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Von Beruf Lektor "Die meisten haben keine Chance auf Veröffentlichung"

Er quält sich durch miese Texte und wundert sich über die Großspurigkeit mancher Hobby-Literaten: Ein Lektor berichtet von seinem Alltag in einem Großverlag - und wie er die Bestsellerautoren von morgen findet.
Traumjob Lektor? Viele Manuskripte sind nur mittelmäßig

Traumjob Lektor? Viele Manuskripte sind nur mittelmäßig

Foto: OLIVIA HARRIS/ Reuters

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.

"Es wundert mich immer wieder, wie viele Menschen Bücher schreiben wollen - und glauben, dass sie es können. Science-Fiction-Fans entwerfen Schreckensszenarien, wie unser Planet in 30 Jahren aussehen wird. Rentner stricken eine Geschichte um ihren Urgroßonkel, der vor hundert Jahren die Welt verändert haben soll. Es werden die absurdesten Texte eingereicht, und ich bekomme etwa zehn davon am Tag. Bei den meisten ist schnell klar, dass kein großer Schriftsteller dahintersteckt, sondern ein Mensch, der nicht genügend Talent besitzt.

Der erste Eindruck entsteht beim Anschreiben. Schrecklich ist es, wenn da so was steht wie: 'Sie dürfen sich glücklich schätzen, als erster Mensch dieses Werk zu lesen.' Oder: 'Meinem Literaturprofessor hat meine Arbeit sehr gut gefallen.' Es gibt viele, die davon überzeugt sind, gerade einen Bestseller abzuliefern. Die wollen dann oft auch alles sehr professionell angehen und schicken ganze Marketingpläne inklusive aufwendig gestalteter Buchumschläge mit. Das schreckt mich ab, weil ich ahne, dass eine Zusammenarbeit schwierig wäre.

Ein gutes Anschreiben ist ganz simpel, darin muss nur stehen, an welchen Schreibwerkstätten der Autor teilgenommen, wo er schon publiziert und welche Preise er gewonnen hat.

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Foto: Verena Brandt/ UNI SPIEGEL

Ausgabe 4/2015

Der schwarze Blog
Wie Studenten Jagd auf ungeliebte Profs machen

Diesmal mit Geschichten über studentische Plagegeister, Spring Break für Mediziner und den Spätfolgen der Loveparade 2010. Wollt ihr das Heft nach Hause bekommen?Abo-Angebote für StundentenDen UNI SPIEGEL gibt es kostenlos an den meisten Hochschulen.UNI SPIEGEL 4/2015: Heft-Download

Bei meinem Arbeitgeber bin ich nun seit 14 Jahren für deutsche Literatur zuständig, und von den meisten Manuskripten lese ich nur die ersten 10 bis 15 Seiten, das reicht oft schon. Wenn ich unsicher bin, gehe ich noch mal in der Mitte rein, um herauszufinden, ob der Ton noch stimmt. Bleibt man hängen? Erzählt da jemand originell - oder konventionell und langweilig?

Große Überraschungen im Plot gibt es selten, gerade bei den jungen Autoren sind die Themen recht vorhersehbar: Es geht meistens um das Abnabeln von zu Hause oder irgendwelche selbst erlebten Sex- und Drogeneskapaden.

Autoren sollten sich auf keinen Fall nach Trends richten, denn wer weiß schon, was beliebt ist, wenn das Buch irgendwann erscheint. Trotzdem gibt es gewisse Konjunkturen. Die Faszination für Erotikliteratur nimmt schon wieder ab, dafür schreiben im Moment viele darüber, wie sie nach dem Finanzcrash 2008 aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. Die Themen ändern sich, aber was seit Jahren gleich bleibt, ist meine Erschütterung darüber, wie viel Mittelmäßiges mit sehr viel Energie geschrieben wird.

Es gibt Tage, an denen ich gerührt bin angesichts all der Menschen, die Manuskripte einschicken und dann keine Chance auf Veröffentlichung haben. Da verschanzt sich einer jahrelang in seinem Kämmerlein - und am Ende wird das Werk doch nicht erscheinen. Das muss wehtun, denn Schreiben ist ja kein normales Hobby wie Sport.

Der Sportler hat einfach Spaß an dem, was er tut, mehr Belohnung braucht er in der Regel nicht. Der Hobbyschriftsteller verarbeitet aber oft seine persönliche Lebensgeschichte und ist erst dann zufrieden, wenn sein Werk von möglichst vielen gelesen wird. Wir Lektoren sind diejenigen, die diesem unbändigen Wunsch nach Öffentlichkeit im Wege stehen. Darüber rede ich auch mit meinen Kollegen, das fordert uns alle am meisten. Das - und die oft geringe Qualität.

Schon unsere Verlagsvolontäre können erkennen, wenn etwas nicht gut ist. Schwieriger ist es, dieses Urteil zu begründen, wobei die Autoren, die ungefragt ihre Manuskripte eingeschickt haben, keine Absagen mit Begründungen bekommen. Das ist wichtig, denn sonst würden wir schnell in die Betreuerfunktion rutschen und die leicht abgeänderten Manuskripte ein weiteres Mal im Postkasten finden. Viele Schreiber sitzen einem Missverständnis auf: Als Verlag sind wir keine Literaturförderinstitution, sondern ein Unternehmen, das am Jahresende eine positive Bilanz liefern muss.

Zeit zum Lesen bleibt oft erst abends

Die meisten interessanten Texte erreichen mich sowieso über Empfehlungen. Die Literaturagenturen sind gute Filter, ich lese Literaturzeitschriften, fahre zu Festivals, gehe zu Poetry Slams und biete Schreibwerkstätten an. Dass jemand im stillen Kämmerlein vor sich hin schreibt und dabei etwas Geniales zustande bringt, kommt ganz selten vor.

Wenn wir jemanden unter Vertrag nehmen, dauert es noch mal ein Jahr bis zur Veröffentlichung. In dieser Zeit arbeiten Autor und Lektor intensiv zusammen, zuerst geht es um die großen strukturellen Fragen, die Plots und die Psychologie der Figuren, dann werden Stilfragen und einzelne Sätze diskutiert. Auch das Marketing braucht seinen Vorlauf. Daher bin ich tagsüber eher so etwas wie ein Projektmanager, zum Lesen komme ich oft erst abends.

Grundsätzlich sind die Zeiten für junge Autoren besser geworden. Es ist für alle Verlage selbstverständlich, Nachwuchstalente im Programm zu haben. Vielleicht steigen auch deshalb die Bewerberzahlen für die Literaturinstitute in Leipzig und Hildesheim. Doch auch wenn die Buchverkäufe stabil sind, ist neben dem großen Stamm an Hausautoren nicht viel Platz im Verlagsprogramm. Die Chance, dass das eingesandte Manuskript veröffentlicht wird, ist also nach wie vor klein."

Buchbranchen-Quiz