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Fotostrecke

Foto-Künstler Alfred Ehrhardt: Der Avantgardist, der die Nazis austrickste

Foto: Alfred Ehrhardt Stiftung

Industriefotografie von Alfred Ehrhardt Friss mich, Maschine!

Welche Opfer muss der Mensch bringen, um ein Wirtschaftswunder zu ermöglichen? Macht er sich freiwillig zum Sklaven? Die historischen Fotos von Alfred Ehrhardt zeigen, wie der Arbeiter in einer Maschinenwelt verschwindet.

Ein Mann beugt sich über das Pflaster. Gigantische Anlagen aus Metall und Beton überragen ihn, sie werfen scharfkantige Schatten. Aus mehreren Öffnungen im Boden strömt weißer Dampf empor. Der Mensch ist nur da, um den Maschinen zu dienen.

Die Momentaufnahme des Fotografen Alfred Ehrhardt aus den Norddeutschen Kohlen- und Kokswerken auf der Hamburger Elbinsel Veddel ist jetzt in einer Ausstellung mit dem Titel "Hamburger Industriefotografie 1952" zu sehen. Von Februar bis März 1952 fotografierte Ehrhardt in Hamburg unter anderem Betriebe wie Shell, Montblanc, Sanella, Steinway & Sons, Carl Kühne, die Allgemeine Telefonfabrik, das Bergedorfer und das Ottenser Eisenwerk.

Der Zyklus über die Hamburger Betriebe war eine Auftragsarbeit, Technik und Industrie gehörten bis dahin nicht zu Ehrhardts Repertoire. Er schuf diese Bilder 1952 für eine Veröffentlichung der Handelskammer mit dem Titel "Hamburg als Industrieplatz" - man wollte dem Eindruck vorbeugen, die Hansestadt sei vorwiegend ein Hafen- und Handelsplatz.

Maschine frisst Mensch

Doch Ehrhardts Motive lassen sich nicht von der industriellen PR-Maschinerie vereinnahmen. Im Gegenteil. Sie werfen drängende Fragen auf. Welche Opfer muss der Mensch bringen, um ein Wirtschaftswunder zu ermöglichen? Macht er sich freiwillig zum Sklaven?

Auf jeden Fall ordnet er sich wieder und wieder den Prozessen der Industrie unter. Das verdeutlicht zum Beispiel ein Bild aus den Valvo-Werken der Deutschen Philips GmbH. Arbeiterinnen sitzen dort 1952 in Reih und Glied an langen Tischen wie in einem Setzkasten. Im Vidal & Sohn Tempo-Werk reihen sich die Werktätigen ein in die Serienfertigung der Autoindustrie.

Die Industriefotografien aus der Nachkriegszeit erinnern unweigerlich an Fritz Langs futuristischen Film "Metropolis" aus den Jahren 1925 und 1926, in dem die Arbeiter im Bauch der Stadt schalten und walten müssen wie Roboter. Die Architektur in Langs Arbeiterstadt wird jedenfalls mit dem damals zukunftsweisenden Bauhaus-Modernismus in Verbindung gebracht, der später auch Ehrhardt inspirierte.

Alfred Franz Adolf Ehrhardt wird am 5. März 1901 in der thüringischen Stadt Triptis geboren. Er studiert erst Musik in Weißenfels, dann bildende Künste in Gera und Hamburg.

Auf seinem eindrucksvollen Lebensweg  bringt Ehrhardt es vom Organisten - mit einer Vorliebe für Bach - zum Maler, Fotografen und Filmemacher. Im November 1928 geht er als Student und Hilfslehrer ans Dessauer Bauhaus. Dort studiert er nicht nur im Bauhaus-Vorkurs des deutschen Künstlers Josef Albers, sondern auch in den Malklassen von Paul Klee und Lyonel Feiniger sowie als Hospitant in der Bühnenwerkstatt von Oskar Schlemmer. Er hält Vorträge im Kreis um den russischen Expressionisten Wassily Kandinsky, einen Wegbereiter der abstrakten Kunst.

Der Mann, der mit der Kamera abstrakte Bilder schuf

Im Jahr 1933 wird Ehrhardt, inzwischen Dozent für Materialkunde an der Landeskunstschule Hamburg, von den Nazis entlassen. Sie lehnen den Dessauer Modernismus ab, er gilt ihnen als "kulturbolschewistisch". Nach einer Zeit im dänischen Exil beginnt Ehrhardt mit seinen Wanderungen ins deutsche Wattenmeer zwischen Scharhörn und Neuwerk.

Mit dem Fotoapparat komponierte Ehrhardt abstrakte Bilder, die im Dritten Reich in der Malerei verpönt waren: Die in den Jahren 1933 bis 1936 entstandenen Aufnahmen zeigen von Wind und Meer geformte Sandstrukturen. Die Wattfotografien werden 1936 in einer Ausstellung gezeigt, sie reisen im folgenden Jahr sogar durch mehrere Städte. Die Serie gilt als Ehrhardts erfolgreichste und begründet sein Renommee als Avantgarde-Fotograf.

"Bereits als Dozent für Materialkunde hatte Ehrhardt gelehrt", schreibt die nach ihm benannte Stiftung , "dass anorganische Materie nicht tot, sondern ein lebendiges Element sei." Einige der Watt-Aufnahmen, mit denen der Fotograf weltberühmt wurde, sind denn auch in der aktuellen Ausstellung zu sehen. Denn Ehrhardt setzt ihre Bildsprache mit einigen seiner Industriebilder fort: Auch deren geometrische Formen und Kontraste ähneln abstrakten Gemälden, einen Teil dieser Bilder können Sie in der Fotostrecke entdecken.


"Hamburger Industriefotografie 1952", bis zum 17. Juli in der Hamburger Handelskammer . Der Katalog zur Ausstellung kostet 15 Euro.