Hinrichtung trotz weltweiter Proteste: Deshalb musste Reyhaneh Jabbari sterben

BILD spracht mit dem Onkel und dem Anwalt der jungen Iranerin

Von: Von CARLY LAURENCE und BJÖRN STRITZEL

Keiner konnte sie retten...

Irans berühmteste Gefangene Reyhaneh Jabbari (26) wurde vergangenen Sonnabend trotz weltweiter Proteste hingerichtet. Was bleibt sind Unverständnis, Wut und Trauer – die Welt weint um eine junge Frau, die sterben musste, weil sie sich selbst verteidigte.

Noch immer ranken sich Gerüchte um den aufsehenerregenden Fall der jungen Iranerin. Was passierte wirklich? Handelte Reyhaneh Jabbari in Notwehr? Warum waren die weltweiten Proteste vergebens?

Diesen und weiteren Fragen ist BILD nachgegangen und hat mit dem Onkel der Iranerin, Fariborz Jabbari (57), und ihrem ersten Anwalt, Mohammad Mostafaei (41), über die Akte Jabbari gesprochen.

Der Tathergang

Reyhaneh war 19 Jahre jung, als sie Dr. Morteza Abdolali Sarbandi in einer Eisdiele kennenlernte. Gerade erst hatte sie ihre Ausbildung zur Innenarchitektin abgeschlossen. Dr. Sarabandi zeigte sich angetan von der jungen Absolventin und bat sie, für ihn zu arbeiten. Er lockte sie in seine Wohnung. Dort griff er sie an und versuchte Reyhaneh zu vergewaltigen, sagte sie nach ihrer Festnahme.

Was geschah genau?

Fariborz Jabbari bestätigt die Aussage seiner Nichte und fügt hinzu: „In Notwehr griff Reyhaneh ein Messer, verletzte ihn am Halsbereich. Später wurde festgestellt, dass der Mann Kondome dabei und Schlafmittel in ein Getränk getan hatte. Diese Akten wurden vor Gericht nicht berücksichtigt.“

Auch Reyhanehs erster Anwalt, Mohammad Mostafaei, erwähnt im Gespräch mit BILD die gefundenen Kondome sowie das Schlafmittel. Und er spricht von Nachrichten, die Sarbandi der jungen Frau geschickt haben soll. Diese sollen belegen, dass er Reyhaneh bedrängte.

Mostafaei sagt auch, dass sie nicht auf seine Avancen eingehen wollte. Reyhaneh war eingeschüchtert, da Sarbandi als Mitglied des iranischen Geheimdienstes viel Macht hatte.

„Sie wollte ihn nicht töten“, betont der Rechtsanwalt.

In mehreren Medienberichten kam immer wieder die Anwesenheit einer dritten Person vor Ort zur Sprache. Das bestätigt auch Mostafaei: „Es gibt Beweise, dass eine weitere Person vor Ort war. Reyhaneh sagte aus, dass eine andere Person namens Sheiki mit Sarbandi zusammen dort war. Doch dieser verließ die Wohnung, als Sarbandi verletzt wurde.“

Rechtsanwalt Mostafaei erwähnt im Gespräch auch eine CD mit Dokumenten des Toten, die während der Ermittlungen verschwunden sei. Auf mehrmalige Anfrage um Herausgabe der Daten oder Kopien wurde nicht eingegangen. Mostafaei: „Die Ermittlungen waren unfair.“

Der Prozess

Nach ihrer Verhaftung wurde Reyhaneh zunächst zwei Monate in Einzelhaft gesteckt und von Mitarbeitern des Geheimdienstes verhört, sagt ihr Onkel. Insgesamt saß sie sieben Jahre im Gefängnis, fünf davon im Todestrakt.

Nachdem ihre Tochter inhaftiert wurde, verständigten Reyhanehs Eltern den Rechtsanwalt für Menschenrechte, Mohammad Mostafaei, der landesweit für die Betreuung solcher Fälle bekannt ist. Er wollte sich ein eigenes Bild machen und besuchte Reyhaneh mehrmals im Evin Gefängnis in Tehran. Dort erzählte sie ihm, was geschehen war. „Als ich sicher war, dass sie sich nicht des Mordes schuldig gemacht hatte, wurde ich ihr Anwalt.“

Die Verzweiflung ist Mohammad Mostafaei (41, 1.v.r.), Reyhanehs Rechtsanwalt, deutlich anzusehen. Er war ihr erster Anwalt und war erschüttert, als er von der Hinrichtung der jungen Iranerin hörte

Die Verzweiflung ist Mohammad Mostafaei (41, 1.v.r.), Reyhanehs Rechtsanwalt, deutlich anzusehen. Er war ihr erster Anwalt und war erschüttert, als er von der Hinrichtung der jungen Iranerin hörte

Foto: AP/dpa

„Ich habe versucht, Reyhaneh zu retten und habe sehr viel gearbeitet, aber leider hat das System bei diesem wichtigen Fall gewonnen“, sagt Mostafaei im BILD-Gespräch.

2008 wird Reyhaneh zum Tod durch Erhängen verurteilt. Sechs Jahre lang hoffte die Familie auf eine Begnadigung.

Aufgrund ihres Geständnisses wird sie des Mordes an dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter schuldig gesprochen. Mohammad Mostafaei erwähnt einen Paragraphen im iranischen Gesetzbuch. Dieser besagt: „Auch wenn jemand eine andere Person ohne Absicht tötet, kann dieser mit dem Tod bestraft werden.“

Nach den Angaben des Rechtsanwalts werden mehr als 90 Prozent solcher Fälle anhand dieses Paragraphen verurteilt. So auch Reyhaneh.

Ihr Anwalt, ihre Familie und auch Mitarbeiter der UN betonten immer wieder, dass das Geständnis auf Druck der Ermittler entstanden ist. Stattdessen beharrte sie jahrelang auf ihrer Aussage, Dr. Sarbandi habe versucht sie zu vergewaltigen und sie hätte in Notwehr gehandelt.

Warum fand ihre Aussage kein Gehör?

„Wegen der Macht! Sarbandi war Mitglied des iranischen Geheimdienst und seine Familie hat ein gutes Verhältnis zum Geheimdienst. Wäre Sarbandi ein einfacher Mann gewesen, wäre Reyhaneh der Todesstrafe entgangen. Es war ein sensibler Fall und die Entscheidung der Richter war rein politisch“, sagt Rechtsanwalt Mostafaei.

Ihr Onkel sagt, dass es dem Geheimdienst darum ging, die „Ehre“ des Toten und dessen Familie wiederherzustellen – und auch die Ehre des Geheimdienstes selbst.

Der erste Richter, der Reyhaneh freisprechen wollte, wurde versetzt. Der nachfolgende Richter, der sie zum Tode verurteilte, ist regimetreu.

Einzig die Familie des Toten hätte die Hinrichtung stoppen können. Nach dem iranischen Recht, der „Kisas“, dem Vergeltungsrecht, hätten sie Reyhaneh begnadigen können. Doch die Familie war überzeugt, Reyhaneh hätte den Familienvater kaltblütig ermordet. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ zitiert Sarbandis ältesten Sohn wie folgt: „Only when her true intensions are exposed and she tells the truth about her accomplice and what really went down will we be prepared to grant mercy“, (zu deutsch: „Nur wenn ihre wahre Absichten aufgedeckt werden und sie die Wahrheit sagt über ihre Komplizin und was wirklich passierte, werden wir bereit sein, Gnade zu gewähren.“).

Die Hinrichtung

Doch in den frühen Morgenstunden des vergangenen Samstag fand Reyhaneh den Tod durch den Strang.

Zuvor war die Familie mehrmals benachrichtigt worden, dass Reyhaneh gehängt werden solle. Doch an diesem Morgen wurde die Nachricht zur traurigen Wahrheit. Fariboz Jabbari: „Am Freitag konnte sie ihre Eltern ein letztes Mal sehen. Sie hatte Fieber vor Angst. Auch ihre Anwältin durfte nicht zu ihr, obwohl das selbst nach iranischem Recht vorgeschrieben ist. Sie war in den letzten Stunden ganz alleine. Kurz vor der Hinrichtung sollte sie noch ein „Geständnis“ in eine Kamera sprechen, aber sie weigerte sich.“

Von der Hinrichtung erfuhren ihr Onkel und ihr ehemaliger Rechtsanwalt durch die Familie. Fariboz Jabbari: „Ich habe mit ihren Eltern telefoniert, die vor dem Gefängnis standen. Meine Schwägerin weinte und schrie. Stellen Sie sich das vor: Ihr Kind ist hinter diesen Gefängnismauern und soll hingerichtet werden – und Sie können nichts tun!“

Mohammad Mostafaei, der aufgrund eines Haftbefehls und auf Druck der Regierung seine Heimat 2010 verlassen musste, erfuhr vom Tod seiner ehemaligen Klientin von ihrer Mutter Sho`le Pakravan, mit der er bis heute in engem Kontakt steht.

Der weltweite Protest...

... blieb unerwidert. Das Entsetzen war groß, als die Welt von der geplanten Hinrichtung der jungen Frau erfuhr. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon (70), der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz (58), die damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton (58) – nur einige der bekannten Persönlichkeiten, die sich für die Verurteilte einsetzten.

Eine für Reyhaneh ins Leben gerufene Petition wurde von Hunderttausenden Menschen unterschrieben. Auch im Iran versammelten sich die Menschen, um gegen das Verfahren zu protestieren.

Die Zukunft

Reyhaneh konnte nicht gerettet werden. Doch ihre Familie wünscht sich, dass durch ihren Fall die Welt auf die Vorgehensweise des Unrechtstaates aufmerksam wird. Ihr Onkel fügt hinzu: „Für uns wird Reyhaneh weiterleben. Wir hoffen, dass die Flamme der weltweiten Aufmerksamkeit für Reyhaneh den vielen anderen Menschen hilft, die im Iran in der Todeszelle sitzen. Unter dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani werden mehr Leute hingerichtet als unter seinem Vorgänger Ahmadinedschad. Alle schauen auf ,ISIS‘ und deren barbarische Taten. Der einzige Unterschied zum iranischen Regime: ,ISIS‘ ist stolz auf die Morde, der Iran vollstreckt sie verborgen hinter Gefängnismauern und leugnet sie feige. Die Welt muss begreifen, dass mit diesem Mörder-Regime kein Dialog möglich ist. Es hilft nur Druck.“

Das barbarische Rechtssystem des Iran

Unter dem aktuellen Präsidenten, Hassan Rohani (65), wurden mehr Menschen hingerichtet als unter seinem Vorgänger. Reyhaneh ist nur eine von mehr als 250 Menschen, die in diesem Jahr am Strang oder durch eine Steinigung getötet wurden.

Rohani ernannte Ende 2013 Mustafa Pourmohammadi (54) zum Jutizminister. Pourmohammadi war im Geheimdienstapparat in den 1980-er Jahren für die Exekution von 30 000 Regimegegnern verantwortlich. Menschenrechtsorganisationen haben gegen seine Ernennung zum Justizminister protestiert. Von Human-Rights-Watch wurde er damals als „Minister of Murder“ tituliert.

Gerade dieses grausame Vorgehen bewegte Jabbaris Anwalt, Mohammad Mostafaei, dazu Rechtsanwalt zu werden. Mit nur 14 Jahren sah er zum ersten Mal eine öffentliche Hinrichtung. Ein Schlüsselmoment, der seinen späteren Werdegang bestimmte. Aufgrund seiner Arbeit war er dem iranischen Justizsystem ein Dorn im Auge und musste nach der Inhaftierung seiner Frau und zwei weiteren Familienmitglieder das Land verlassen. Heute lebt er in Norwegen und setzt sich noch immer für die Menschenrechte im Iran ein.

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