoffe gebildet werden. In Tierversuchen hat sich gezeigt, dass Mäuse ohne bzw. mit einer künstlich gestörten Darmflora tatsächlich ein anderes Verhalten an den Tag legen. Sie sind weniger lernfreudig und aktiv, ängstlicher und depressiv, zeigen gesteigerte Stressreaktionen oder autistische Züge. 

Durch die Übertragung der Darmflora von gesunden Mäusen waren diese Effekte teilweise reversibel. Obwohl diese Daten natürlich nicht 1 : 1 auf Menschen übertragen werden können, legen diese Ergebnisse nahe, dass Darmbakterien Hirnstrukturen verändern und das Verhalten beeinflussen können. Depressionen, Angststörungen oder Autismus beispielsweise könnten zu einem Teil auch mit einer gestörten Darmflora zusammenhängen. Tierversuche lassen hoffen, dass sich diese Krankheiten lindern lassen, indem das Gleichgewicht einer gesunden Darmflora wiederhergestellt wird.

Der Link zu Übergewicht und Diabetes

Übergewicht wird durch die Ernährung, den Lebensstil, die Gene und – so wie es ausschaut – auch durch die Gene des persönlichen Mikrobioms bestimmt. Wie rasch oder langsam wir Fett ansetzen, hängt auch von der Zusammensetzung unserer Darmflora ab. Man hat axenischen Mäusen, die ganz ohne Darmflora aufgewachsen sind, die Bakterien von schlanken oder dicken Mäusen übertragen. Und siehe da – bei gleicher Nahrung haben sich die Mäuse wie ihre Spender entweder schlank oder fettleibig entwickelt. Das hängt vermutlich mit der unterschiedlichen Effizienz bei der Verdauung zusammen. Ausserdem beeinflusst die Darmflora das Sättigungsgefühl. Und bestimmt steckt noch viel mehr dahinter, denn sogar das Risiko für Krankheiten wie Diabetes, Fettleber und Arteriosklerose kann mit der Darmflora von einem Tier auf das andere übertragen und mit der richtigen Darmflora wieder reduziert werden. Auch die Darmflora der Menschen unterscheidet sich von Person zu Person und ist eng mit den Körperfunktionen verflochten. 

Es mag vielleicht befremdlich klingen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass diese kleinen Lebewesen durch Anzahl und Genetik viel zu unserer individuellen Persönlichkeit beitragen. Wir stehen erst am Anfang dieser aufregenden Forschung, aber es handelt sich dabei um einen der vielversprechendsten Ansätze für mehr Gesundheit und Lebensqualität.


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