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Zschäpe im NSU-Prozess "Ich verurteile mein Fehlverhalten"

Nach mehr als 300 Verhandlungstagen brach Beate Zschäpe ihr Schweigen im NSU-Prozess. Sie hege "keine Sympathien mehr für nationalistisches Gedankengut", sagte die Hauptangeklagte. Wie geht es weiter? Der Überblick.
Beate Zschäpe (Archiv)

Beate Zschäpe (Archiv)

Foto: Peter Kneffel/ picture alliance / dpa

Knapp dreieinhalb Jahre und mehr als 300 Verhandlungstage dauerte es, bis Beate Zschäpe selbst das Wort ergriff. Am Vormittag war es so weit: Zschäpe, die als Mittäterin der NSU-Mordserie angeklagt ist, verlas vor dem Oberlandesgericht München eine kurze Erklärung.

Sie distanzierte sich von nationalistischem Gedankengut und sagte, sie "verurteile, was Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Opfern angetan haben".

Die beiden Männer, die 2011 tot in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden wurden, erschossen laut der Anklage der Bundesanwaltschaft zehn Menschen - neun Unternehmer mit Migrationshintergrund und die Polizisten Michèle Kiesewetter. Zschäpe, die mit den beiden Uwes jahrelang im Untergrund lebte, ist als Mittäterin der zehn Morde angeklagt.

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Die Angeklagte: Beate Zschäpe im NSU-Prozess

Foto: KAI PFAFFENBACH/ REUTERS

Was hat Zschäpe bislang ausgesagt?

In der ersten Phase des Prozesses verweigerte die Angeklagte jede Aussage. Hintergrund des Schweigens war eine Strategie ihrer Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Doch im Laufe des Prozesses war Zschäpe mit diesem Vorgehen nicht mehr einverstanden. Sie holte den vierten Pflichtverteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert als Wahlverteidiger dazu, die einen neuen Weg einschlugen.

Im Dezember 2015 verlas Grasel eine 53 Seiten umfassende Erklärung seiner Mandantin. Darin behauptete Zschäpe unter anderem, von den Morden ihrer Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jeweils immer erst hinterher erfahren zu haben. Sie beschrieb sich als ohnmächtige Mitläuferin.

Zschäpe ließ Grasel zudem eine Entschuldigung gegenüber den Opfern vortragen: "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte."

Als Reaktion auf ihre Einlassung stellten der Senat und später auch die Nebenkläger Dutzende Nachfragen - die Zschäpe mit mehrwöchiger Verzögerung ebenfalls schriftlich beantwortete und durch Grasel vortragen ließ. Fragen der Nebenkläger werde sie nur beantworten, wenn sie vom Gericht gestellt würden, teilte Zschäpe vor 14 Tagen mit. Tatsächlich machte der Senat sich dann einige Fragen zu eigen, deren Beantwortung noch aussteht.

Was hat Zschäpe jetzt persönlich gesagt?

Es war eine kurze Erklärung, die die Angeklagte schnell vorlas. In der Zeit, als sie Böhnhardt und Mundlos kennenlernte, habe sie sich "durchaus mit Teilen des nationalistischen Gedankenguts" identifiziert. Aber in der Zeit nach dem Untertauchen seien "Themen, insbesondere die Angst vor Überfremdung", zunehmend unwichtig für sie geworden.

Relativ deutlich distanzierte sie sich von der rechtsextremen Szene und ihren einstigen Weggefährten. Sie hege "keine Sympathien mehr für nationalistisches Gedankengut" und verurteile, "was Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Opfern angetan haben", behauptete Zschäpe.

Sie unterließ es, ihre Entschuldigung für die NSU-Opfer zu wiederholen, und verwies auf ihre Erklärung vom Dezember. "Ich verurteile mein eigenes Fehlverhalten", sagte Zschäpe lediglich.

Wie läuft der Prozess generell?

Der Tag, an dem sich Zschäpe erstmals persönlich zu Wort meldete, war der 313. Verhandlungstag im NSU-Prozess. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht München läuft seit dem 6. Mai 2013. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe unter anderem Mittäterschaft an zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen vor.

Außer Zschäpe sind vier mutmaßliche Unterstützer des NSU angeklagt: Carsten S., der umfänglich aussagte, und Ralf Wohlleben stehen wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor Gericht. Sie sollen Böhnhardt und Mundlos die Ceska beschafft haben, mit der neun Männer erschossen wurden. Wohlleben bestreitet das. Holger G. und André E. sind wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.

Wie geht es jetzt weiter?

Der nächste Meilenstein im Prozess steht bevor. Psychiater Henning Saß will dem Gericht zwischen dem 17. und 21. Oktober sein vorläufiges Gutachten über Beate Zschäpe schicken. Zschäpes Anwälte Grasel und Borchert hatten um einen Vorbericht gebeten, um gegebenenfalls noch reagieren zu können.

In dem Gutachten wird es um die Schuldfähigkeit, also ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gehen. Dabei spielt zum einen Zschäpes Alkoholkonsum eine Rolle, aber auch ihre angebliche emotionale Abhängigkeit von den beiden Uwes. Welchen Eindruck hat der Gutachter von Zschäpes Persönlichkeit? Ist Zschäpe so schwach, wie sie es vor Gericht behauptet hat? Oder taugt sie als gleichberechtigtes Mitglied der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund", wie es die Bundesanwaltschaft meint?

Saß wird sich auch dazu äußern, ob Zschäpe seiner Einschätzung nach gefährlich ist, also Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine Gefängnisstrafe angezeigt ist. Auch wenn der Auftrag von Saß nicht ist, die Glaubhaftigkeit von Zschäpes Aussage zu beurteilen, wird doch mit Spannung erwartet, ob er ihre Version aus psychiatrischer Sicht für nachvollziehbar hält oder nicht.

Lesen Sie im Laufe des Abends unsere große Analyse zu diesem Prozesstag, und sehen Sie die Einschätzung unserer Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen.