Analyse Die Denker der neuen Rechten

Düsseldorf · Rechtes Denken wird in vielen Ländern Europas wieder populär. Es ist auch zum Ausdruck einer verunsicherten Gesellschaft. Schon vor 100 Jahren war die Angst ein bedeutsames Thema deutscher Philosophen.

Winfried Kretschmann gehört unter den Politikern hierzulande nicht zu den Alarmisten, die eigene Ratlosigkeit gerne mit Bedrohungsszenarien garnieren. Doch der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg klingt dann doch besorgt, wenn er am Rande einer Großveranstaltung zu bedenken gibt, dass fast die Hälfte der AfD-Abgeordneten im Landtag seines Ländles promoviert sind. Das fällt einem ehemaligen Gymnasiallehrer sofort auf: dass jene, die größere Teile der deutschen Gesellschaft weiter nach rechts ziehen, Akademiker und Intellektuelle sind.

Die neue Rechte versucht sich nicht ausschließlich in Rhetorik; sie sucht auch nach einem gedanklichen Unterbau - einem Fundament unter anderem für ihre Islam- und Migrantenfeindlichkeit. Emotionen scheinen auf diese Weise versachlicht, nachweislich und wahr zu werden. Diese Feindbilder vereint die Rechten in ganz Europa als kleinsten gemeinsamen Nenner. Er reicht aus, weil mit einem benennbaren und greifbaren Gegner das Unbehagen an der Gegenwart nicht diffus bleibt. Die verbreitete existenzielle Unsicherheit findet ein Gegenüber. Der Blick wendet sich ab von der Flüchtlingstragödie hin zur Sicherheitspanik, so der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman.

Die deutsche Mittelschicht, sagen manche Soziologen, mausert sich zu einer Klasse der Überforderten. Ihr Grundgefühl ist die Unruhe; und ihre Antwort darauf: Bewahrung von dem, was man kennt. Heimat spielt eine Rolle, die Sehnsucht nach einer nationalen Identität und nach einer sprachlich, ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaft, die es so nicht mehr gibt. Der Zuzug von Fremden wird dann als Angriff auf vertrautes Leben empfunden.

Ein solches Gefühl der Unruhe haben etliche Philosophen seit Beginn des 20. Jahrhundert empfunden, beschrieben, problematisiert. Mit dem Verdikt von Friedrich Nietzsche, "Gott ist tot", ist den Menschen auch die letzte metaphysische Sicherheit abhanden gekommen. Die Denker der Angst haben vor allem in der Erfahrung des Ersten Weltkriegs - der Urkatastrophe der Menschheit - reichlich Nahrung gefunden. Oswald Spengler denkt 1918 über den "Untergang des Abendlandes" nach; Edgar Julius Jung beschreibt 1927 "Die Herrschaft der Minderwertigen" und Arthur Moeller van den Bruck bereits 1923 "Das Dritte Reich". Zusammen mit Carl Schmitt sind sie die Stichwortgeber und Vordenker einer konservativen Revolution.

Sie schreiben und denken gegen eine pluralistische Gesellschaft an, die sie für den Zustand der Welt in die Verantwortung nehmen wollen. Dazu gehört nicht selten die Kritik am Parlamentarismus - zur Zeit der Weimarer Republik gerne als "Schwatzbude" abgekanzelt. Nicht alle sind dann auch Nazis gewesen; doch ist ihr Denken Wegbereiter für ein rechtsradikales Weltbild geworden.

Epochen miteinander zu vergleichen, ist stets eine problematische Sache. So ist die Zeit der Weimarer Republik und ihr Gefühl der Unruhe kein Abziehbild unseres heutigen Gesellschaftsklimas. Doch finden sich Motive und Verbindungslinien bis in unsere Gegenwart hinein. Selten werden Pfade des Denkens zum ersten Mal beschritten.

Der wahrscheinlich wichtigste Brückenschläger zur Gegenwart ist Arnold Gehlen, der als alter Kopf der neuen Rechten gilt. Plötzlich ist der 1976 in Hamburg gestorbene Denker wieder aufgetaucht - ein Gewährsmann und "Denkmeister des Konservativen". Wenn eine Gesellschaft zu zerfallen droht, erscheint die Nation letzter Garant zu sein. Genau das ist Gehlens Spielfeld, mit seiner Lehre von der Institution. In ihrem Mittelpunkt steht der Staat als eine Art Grammatik unserer Lebenswelt. Der Wunsch nach Ordnung im Chaos wird darin manifest. Das kann nur funktionieren, wenn die Institution stark ist - frei von Erosionen.

Gehlens Lehre von der Institution speist sich aus vielen Quellen. Eine davon ist seine anthropologische Erkenntnis vom schwachen Menschen, dem er bereits 1940 sein zentrales Werk widmet. Danach ist der Mensch durch und durch ein "Mängelwesen", ziemlich defizitär in seiner biologischen Ausstattung. Der Mensch, so Gehlen, ist von Natur aus ein Kulturwesen, das angewiesen ist auf eine starke Ordnung. Aber kein sogenannter Führer und keine Partei sollten die Herrschaft innehaben, sondern allein der Staat.

Gehlen - am Tag der Arbeit 1933 zusammen mit Heidegger und Schmitt in die NSDAP eingetreten - wird gern als Unzeitgemäßer beschrieben. Manches in seinem Denken ist der Angst entsprungen und war einer Zeit geschuldet, die Anzeichen der Auflösung trug. Institutionen wurden zur Antwort auf vermeintliche Zerfallsprozesse. Die Besorgten hierzulande finden bei ihm erneut einen ausreichenden Resonanzboden. Sein Denken macht ihn für alle Verunsicherten attraktiv - und findet Denker, die seinen Faden aufnehmen.

So gelangt man in die Jetztzeit und landet bei Marc Jongen, Philosoph, Autor und einst Assistent von Peter Sloterdijk in Karlsruhe. Jongen ist für das weltanschauliche Rüstzeug der AfD zuständig. Er warnt vor der kulturellen Selbstabschaffung der Deutschen, fordert die Aufstockung der Polizeikräfte, warnt vor schrankenloser Überschwemmung durch Migranten und polemisiert gegen die "gigantische Selbstüberschätzung Europas", für die Gerechtigkeit der Welt sorgen zu können. Hypermoral vergifte das gesellschaftliche Klima und sei nicht lebbar, sagt er. Die Antwort auf alle Umbrüche unserer Zeit ist stets die gleiche: Bewahrung, Identität, Geschlossenheit. "Das Konservative ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt", schrieb AfD-Politiker Alexander Gauland schon 1991. "Was immer gilt" - eine solche Gewissheit beschreibt aber keine Wirklichkeit, sondern nur eine Sehnsucht.

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