Zum Inhalt springen

Türkische Studenten vor Gericht Vergib mir, ich habe getwittert

Sie studieren, sie demonstrieren, sie twittern - jetzt drohen ihnen drei Jahre Haft. In Izmir stehen 29 junge Türken vor Gericht, weil sie im Netz zu Protesten aufgerufen haben sollen.
Türkin mit Smartphone (Archiv): Erdogan empfindet soziale Medien als Bedrohung

Türkin mit Smartphone (Archiv): Erdogan empfindet soziale Medien als Bedrohung

Foto: OZAN KOSE/ AFP

Die Kappe ins Gesicht gezogen sitzt Emrah G., 28, vor dem Gerichtssaal in der türkischen Stadt Izmir. Der Student wartet auf die Verhandlung, in der es um seine Zukunft geht. Nervös tippt er auf seinem Smartphone herum. Mit jenem Telefon soll er im vergangenen Sommer Nachrichten über Twitter gesendet und laut Anklage andere dazu angestiftet haben, das Gesetz zu brechen - bis zu drei Jahren Haft drohen ihm bei Verurteilung.

Es ist der zweite Verhandlungstag in einem Fall, der erneut zeigt, welche Konsequenzen es in der Türkei haben kann, seine Meinung zu sagen. Erst am Osterwochenende wurden zwei regierungskritische Twitterkonten gesperrt. Ende März war der Zugang zu Twitter vollständig blockiert, YouTube lässt sich noch immer nicht aufrufen.

Als "Plage" hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Twitter im Sommer bezeichnet. Immer wieder hat er gezeigt, wie wenig er vom Internet hält. In der Anklageschrift ist der türkische Ministerpräsident als "Geschädigter" aufgeführt. Neben Emrah müssen sich 28 weitere Menschen wegen Aufwiegelung zum Protest in Izmir vor Gericht verantworten. Einige sollen den türkischen Ministerpräsidenten beleidigt haben. Die meisten der Angeklagten sind unter dreißig Jahre alt und Studenten.

"Wir leisten Widerstand", twitterten sie

Wie genau Emrah dem Ministerpräsidenten Schaden zugefügt haben soll, weiß er nicht. Er studiert Elektrotechnik an der Ege Universität in Izmir und arbeitet als DJ. Emrah hat im Sommer an den Gezi-Protesten teilgenommen und darüber getwittert, er teilte Telefonnummern von Anwälten und Ärzten. In einer seiner Nachrichten bittet er um Unterstützung, weil ein Jugendlicher durch Gummigeschosse verletzt wurde. Dass er sich dafür nun vor Gericht verantworten muss, dazu fallen ihm nur zwei Wörter ein: "Überrascht" sei er und "traurig".

Schon die Festnahme im Sommer habe gegen das Gesetz verstoßen, sagt Anwältin Hande Atay, die einige der Angeklagten vertritt. Einige Studenten seien bis zu 35 Stunden festgehalten worden, 24 Stunden seien im Regelfall erlaubt. Emrah legte gerade im Urlaubsort Cesme als DJ auf, als die Polizei vor seiner Wohnung stand. Als sie ihn nicht antrafen, bestellten sie ihn per Brief ins Polizeipräsidium.

Der ebenfalls angeklagte Özgün E. hatte nicht so viel Glück. Der 26-Jährige studiert Medien in Izmir und ist für Tweets angeklagt wie: "Wir leisten Widerstand unter dem Regen. Auf, Izmir, kommt nach Gündogu (Platz in Izmir - d. Red.)." Sieben Polizisten standen plötzlich abends vor seiner Haustür und nahmen ihn mit, erzählt er.

Warum, das sagten sie ihm nicht. Sie beschlagnahmten sein Telefon und hielten ihn mehr als 30 Stunden fest, so erzählt er es. Erst am nächsten Tag durfte er seine Familie und einen Anwalt anrufen. Die Daten auf seinem Mobiltelefon wurden erfasst, sein Zimmer durchsucht. Das Ziel der Festnahmen ist für Özgün klar: "Die Regierung will uns kontrollieren und einschüchtern", sagt er.

"Dieser Prozess hätte nie eröffnet werden dürfen"

In keiner der Nachrichten, die in der Anklageschrift aufgelistet sind, rufen die Demonstranten zu Gewalt auf. Die Nachrichten seien durch die Meinungsfreiheit geschützt, sagt Anwältin Atay. Ruhat Sena Aksener, die für Amnesty International den Prozess beobachtet, nennt das besorgniserregend. "Dieser Prozess hätte nie eröffnet werden dürfen. Dass die Anklage nicht fallen gelassen wird, ist ein schlechtes Zeichen für die Meinungsfreiheit im Land", sagt sie. Die gesamte Anklage sei unbegründet und ohne Fundament.

Nach dem zweiten Prozesstag am Dienstag ist das weitere Verfahren gegen die 29 Twitterer nun auf den 14. Juli verschoben. Würde es zu einer Verurteilung oder gar Haftstrafe von bis zu drei Jahren kommen, würde das die Zukunftspläne der Studenten zerstören.

Die beiden Angeklagten Emrah und Özgün gehen unterschiedlich mit der Ungewissheit um. Emrah ist vorsichtig und "tweetet lieber erst mal nicht", wie er sagt. Er will sich auf seine DJ-Karriere konzentrieren und hofft, dass alles gut ausgeht.

Özgün dagegen gibt sich kämpferisch und sagt: "Ich habe nichts gegen das Gesetz getan, sondern nur meine Meinung gesagt. Das werde ich auch weiterhin tun." Nächstes Jahr ist er fertig mit dem Studium, dann will er beim Fernsehen arbeiten und am liebsten eine neue Politiksendung ins Programm heben. Ein unabhängiges politisches Fernsehprogramm schwebt Özgün vor, denn so etwas gebe es in der Türkei nicht.

Erasmus-Student im türkischen Knast: "Angst, die Prüfung zu verpassen"
Foto: Deniz Schmick

Im Auslandssemester im Knast: 140 Männer, drei Schlafräume, ein Plumpsklo - Deniz Schmick, 28, landete in einem Gefängnis in Istanbul. Der deutsch-türkische Student war für ein Auslandssemester im Heimatland seiner Mutter - und wurde festgenommen. Wie konnte es dazu kommen? mehr...