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Fotostrecke

Fotograf Maltête: Aus der Sicht eines Querkopfs

Fotograf René Maltête Konstrukteur des Zufalls

Ein Mann spielt Schach gegen sein eigenes Spiegelbild, aus einem zerbeulten Auto ragt ein Gipsarm heraus. René Maltête fotografierte nach dem Zweiten Weltkrieg absurde Alltagssituationen in Paris.

Sein Name bedeutet so viel wie "Querkopf". Als René Maltête Anfang der Fünfzigerjahre aus der Bretagne nach Paris kam, war er froh, nie wieder zur Schule gehen zu müssen. Als Teenager in der Provinz hatte er sich vor allem für das Fotografieren interessiert. Nun träumte er davon, Filme zu drehen. In Paris assistierte er bald bekannten Regisseuren wie Jacques Tati und Claude Barma. Dabei verspürte er jedoch wenig Lust, sich mühsam hochzuarbeiten. Eine eigene Filmkamera konnte er sich nicht leisten. Von dem Geld, das er durch Gelegenheitsjobs verdiente, kaufte er sich deshalb 1956 eine Semflex 6x6, eine erschwingliche Kopie der legendären deutschen Rolleiflex.

Maltêtes erster Fotoband "Paris des rues et des chansons" (Paris der Straßen und der Lieder) erschien 1960 und wurde ein Riesenerfolg. Neben seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen waren Gedichte bekannter Lyriker und Chansonniers wie Jacques Prévert, Maurice Chevalier, Serge Gainsbourg, Charles Aznavour oder Georges Brassens abgedruckt. Von dem Buch wurden rund 35.000 Exemplare verkauft. Und plötzlich rissen sich Zeitungen und Magazine in aller Welt um die Fotos.

Humor ist "kaltes Sperma im Orgasmus der Gewohnheit"

Maltête suchte seine Fotomotive mit Vorliebe auf den Straßen der französischen Hauptstadt: Arbeiter auf Baustellen, spielende Kinder, Hausfrauen, Bistros mit Gardinen hinter den Fenstern oder Angler auf den Kaimauern entlang der Seine. Ihn interessierte dabei nicht nur die Welt der kleinen Leute, sondern vor allem auch die skurrile Seite des Alltags. Humor sei "kaltes Sperma im Orgasmus der Gewohnheit, ein schwerer Schlag gegen Tabus und bequeme Regeln", zitiert ihn die Autorin Anne Certain im Vorwort zu dem Buch "Des yeux plein les poches" (Die Taschen voller Augen). Wer lachen könne, stelle seine Intelligenz und geistige Gesundheit unter Beweis, meinte Maltête.

In einem Park scheint eine große steinerne Statue nachdenklich ein sich küssendes Liebespaar zu beobachten. Voller Komik ist auch ein Foto, das einen Flöte spielenden Mann auf einer Treppe zeigt. Auf der Baustelle vor ihm ringelt sich ein Schlauch, der sich wie eine Schlange von dem hellen Untergrund emporzurecken scheint. Wen stört es schon, dass Letzeres eine optische Täuschung ist? Andere Bilder entstanden am Meer und auf dem Land. Ein Arm reckt sich hilfesuchend aus einem Rettungsring empor. Oder ein schwarzer Overall und ein weißer Frauenunterrock, die an einer Wäscheleine baumeln, werden durch einen Windstoß in einer Umarmung vereint.

Inszenierte Überraschungen

Nicht alle Fotos sind allerdings spontane Schnappschüsse. Mal waren die Lichtverhältnisse nicht ideal, oder Maltête hatte den Finger nicht schnell genug auf dem Auslöser. Wie ein Regisseur kehrte er dann mit der Idee im Kopf an den Ort des Geschehens zurück und legte sich mit der Kamera so lange auf die Lauer, bis die Aufnahme perfekt im Kasten war. Auf diese Weise entstand beispielsweise ein geniales Foto von sieben Nonnen, die eine Plakatwand passieren, auf der ebenso viele nackte Frauen zu sehen sind. "7 Todsünden" steht darüber.

Manchmal stellte er lustige Situationen mit seiner Familie nach, die dabei inkognito blieb. Erst Jahre später lüftete sein Sohn Robin das Geheimnis. Auf dem Foto "Frühjahrsputz" etwa gehen Robin Maltête und sein Großvater auf der Straße unter einem Schirm, während die Mutter am geöffneten Fenster einen Teppich über ihnen ausschüttelt. Zu sehen ist sie außerdem auf dem Foto "Pin-up", auf dem sie im Bikini am Strand liegt. Ihr Gesicht verdeckt sie mit dem Magazin "Paris Match", auf dessen Titel ein Geistlicher abgebildet ist. Sein Vater sei zu allem entschlossen gewesen, sagte Robin Maltête nach dem Tod des Fotografen im Jahr 2000 der Zeitung "Ouest France": "Um ein Bild zu machen, hätte er sogar einen Flugzeugträger umgeleitet."