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Jakob Augstein

Angela Merkel Die Mutter der AfD

Angela Merkel verdient die Abwahl. Sie trägt die Verantwortung dafür, dass Nazis in den Bundestag einziehen werden. Aber egal, wem man seine Stimme gibt, Merkel wird Kanzlerin bleiben - lohnt es sich da überhaupt, wählen zu gehen?
CDU-Wahlplakat

CDU-Wahlplakat

Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP

Wenn eines Tages Bilanz gezogen wird über diese Kanzlerin und ihre Amtszeit, dann wird dies auf der Soll-Seite stehen bleiben: Angela Merkel ist die Mutter der AfD. Sie hatte die Wache, als die Nazis in den Bundestag kamen. Allein dafür würde Angela Merkel die Abwahl verdienen. Aber mit Merkel ist es wie mit dem FC Bayern München - es wird gewählt, und am Ende ist sie immer im Amt. Wem soll man also seine Stimme geben, wenn man der Kanzlerin die Quittung geben will? Oder lohnt es sich überhaupt, zur Wahl zu gehen?

Nazis. Hartes Wort. Verharmlost man damit nicht die Judenmörder und Weltkrieganzettler des "Dritten Reichs"? Nein. Der AfD-Mann Jens Maier fürchtet die "Herstellung von Mischvölkern" und will den deutschen "Schuldkult" beenden. Sein Kamerad Wilhelm von Gottberg zitierte einst voller Zustimmung einen italienischen Neofaschisten mit den Worten: "In immer mehr Staaten wird die jüdische ›Wahrheit‹ über den Holocaust unter gesetzlichen Schutz gestellt". Und die Äußerungen des Spitzenkandidaten Alexander Gauland, eine deutschtürkische Politikerin sei in Anatolien zu "entsorgen", und wir hätten das Recht, "stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen", die haben ja gerade die Runde gemacht.

Sigmar Gabriel hatte recht, als er neulich sagte, in naher Zukunft würden "zum ersten Mal nach 1945 im Reichstag am Rednerpult echte Nazis stehen".

Nun, da die braune Ernte eingefahren wird, lohnt es sich, an all die Tagelöhner zu erinnern, die in den vergangenen Jahren eifrig den Boden gedüngt haben, auf dem der Mist gewachsen ist.

Thilo Sarrazin, natürlich, der Pate der rechten Revolution, mit dessen halsbrecherischen Statistiken ein schmieriger Muslimhass in Deutschland sein bürgerliches Gesicht bekam.

Das Magazin "Cicero", in dem der Regisseur Oskar Roehler seine "Wutrede eines Enttäuschten" schreiben darf, in der er Merkel vorwirft, keine "Wurzeln in meinem Land" zu haben. Roehler verfilmt gerade ein Buch des Autors Thor Kunkel, der seinerseits inzwischen für die Werbekampagne der AfD verantwortlich ist.

Rüdiger Safranski, der freundliche Volkszornversteher, der gesagt hat: "Die Politik hat die Entscheidung getroffen, Deutschland zu fluten" - und damit die Menschen meinte, die vor dem Bürgerkrieg hierher geflüchtet sind. Safranski bekam neulich in der Frankfurter Paulskirche, mithin der Wiege der deutschen Demokratie, den Ludwig-Börne-Preis. Die Laudatio hielt Christian Berkel, ein in Berlin berühmter Schauspieler, der im Hause Springer wohlgelitten ist.

Beim Springer-Verlag wiederum - der jede Nähe zur AfD weit von sich weisen würde - ist der Publizist Henryk M. Broder beschäftigt, der mit seinem Blog "Achse des Guten" eine Spielwiese für Rechtsausleger eingerichtet hat. Zum Beispiel für Vera Lengsfeld, die mal für die CDU im Bundestag saß, nun aber gemeinsam mit Frauke Petry öffentlich auftritt.

Und so weiter und so weiter. Man muss das alles so kompliziert aufschreiben, um zu erklären, wie sich die rechten Kreise schließen. Denn die Petrys, Gaulands, Weidels, Höckes lassen ja nur die Masken fallen, hinter denen sich so mancher "ehrbare Bürger" noch verbirgt.

Aber die Aufsicht, als das Land nach rechts marschierte, hatte Angela Merkel. Die Verrohung des Bürgertums, die Prekarisierung der unteren Schichten, die Desillusionierung vieler Deutscher, was Gerechtigkeit der Verteilung und Gleichheit der Chancen angeht - das alles ereignete sich während Merkels Kanzlerschaft. Und all das steht an der Wiege der AfD.

Merkel ist die Mutter des Monsters. Sie verantwortet die wichtigste - und verheerendste - politische und gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen 25 Jahre.

Dennoch wird Merkel am kommenden Sonntag aller Voraussicht nach nicht abgewählt werden. Für jeden, der Merkel die Quittung geben will, stellt diese Wahl darum ein Dilemma dar: Wen soll man wählen? Oder soll man gar nicht wählen? Denn egal ob SPD, Grüne, FDP - alle streben zu Merkel. Der Selbstzerstörungstrieb der Sozialdemokraten scheint nicht zu stoppen, die Grünen haben gelernt, locker vom linken Standbein aufs rechte Spielbein zu wechseln, und für die FDP ist der Neustart von null in die Regierung mehr als nur eine "dornige Chance".

Nur wer ganz links oder ganz rechts wählt, weiß, dass seine Stimme am Ende der Kanzlerin nicht zur unverdienten vierten Amtszeit hilft. Man kann es den Leuten nicht verübeln, wenn sie da zu Hause bleiben. Es ist nämlich kein Zeichen von politischer Reife, sich immer wieder fürs kleinere Übel zu entscheiden. Sondern von Resignation.