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Facebook-Spam Russland-Freunde aus der rechten Ecke

Viele deutsche Medien werden mit einer Flut konzertierter Facebook-Kommentare konfrontiert. Gefordert werden eine russlandfreundliche Haltung und Berichte über Demonstrationen rechter Verschwörungstheoretiker.
Vermeintliche Anonymous-Seite bei Facebook: "Bombt die Medien mit Kommentaren zu!"

Vermeintliche Anonymous-Seite bei Facebook: "Bombt die Medien mit Kommentaren zu!"

Foto: facebook/Anonymous

Ein paar Dutzend, vielleicht auch ein paar hundert Facebook-Nutzer sind seit Dienstag dabei, die Kommentarspalten vieler deutscher Medien mit Spam zu füllen. In kopierten und immer wieder eingefügten, vorgefertigten Beiträgen wird behauptet, Medien wie der Deutschlandfunk, die ARD, die "Wirtschaftswoche" oder auch SPIEGEL ONLINE hätten "Blut an den Händen", und zwar wegen ihrer Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine - die sei zu russlandkritisch. Außerdem wird den Medienhäusern vorgeworfen, "Montagsdemonstrationen" zu ignorieren, an denen jede Woche "mehrere tausend" teilnähmen. Angeblich stammen die Aufrufe aus dem Umfeld des Aktivistenkollektivs Anonymous. Daran aber gibt es berechtigte Zweifel.

Viele der so angegangenen Medien haben reagiert, manche mit Entschuldigungen, manche mit sachlichen Verweisen auf die mangelnde Nachrichtenrelevanz der Veranstaltungen, von denen da die Rede ist. Die Neuauflage der "Montagsdemonstrationen" war ursprünglich eine Aktion von Gegnern der Hartz-Reformen für den Arbeitsmarkt.

Mittlerweile aber ist der Begriff offenbar mancherorts von einer seltsamen Mischung aus Esoterikern und rechten Verschwörungstheoretikern vereinnahmt worden. Deren Demonstrationen finden parallel zu denen der Hartz-IV-Kritiker statt.

"Faschistoide Sprüche"

Bei den Demonstrationen in Berlin tritt beispielsweise der ehemalige Radiomoderator Moustafa Kashefi alias Ken Jebsen auf, den sein Arbeitgeber, der RBB, einst entließ, nachdem er durch antisemitische Äußerungen aufgefallen war. Verteilt wird bei den Demonstrationen die neu-rechte Publikation "Compact", die ihrer Selbstbeschreibung zufolge den "Totalitarismus der neuen Weltordnung" attackiert, gegen Schwulenrechte, Einwanderer und, aktuell, "Nato-Marionetten" wettert. Wladimir Putin gilt "Compact"  als rechtschaffener, zu Unrecht kritisierter Anführer, vielleicht wegen seiner Haltung zum Thema Homosexualität oder weil auch er gern die USA kritisiert.

Die Anti-Hartz-IV-Montagsdemonstrationen, die ihren Namen ihrerseits von den Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 übernommen haben, feiern demnächst ihr zehnjähriges Bestehen. In etwa 80 bis 100 Städten versammeln sich dort mal nur zehn oder 20, mal auch 80 oder hundert Teilnehmer, um die Arbeitsmarktreformen oder andere politische Entscheidungen zu kritisieren. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE distanzierte sich einer der Organisatoren , Hans Nowak, energisch von der Vereinnahmung des Namens durch die Neurechten: "Dagegen wehren wir uns, weil da faschistoide Sprüche gebracht werden, das gibt es bei uns nicht."

"Bombt die Medien mit Kommentaren zu!"

Ein Video, das vor einigen Tagen auf einer Facebook-Seite mit der irreführenden Adresse "Anonymous.Kollektiv" veröffentlicht wurde, fasst die krude Gedankenwelt der neuen Gruppierung zusammen, eine Mischung aus Antiamerikanismus, Antisemitismus, Esoterik und Verschwörungstheorien: Von "Deumerika" ist da die Rede, von übermächtigen Bankhäusern mit jüdischen Namen, von der "Klimalüge", der "Vermännlichung der Frauen" - und schließlich sogar von der bizarren Theorie von den "Chemtrails" am Himmel.

Von dieser Facebook-Seite ging auch die aktuelle Spam-Welle aus. Zum "digitalen Guerillakrieg auf den Facebook-Seiten deutscher Medien" wurde dort aufgerufen, komplett mit Links zu den Auftritten von etwa drei Dutzend Medien. Es sollten auch "kommende Demo-Termine" gepostet werden, so der Aufruf: "Bombt die Medien mit Kommentaren zu!"

Genau das geschah dann auch, oft sehr zum Unmut der übrigen Nutzer der jeweiligen Facebook-Seiten.

Bei Anonymous kann man nicht Mitglied werden

Wie viele Nutzer sich genau an der Aktion beteiligten, ist nicht einfach zu ermitteln, bei SPIEGEL ONLINE dürften es insgesamt einige hundert Kommentare gewesen sein, die allerdings von deutlich weniger Nutzern kamen - viele Accounts warfen per Copy and Paste diverse Male dieselben Einlassungen in der Kommentarspalte ab. Bei anderen Medien lief es ähnlich. Den Aufruf selbst teilten bis Mittwochabend gut 7000 Facebook-Accounts, manche gehören Anhängern der AfD, manche solchen der NPD, andere Anhängern esoterischen Gedankenguts - und manche sehen reichlich ungenutzt aus.

Ein Problem mit der Aktion haben auch Anonymous-Aktivisten. Sie distanzieren sich an mehreren Orten im Netz unmissverständlich von der Seite und ihrer politischen Ausrichtung.

Sowohl Anonymous-Aktivisten als auch das Magazin "Vice" berichten, ein gewisser Mario Rönsch sei der Administrator der Facebook-Seite. "Die Seite 'Anonymous.Kollektiv' bzw. 'Anonymous' von Mario Rönsch hat nichts mit Anonymous zu tun", heißt es bei den Aktivisten.

Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bestritt Rönsch jedoch, die Stelle zu kennen. Er gab auch an, er könne mit dem Begriff Administrator einer Facebook-Seite nichts anfangen, was zumindest überraschend ist: Er ist der Geschäftsführer eines Unternehmens, bei dem man für Geld Facebook-Likes und -Fans einkaufen kann, wie der SPIEGEL 2012 berichtete .

In nun vielerorts veröffentlichten Anonymous-Stellungnahmen heißt es, dass Rönsch "nur seine eigene politische Einstellung und Meinung auf dieser Seite verbreitet und zulässt", Kommentare von Anonymous-Aktivisten würden dort gelöscht.

Anonymous ist keine Organisation, sondern eher eine Marke, wenn überhaupt eine lose Gruppierung. Jeder kann sich den Namen und die Insignien aneignen und für sein persönliches Projekt einspannen, und genau das haben die Betreiber der Facebook-Seite "Anonymous.Kollektiv" offenbar getan.

Auch die deutsche Website "Anonymous News Germany", die regelmäßig etwa über Anonymous-Aktionen gegen Scientology berichtet, distanzierte sich von der Facebook-Seite. Man wolle sich dann aber doch lieber wieder "wichtigeren Themen wie Zensur, Informationsfreiheit, Scientology, etc. widmen".

Nachtrag der Redaktion: Dieser Beitrag war zwischenzeitlich aufgrund einer einstweiligen Verfügung um die Mario Rönsch betreffenden Passagen verkürzt. Das Thüringer Oberlandesgericht hat inzwischen jedoch bestätigt, dass wir insoweit in zulässiger Weise den Meinungsstand dokumentiert hatten. Das Magazin "Vice" allerdings darf aufgrund eines Urteils nicht mehr behaupten, dass Rönsch der Administrator der fraglichen Facebook-Seite war. "Vice" ist es vor Gericht nicht gelungen ist, diese Annahme gerichtsfest zu beweisen.

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