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Weltradler mit über 70: 648.000 Kilometer um die Welt

Foto: Sennegemeinde Hövelhof

Heinz Stücke und seine Weltreise 52 Jahre, 648.000 Kilometer - alles auf dem Rad

1962 fuhr Heinz Stücke mit dem Fahrrad los. Sein Ziel: die Olympischen Spiele in Japan. Doch der Ostwestfale radelte immer weiter - rund um den Globus. Im Interview erzählt er, was er erlebt, wie er sich finanziert und was sich in den über 50 Jahren verändert hat.
Zur Person
Foto: Sennegemeinde Hövelhof

Heinz Stücke, 74, ist vom Beruf Radler. Er ist über 648.000 Kilometer gefahren und hat 196 Länder besucht. Seine Tour füllte 21 Reisepässe. Laut Travellers Century Club steht Stücke mit seinen 299 Destinationen kurz vor der diamantenen Mitgliedschaft, die es ab 300 Destinationen gibt. Dazu zählen auch Regionen und Territorien sowie nicht anerkannte Staaten. Von 1995 bis 1999 stand Stücke als "meistgereister Mann der Geschichte" im Guinness Buch der Rekorde. In seiner ostwestfälischen Heimat Hövelhof will man ihm zu Ehren sogar ein kleines Museum eröffnen.Webseite Heinz Stücke 

SPIEGEL ONLINE: Herr Stücke, wohin ging Ihre erste Radtour?

Stücke: Meine erste Reise führte mich 1958/59 rund ums Mittelmeer. Ich wollte die Welt sehen. Danach bin ich brav wieder nach Hause gefahren, nach Hövelhof in Ostwestfalen. Ich ging zurück in die Fabrik und arbeitete dort wieder als Werkzeugmacher.

SPIEGEL ONLINE: Wann ging es weiter?

Stücke: Im August 1960. Für diese zweite Reise verkaufte ich sogar meinen VW-Käfer, sie dauerte fast ein Jahr und führte mich bis nach Indien. Viel Geld hatte ich nicht. Deswegen heuerte ich auf einem norwegischen Schiff an, zwischen Bananen ging es über Singapur nach Russland. Doch das Fahrradfahren in Russland war sehr beschwerlich, auf Einzeltouristen waren die Russen nicht eingestellt. Ich wurde verhaftet, verhört und dann wieder freigelassen. In Moskau wies man mich aus, über Finnland und das Nordkap ging es zurück nach Ostwestfalen.

SPIEGEL ONLINE: Was war Ihr nächstes Ziel?

Stücke: 1962 nahm ich mir vor, mit dem Rad zwei Jahre lang nach Tokio zu fahren, zu den Olympischen Spielen. Doch daraus wurde nichts. Japan erreichte ich erst 1971. Es gab unterwegs so viel Spannendes zu erleben und zu entdecken. Irgendwann habe ich mir gedacht: Ich komme an, wenn ich ankomme. Und so langsam reifte die Erkenntnis, dass das mein Leben ist - und ich nicht zurück in die Fabrik wollte.

SPIEGEL ONLINE: Was für ein Rad hatten Sie damals?

Stücke: Unterwegs war ich mit meinem Torpedo-Dreigang-TriePad-Rad aus Paderborn. Den Hersteller gibt es nicht mehr, aber das Rad hielt bis heute durch.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie Ihre Reisen finanziert?

Stücke: Zunächst habe ich sehr wenig Geld ausgegeben. Bei Hunger mied ich Restaurants. Ich wartete, bis man mir ansah, dass ich hungrig war. Viele freuten sich, wenn ich bei ihnen zu Hause aß. Weil ich mit dem Rad fuhr, sah jeder, dass ich nicht viel Geld hatte. An mein Fahrrad habe ich eine Weltkarte mit meiner Route gehängt, das hat neugierig gemachte.

SPIEGEL ONLINE: Aber Sie mussten ja nicht nur essen. Wie haben Sie Ausgaben wie Ersatzteile oder Kleidung bezahlt?

Stücke: Ich habe eine Broschüre mit meinen Anekdoten von unterwegs verfasst. Ihr Umfang wuchs mit der Zeit von vier auf 20 Seiten. Wer es lesen wollte, konnte geben, was er wollte. Mal bekam ich 60 Cent, dann wieder 200 Euro pro Heft. In Kapstadt ging ich den Verkauf erstmals organisiert an. Ich habe meine Geschichte auch an Zeitungen verkauft oder in deutschen Klubs vorgestellt. So kamen manchmal Hunderte Dollar zusammen, in Japan 1972 waren es sogar 20.000 Dollar. Das reichte sechs Jahre lang. Außerdem verkaufte ich meine Fotos über eine britische Agentur. In den 51 Jahren habe ich vielleicht drei bis vier Monate gearbeitet.

SPIEGEL ONLINE: Wie teuer war das Leben unterwegs?

Stücke: Das hat sich stark verändert. In den Sechzigerjahren kostete mich ein Reisetag ein bis zwei Euro, Mitte der Neunzigerjahre waren es schon zwölf Euro.

SPIEGEL ONLINE: Gab es gefährliche Situationen?

Stücke: In Iran handelte ich mir Typhus ein und lag im Krankenhaus. In Sambia schossen mir Separatisten mit einer AK-47 in den großen Zeh, weil sie mich für einen Spitzel hielten. Das war sehr unangenehm. Ein zufällig vorbeikommender Deutscher brachte mich per Auto zu einer Erste-Hilfe-Station. In all den Jahren bin ich nie überfallen worden, Taschendiebstähle gab es schon. Mein Rad stahl man mir sechsmal, doch ich bekam es immer wieder zurück. Manchmal half mir sogar die Medien bei der Suche.

SPIEGEL ONLINE: Was sagte Ihre Familie zur Weltreise per Rad?

Stücke: Sie war davon nicht sonderlich begeistert, aber mein Vater akzeptierte es später. 1977 besuchte mich meine Familie für ein Wochenende in Arnheim. Nach all den Jahren hatten sie nur zwei Tage Zeit, denn am Montag mussten alle wieder an die Arbeit. Das hat mich schockiert, und so wollte ich es nicht. Mein Leben war so interessant, und das Heimweh wurde zu einer Heimangst.

SPIEGEL ONLINE: Wollten Sie in all den Jahren nie nach Hause zurück?

Stücke: Doch, das hatte ich tatsächlich vor und habe vielleicht zehnmal gesagt: In ein oder zwei Jahren bin ich wieder da. Erst wollte ich zur Fußball-WM 1974 zurückkehren. Dann wollte ich den legendären Marco Polo überholen, der 25 Jahre unterwegs war, schließlich alle Länder der Erde bereisen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist der Unterschied zwischen Reisen mit 20 und mit 70 Jahren?

Stücke: Als junger Mann hat man einfach eine größere Begeisterung. Alles ist neu, doch mit der Zeit wird es doch zur Routine. Ich habe mich dazu entschlossen, mit dem, was ich am besten kann, mein Leben zu gestalten.

SPIEGEL ONLINE: Hören Sie nun auf zu reisen?

Stücke: Nein, Reisen ist mein Leben. Ende Juli war ich noch bei einem Globetrotter-Treffen in Freiburg an der Elbe und fuhr an der Küste entlang dorthin.

SPIEGEL ONLINE: Was planen Sie als Nächstes?

Stücke: Jetzt sortiere ich Dias, meine Gedanken und Notizen - eine Heidenarbeit. Dann möchte ich gerne mehrere Bücher über mein Leben schreiben und veröffentlichen. Wohl Mitte September geht es zurück nach Hövelhof. Dort stellt mir die Gemeinde eine kleine Wohnung zur Verfügung. Im Ort beginnt der Emsradweg, ich kann den Radlern Fragen beantworten. Sozialleistungen möchte ich auf keinen Fall und werde für die Miete arbeiten. Mein Leben zeigt, dass es auch ohne Staat gehen kann.