Wie Wirte Gäste erziehen möchten

Vom Aufpreis für Wenigesser zur Zahlungspflicht bei Nichterscheinen: Wirte lassen sich einiges einfallen, um ihre Margen zu verbessern und dem Mangel an Kooperationswillen mancher Gäste zu begegnen.

Urs Bühler
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Wer nur eine Nachspeise bestellt, muss mit Strafgebühren rechnen. (Bild: AP)

Wer nur eine Nachspeise bestellt, muss mit Strafgebühren rechnen. (Bild: AP)

Die Luft ist dünn geworden in der hiesigen Gastrobranche. Margendruck, hohe Personalkosten, Essgewohnheiten, die sich verändert haben, und zunehmende Saloppheit der Kundschaft machen Wirten zu schaffen. Manche versuchen, sich in diesem schwierigen Umfeld mit dem Erschliessen neuer Einnahmequellen zu behaupten, etwa, indem sie Leitungswasser kostenpflichtig ausschenken. Und zurzeit macht ein Begriff die Runde, der eher nach Amts- denn nach Gaststuben riecht: «Deckungsbeitrag». Anlass dazu bietet ein von Zeitungen aufgegriffener Eintrag auf Facebook, dem Pranger des Internetzeitalters, zu einer Massnahme des Speiserestaurants Neumarkt in Zürichs Altstadt: Wer abends nur eine Vorspeise wählt, zahlt 10 Franken Aufpreis – auf der Karte als «Deckungsbeitrag für unsere Dienstleistungen» deklariert.

Wenigesser als Schmarotzer?

René Zimmermann, der Wirt des bekannten und beliebten Restaurants, verteidigt in einer Stellungnahme auf der Homepage seinen seit rund anderthalb Jahren praktizierten Ansatz. Seit dessen Einführung stünden die Plätze wieder den Stammgästen zur Verfügung, die froh seien, «die Profiteure nicht quersubventionieren zu müssen», schreibt er unzimperlich. Vorher hätten immer mehr Leute das Ambiente samt lauschigem Garten geniessen wollen, ohne angemessen zu konsumieren. Dabei seien die Preise angesichts des Standards von Küche und Service sehr moderat. Auch könne man an der betriebseigenen Bar durchaus nur ein Häppchen essen, und von den meisten Hauptgängen würden mit einem zehnprozentigen Preisabschlag kleinere Portionen serviert.

Im «Certo» und in der «Alpenrose», an denen er ebenfalls beteiligt ist, sei kein Eingreifen nötig gewesen, erläutert Zimmermann auf Anfrage. Im «Neumarkt» aber habe man klarstellen müssen, dass dies ein Speiserestaurant und keine gemütliche Höcklerbeiz sei. Das habe man mit der Massnahme erfolgreich durchgegeben, sagt er – räumt allerdings ein, so richtig glücklich sei er mit seiner Regelung selber nicht. Also setze sein Personal sie mit Augenmass um. Am liebsten wäre ihm, jeder Gast zahlte einen Grundbetrag für die Nutzung der Infrastruktur, ähnlich, wie es etwa in Italien unter dem Titel «Pane e coperto» gang und gäbe ist.

Ein vergleichbares Modell wie der «Neumarkt» praktiziert das «L'O» am See in Horgen: Dessen Team behält sich laut Hinweis auf der Speisekarte vor, einen «Gedeck- und Servicebeitrag» von 17 Franken 50 zu verrechnen, falls jemand sich auf Vorspeisen beschränkt. Andere Betriebe halten auf der Karte fest, kleine Portionen von Hauptgängen seien nur als Vorspeise erhältlich. So handhabt es Bruno Exposito, Wirt der «Schützengasse» hinter Zürichs Bahnhofstrasse. «Ein Platz kostet mich Geld. Wer einen Tisch in einem Restaurant reserviert, muss bereit sein, einen gewissen Frankenbetrag auszugeben», findet er. Schliesslich gehe auch nicht ins Kino, wer sich keinen Film anschauen wolle.

Gäste, die seinem Prinzip nicht Folge leisten, hat Exposito auch schon weggeschickt. Dieser mässig gastfreundliche Akt widerfuhr etwa einem Herrn aus Olten, der sich letzten Herbst in einem Leserbrief an die NZZ darüber beklagte. Bei der Frage, wie viel dieser zu konsumieren bereit gewesen war, gehen die Darstellungen auseinander. Exposito bestätigt aber, den Mann und dessen Begleiterin am besagten Samstagabend aus dem Lokal gewiesen zu haben, da keine Hauptspeise bestellt worden sei.

Wie Exposito stellt auch Zimmermann einem beachtlichen Teil der Kundschaft kein besonders gutes Zeugnis aus: «Oft fehlt es am Grundanstand», sagt der «Neumarkt»-Wirt. Tatsächlich sind in Speiselokalen mitunter dreiste Gäste zu beobachten, die etwa zu Stosszeiten ein Glas Wasser trinken und dann noch ein mitgeführtes Gipfeli dazu verspeisen möchten. Ob Massnahmen der geschilderten Art geeignete «Erziehungsmethoden» sind, ist allerdings nicht nur bei der Kundschaft, sondern auch branchenintern sehr umstritten.

Rolf Hiltl vom «Haus Hiltl» etwa zeigt zwar Verständnis dafür, dass ein Speiserestaurant zu kämpfen hat, wenn zwei Gäste sich nur eine Suppe teilen wollen. Doch mit Zwängen zu operieren, hält er für den falschen Weg: «Ich persönlich bin klar der Meinung, dass der Gast die Freiheit haben soll, zu konsumieren, was er will.» Als «durchaus korrekt» wird Zimmermanns Version eines «Deckungsbeitrags» hingegen von Michel Péclard bezeichnet, der in Zürich sieben Betriebe führt und als einer der erfolgreichsten Köpfe der Branche gilt. Er hätte selbst schon gern zu solchen Massnahmen gegriffen, sagt er. Aber als er in einem Lokal einmal eine «Coperto»-Gebühr erhoben habe, hätten das die Gäste derart negativ aufgenommen, dass er sie wieder aufgegeben habe.

Ansätze dieser Art haben hierzulande (noch) Seltenheitswert, wie auch der Branchenverband Gastrosuisse festhält. Kommentieren will dessen Direktor Remo Fehlmann sie indes nicht; es gälten die unternehmerischen Freiheiten seiner Mitglieder, hält er auf Anfrage fest, solange diese ihre Angebote und Konditionen klar auf der Karte deklarierten. Was dabei funktioniere und was nicht, darüber befänden letztlich die Gäste, die frei seien in ihrer Entscheidung, eine Dienstleistung zu beanspruchen. Eine solche koste überall Geld, auch beim Garagisten oder beim Elektriker, gibt er zu bedenken. Kein Betrieb könne es sich auf die Dauer leisten, sein Angebot zu verschenken. Allerdings räumt er indirekt ein, dass dabei stets abgewogen werden muss: «Das Gastgewerbe ist eine emotionale Branche, die vom menschlichen Kontakt lebt. Das Image spielt eine entsprechend grosse Rolle. Unserer Erfahrung nach wird es stark geprägt von Faktoren wie Gastfreundschaft, Angebots- und Servicequalität, Freundlichkeit und Ambiente.»

10 Franken pro Liter Wasser

Ebendiese Balance droht aus dem Lot zu geraten, wenn ein Gewerbe Dienstleistungen mehr und mehr einzeln aufrechnet, bis Gäste vielleicht gar für den Toilettengang oder die Nutzung der Stoffserviette separat zahlen müssen. Man fühlt sich an die Diskussionen um das Leitungswasser erinnert: Während im Tessin der Gesetzgeber gar ein kostenloses Glas Trinkwasser zur Hauptmahlzeit vorschreibt, trifft man in Zürich mittlerweile auf Unverschämtheiten: Verlangt werden bis zu 10 Franken pro Liter, mit Verweis darauf, das aus dem Hahnen sprudelnde Nass werde nachträglich aufbereitet – in einer Stadt mit legendärer Trinkwasserqualität notabene. Der «Neumarkt» hat in dieser Frage seinen Kompromiss gefunden: Für Leitungswasser wird 3 Franken 50 pro Gast verlangt, dafür darf er es à discrétion geniessen, immerhin.