Eigentlich reicht eine einzige Zahl, um zu zeigen, warum der europäische Umgang mit Griechenland in der Flüchtlingspolitik ein Skandal ist: 16.000. So viele anerkannte Asylbewerber warten laut der Europäischen Asylbehörde EASO in Griechenland auf ihre Weiterreise in andere europäische Länder. Die EU hatte sich darauf geeinigt, Flüchtlinge aus den Ländern am Rand, also Griechenland und Italien, in andere Staaten umzusiedeln. Damit die Lasten etwas fairer verteilt sind. Europäische Solidarität eben.

Aber in der Praxis ist Europa unsolidarisch. Insgesamt gerade mal 13.456 der bis September zugesagten fast 100.000 Personen wurden bis Anfang März umgesiedelt. Dabei ist alles bereit. Die 16.000 Menschen in Griechenland sitzen, metaphorisch und in manchen Fällen tatsächlich, auf gepackten Koffern. Aber sie sitzen da fest. Die anderen Länder nehmen sie einfach nicht auf. Sie halten sich nicht an ihre Zusagen. Sie lassen Griechenland allein. Das Land muss sich ja auch schon um die Unterbringung und die Verfahren aller Neuankömmlinge kümmern, die seit dem EU-Türkei-Abkommen die Inseln in der Ägäis nicht mehr verlassen dürfen. Das belastet die Behörden, den schmalen Haushalt und den sozialen Zusammenhalt in Griechenland.

Anstatt endlich Solidarität zu beweisen, setzen die europäischen Staaten noch eins drauf. Auch das deutsche Innenministerium will nun wieder Asylbewerber, die über Griechenland zu ihnen gekommen sind, in das kleine Land zurückschicken. Anstatt Griechenland wie zugesagt zu entlasten, wollen sie ihm noch mehr aufbürden. Es ist sehr verständlich, dass der griechische Außenminister Nikos Kotzias sich weigert und schimpft: "Es gibt einige EU-Staaten, die denken, dass sie Süditalien und Griechenland als geschlossene Boxen gebrauchen können, wo man Flüchtlinge lagern kann."

Den Rand Europas allein gelassen

Die atemberaubend unsolidarische Vorstellung der europäischen Staaten hat leider eine rechtliche Grundlage: Die Dublin-Übereinkunft hat vor 20 Jahren die Unsolidarität zum Prinzip erhoben. Bis heute, in der dritten Version (Dublin III), legt dieses Abkommen fest, dass jener EU-Staat für den Asylbewerber zuständig ist, den dieser als erster betreten hat. Es lässt den Rand Europas allein, die Länder in der geografischen Mitte sind fein raus. Auf diese Abkommen berufen sich jetzt diejenigen, die Menschen nach Griechenland schicken wollen: Wir halten uns doch nur an die Regeln.

Schon vor 2015 war Dublin ein zwar juristisch einwandfreies, aber moralisch verwerfliches Gebilde. Aber dass auch nach 2015, nach der Flüchtlingskrise, noch so viele Staaten und Politiker diese zum Gesetz gewordene Perfidie noch für richtig und umsetzbar halten, ist schier unglaublich. Hat die Krise doch gezeigt, dass die Regelung nicht funktioniert. Die Flüchtlinge zogen weiter nach Mitteleuropa, nach Deutschland vor allem, und Deutschland tat gut daran, sich nicht an Dublin zu halten. Denn das hätte ja bedeutet, alle 800.000 Asylbewerber zurückzuschicken nach Griechenland oder Italien. Dublin musste ausgesetzt werden, damit Europa eine humane und zumindest in Ansätzen gemeinsame Antwort finden konnte.

Verrat an den eigenen Idealen

Teil dieser Antwort waren die Umsiedlungsvereinbarungen. Sie sollten zeigen: Europa hat verstanden, dass die Flüchtlinge ihre gemeinsame Verantwortung sind. Das war und ist der richtige Weg. Dass sich viele EU-Staaten nun nicht an diese Zusagen halten (Deutschland schneidet statistisch auch nicht sehr gut ab, hat ja aber auf eigene Faust viele aufgenommen) und stattdessen Dublin reaktivieren wollen: Das wäre nichts anderes als eine politische Kehrtwende und eine erneute Abkehr von der europäischen Solidarität. Es ist gut, dass zumindest Außenminister Sigmar Gabriel die Rückführungen nach Griechenland nun bei seinem Besuch in Athen wieder in Frage gestellt hat.

Die Dublin-Regelung bleibt aber ein Skandal. Sie steht  für den Verrat an den eigenen Idealen. Europa sollte die Regelung jetzt nicht wieder auf griechische Kosten umsetzen. Europa sollte Dublin endlich abschaffen.