Große Koalition:Die SPD ist besser als ihr Ruf

Große Koalition: SPD-Chef Gabriel: Seine Partei dominiert momentan die Bundespolitik.

SPD-Chef Gabriel: Seine Partei dominiert momentan die Bundespolitik.

(Foto: AP)

Reform der Leiharbeit, Mindestlohn - die Politik der SPD dominiert die große Koalition. Die Sozialdemokraten sind weitaus erfolgreicher, als sie selbst glauben.

Kommentar von Nico Fried

Es ist nicht überliefert, ob die Kanzlerin am Montag den Wertekongress der SPD verfolgt hat. Aber man wird ihr von der Begeisterung vieler Sozialdemokraten für die Reinigungskraft Susanne Neumann erzählt haben, die den Nutzen eines Verbleibs der SPD in der Regierung mit den Schwarzen anzweifelte. Das Ergebnis des Koalitionsausschusses vom Dienstagabend wirkt jedenfalls so, als hätten Angela Merkel und Horst Seehofer in zuletzt seltener Eintracht beschlossen, der SPD ein wenig Argumentationshilfe zu geben. Mit der Reform von Leiharbeit und Werkverträgen ist wieder ein sozialdemokratisches Projekt verwirklicht worden. So schön kann Mitregieren sein.

Die große Koalition als Regierungsform ist zuletzt grundsätzlich in Misskredit geraten. Sie gilt im Allgemeinen als ein Grund für das Erstarken der AfD. Im Besonderen wird das an der Flüchtlingspolitik festgemacht, wobei noch nicht abschließend geklärt wurde, ob die Flüchtlingspolitik als solches mehr Verdruss geschaffen hat oder der unablässige Streit darüber, insbesondere in der Union. Seit der Regierungskrise in Wien und dem Erstarken der FPÖ erscheint das gemeinsame Regieren zweier Volksparteien nun sogar per se als demokratieschädlich.

Das aber ist denn doch ein wenig alarmistisch, nicht nur weil Österreich nur sehr bedingt zum Vergleich mit Deutschland taugt. Die große Koalition ist zweifellos kein wünschenswerter Dauerzustand, allein schon weil unterschiedliche Bündnisse nicht immer, aber immer wieder auch personelle Wechsel herbeiführen, die Politiker an der Macht nur ungern von sich aus veranlassen. Eine große Koalition verändert, ja, sie lähmt häufig sogar den politischen Diskurs, weil sich die Polarisierung auflöst. Allerdings bestimmt sich die Wahrnehmbarkeit einer parlamentarischen Opposition nicht nur aus den Prozentergebnissen, sondern auch aus der Fähigkeit ihres Personals, sich Gehör zu verschaffen. In Deutschland ist Letzteres das größere Problem.

Die wachsende Skepsis gegenüber der großen Koalition liegt außerdem in einem kurzen Gedächtnis begründet. Es ist noch nicht so lange her, dass sich zumindest eine große Mehrheit der Deutschen bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise oder außenpolitischen Konflikten wie der Ukraine-Krise mit der großen Koalition am sichersten fühlte. Die Vorliebe für einen möglichst breiten Konsens leben die Deutschen im Übrigen auch dann aus, wenn sie formal nicht von Union und SPD gemeinsam regiert werden: Kaum haben sie eine kleine Koalition ins Amt gehoben, erschweren sie ihr in den Landtagswahlen die Regierungsarbeit. Deswegen hatte sowohl die letzte rot-grüne als auch die letzte schwarz-gelbe Regierung binnen kurzer Zeit eine Mehrheit im Bundesrat gegen sich.

Die SPD leidet nicht am Bündnis, sondern an sich selbst

Für einen politischen Charakter wie Angela Merkel ist diese Gleichgewichtspolitik ideal. Kriegst du hier was, nehm' ich hier was. Um neuen Ärger mit Horst Seehofer zu vermeiden, hat sie zum Beispiel der Kaufprämie für Elektroautos zugestimmt. Weil die Unions-Fraktion darüber sauer ist, sagt sie den Abgeordneten Mitsprache beim Energiegesetz und Hilfe für die Milchbauern zu. Und weil die SPD die Neuregelung der Leiharbeit bekommt, erhält die Union die Flexi-Rente. Tauschhandel als Regierungsprinzip: Merkel kann das am besten. Deshalb war die Kanzlerin nach vier Jahren Verschleiß so froh, dass sie 2013 die FDP als Regierungspartner wieder los war. Und die Deutschen waren es mehrheitlich auch: Endlich wieder große Koalition.

Die Gemütslage der SPD sieht anders aus. Sie dominiert thematisch die Politik von Schwarz-Rot und leidet trotzdem darunter. Dabei leidet sie in Wahrheit nicht am Bündnis, sondern an sich selbst. Viele Sozialdemokraten freuen sich vermutlich nicht im selben Maße darüber, dass sie jetzt den Missbrauch der Leiharbeit einschränken, wie sie sich weiter dafür schämen werden, ihn überhaupt ermöglicht zu haben.

Seit der Agenda-Politik Gerhard Schröders bestimmt, allen Erfolgen zum Trotz, schlechtes Gewissen die sozialdemokratische Identität. Eine Korrektur wie den Mindestlohn empfindet die SPD in erster Linie als Eingeständnis der Schande; nicht als logische Konsequenz aus der Tatsache, dass bei Reformen auch Fehler gemacht werden, und zwar umso mehr, je mutiger die Reformen sind.

Insofern ist es durchaus konsequent, dass deutsche Sozialdemokraten auch mit Blick auf Österreich der schwarz-roten Regierung 2017 endgültig den Rücken kehren wollen. Den dortigen Kanzler Werner Faymann verbindet mit manchem Genossen hierzulande, dass er eine einst für richtig erachtete Politik nicht durchgestanden hat. Mit der Größe einer Koalition aber hat das rein gar nichts zu tun.

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