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Gefährder aus Bayern Im Billigflieger auf und davon - trotz Fußfessel

Er wurde lückenlos überwacht und konnte sich doch über den Hamburger Flughafen absetzen. Ein mutmaßlicher Terrorist aus Syrien ist nach SPIEGEL-Informationen durch alle Sicherheitskontrollen spaziert. Wie ist das möglich?
Fußfessel (Symbolbild)

Fußfessel (Symbolbild)

Foto: Arne Dedert/ dpa

Um sieben Uhr schlugen die Beamten aus dem hessischen Bad Vilbel Alarm. Die Bediensteten der "Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder" (GÜL) meldeten einen ihrer Schützlinge als vermisst: Die Fußfessel von Hussein Z. sendete nicht mehr. Schon seit einer Stunde. Das letzte Signal war vom Flughafen Hamburg gekommen.

Große Sorgen hatten die Beamten an jenem Oktobermorgen zunächst nicht. Hussein Z. konnte sich der Fessel nicht entledigt haben - das hätte das Gerät gemeldet. Und durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen würde der Islamist damit auch nicht kommen, dachten sie. Umso erstaunter waren sie, als ihre Systeme Hussein Z. gegen neun Uhr plötzlich 2000 Kilometer südöstlich der Hansestadt wieder orteten: am Flughafen Athen. Getürmt war er an Bord eines britischen Billigfliegers.

Bundesweit tragen zurzeit 96 Männer eine Fußfessel. Sie alle werden von den Mitarbeitern der GÜL überwacht. Entsprechend nervös reagiert die bayerische Polizei auf die Flucht von Hussein Z. In deren internem Analysesystem galt er als Person mit hohem Risiko, als besonders gefährlicher Gefährder, dem ein terroristischer Anschlag zuzutrauen ist. Dennoch schaffte er es trotz Überwachung problemlos bis an Bord eines Flugzeugs. Im Ausland darf Hussein Z. von deutschen Beamten mittels Fußfessel nicht kontrolliert werden. Er ist dann mal weg.

Waffe gegen den Terror

Normalerweise werden Fußfesseln vor allem bei Sexualstraf- und Gewalttätern eingesetzt, die ihre Freiheitsstrafe verbüßt haben, aber weiterhin als Gefahr gelten. Nach mehreren islamistischen Anschlägen entdeckte die Bundesregierung die "elektronische Aufenthaltsüberwachung" jedoch auch als Wunderwaffe im Kampf gegen den Terrorismus. Gefährder, die noch keine Straftat verübt haben, sollen damit besser beobachtet und kontrolliert werden.

"Großes für die Sicherheit der Bürger" hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) versprochen, als er nach dem Berliner Weihnachtsmarktanschlag die Fußfessel als wesentlichen Teil eines Maßnahmenpakets durch den Bundestag brachte. Doch in der Praxis erweist sich die Fußfessel nicht unbedingt als taugliches Mittel, hochmobile Gefährder unter Kontrolle zu halten.

Bislang haben sich die Bundesländer in dieser Frage zurückgehalten. Bayern verabschiedete die notwendige Gesetzesänderung im Sommer, Baden-Württemberg folgte in dieser Woche, in Sachsen-Anhalt steht ein Gesetzentwurf zur Debatte, in Nordrhein-Westfalen schaffte es das Thema in den Koalitionsvertrag von CDU und FDP. Praktisch eingesetzt wurde die Technik bei Gefährdern jedoch bis dato bloß in Bayern - in zwei Fällen.

Zahlreiche Straftaten

Einer davon ist Hussein Z. Der 35-jährige Syrer kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Seitdem ist er der Würzburger Polizei durch zahlreiche Straftaten aufgefallen, unter anderem wegen Gewaltdelikten. Im Juni dieses Jahres erfuhr der Generalbundesanwalt durch Zeugenaussagen, dass Z. in Syrien Anführer islamistischer Rebellengruppen gewesen sein soll. Ermittler des Landeskriminalamts Bayern fanden Internetvideos, die Z. bei Kämpfen zeigen sollen.

Die Bundesanwaltschaft leitete daraufhin ein Verfahren wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ein. Doch die Beweislage war dünn: Z. soll für Gruppierungen gekämpft haben, über die die Karlsruher Ermittler nichts oder nur sehr wenig wussten. Für einen Haftbefehl reichte es nicht.

Allerdings wurde der Fall mehrfach im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) des Bundes und der Länder thematisiert. Z., so sagt es ein Beamter aus dem Sicherheitsapparat, habe sich "sehr, sehr merkwürdig verhalten", daher sei man besorgt gewesen.

Als Z. im August im Jobcenter Aschaffenburg mit Selbstmord drohte, verfügte das dortige Amtsgericht, dass er vorläufig in Gewahrsam zu nehmen sei. Zwei Monate verbrachte Z. in einer Art Präventivhaft, ohne dass ein Haftbefehl gegen ihn existierte - das bayerische Polizeigesetz machte es möglich. Dann wurde ihm die Fußfessel verordnet, Anfang Oktober kam Z. wieder frei.

Er zog nach Hamburg - zu Mutter und Schwester, die Fußfessel aus Bayern begleitete ihn. Nur Tage später flog er samt Fessel nach Athen.

Fußfessel funkt nicht

Insider aus Geheimdiensten, Polizei und Staatsanwaltschaften bezweifeln schon länger, dass Fußfesseln zur Gefahrenabwehr, zur Verhinderung eines Anschlags taugen. Sie können sich durch den Fall Hussein Z. nun bestätigt fühlen.

Immerhin meldete sich Z. zwei Tage vor seinem Abflug bei der Polizei und gab an, er werde demnächst über Griechenland in die Türkei reisen. Im türkisch-syrischen Grenzgebiet wolle er seinen kranken Sohn aus dem Krankenhaus holen und nach Deutschland bringen - woran ihn niemand hinderte.

"Ausreiseverhinderungsgründe lagen weder strafrechtlich, noch ausländerrechtlich oder polizeirechtlich vor", teilte die Polizei Würzburg auf Anfrage mit. "Auch war der Flughafen Hamburg aus rechtlichen Gründen nicht als Aufenthaltsverbotszone deklariert." Die bayerische Polizei darf einem Fußfesselträger nämlich nur Verbotszonen in Bayern auferlegen, nicht in anderen Bundesländern.

Die Würzburger Polizei informierte daher offenbar noch nicht einmal die für Ausreisekontrollen zuständige Bundespolizei. Und die wiederum hatte keine Handhabe, einen Fußfesselträger am Boarding zu hindern, weil Fußfesseln keine gefährlichen Gegenstände nach dem Luftsicherheitsverkehrsgesetz sind. Im Gegensatz zu einer Nagelschere darf eine Fußfessel an Bord eines Flugzeugs gebracht werden.

Aber was, wenn diese Geschichte des Hussein Z. nicht stimmt und der Gefährder nach Deutschland zurückkehren will, um einen Anschlag zu begehen?

Zwei Tage nach dem Abflug meldete sich Z. erneut bei den Behörden. Er sei nun in der Türkei angekommen, erklärte er den Beamten - wahrscheinlich will er wirklich nur seinen Sohn abholen.

Doch wo genau Z. steckt, wissen die Behörden nicht. Die Fußfessel funkt nicht mehr.