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Richard David Precht "Mir persönlich macht die AfD keine Angst"

Richard David Precht: "Mir persönlich macht die AfD keine Angst"
Richard David Precht, 52, ist von Beruf Philosoph. In seinen Büchern beschäftigt er sich mit den Fragen des Menschseins. Regelmäßig mischt er sich auch in gesellschaftliche Debatten ein
© Matthias Jung/Laif
Warum ist die AfD so stark? Was läuft falsch in der deutschen Gesellschaft? Richard David Precht spricht im stern-Interview über Fehler, Gefühle und – das Böse.

Herr Precht, die Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und der FDP ist offenbar die einzige Option für eine Bundesregierung. Wie schätzen Sie die Chancen für eine schnelle Regierungsbildung ein?

Das wird ganz einfach!

Bitte?

Die Leute, die jetzt in die Regierung wollen, sind nicht anders als Frau Merkel. Die Grünen wollen zwei wichtige Ministerposten für ihre Spitzenleute und werden dafür alle erdenklichen Konzessionen machen. Die werden nicht mit breiter Brust antreten. Die werden alles schlucken. Hauptsache, sie kriegen ihre Ministersessel. Ich glaube, dass Herr Özdemir Außenminister werden will und zur Not Verteidigungsminister, aber sicher nicht Umweltminister! Die Wähler der Grünen werden erkennen, dass sie ihre Partei völlig umsonst gewählt haben.

Und die FDP?

Die werden stärker pokern, weil sie mit Lindner und Kubicki Leute haben, die viel fordernder auftreten. Es wird ein paar Kämpfe zwischen FDP und CDU geben, aber am Ende werden alle "Verantwortung" rufen und viele Kröten schlucken. Die Grünen und auch die FDP haben das in den Talkshows am Wahlabend schon prima vorbereitet und bezeichnend oft von "Verantwortung" gesprochen. Da wurden bereits staatstragend im Subtext Positionen aufgegeben. Sie werden es sehen.

Den Volksparteien läuft das Volk weg. Haben die politischen Eliten versagt?

Ja, bei Frau Merkel hatte ich den Eindruck, dass sie gedacht hat: "Hauptsache, ich kann den Job weitermachen. Die Leute mögen mich, da muss ich ja inhaltlich nichts mehr setzen." Und der Wahlkampf von Martin Schulz wirkte, als ob man eine Werbeagentur beauftragt hätte, sich irgendwas zum Thema SPD auszudenken. So geht das nicht.

Was fühlen Sie angesichts des Wahlausgangs?

Vor allem ein Gefühl der Bestätigung. Ich habe mehrfach gesagt, dass es zu so einem Ergebnis kommen werde, wenn die großen Parteien die massiven Herausforderungen unserer Zeit nicht ansprechen. Dann fühlen sich die Leute nicht mehr repräsentiert und wählen eine reine Protestpartei wie die AfD.

Welche Herausforderungen meinen Sie?

Zum einen die Digitalisierung. Die wurde plakativ reduziert auf schnelles Internet für alle. Dabei geht es um dramatische gesellschaftliche Umwälzungen, die schon jetzt spürbar sind. Millionen Arbeitsplätze werden sich radikal verändern oder ganz verschwinden. Darauf muss man reagieren, konkrete Pläne haben. Dann wurde das Thema Zuwanderung von den großen Parteien völlig aus dem Wahlkampf rausgehalten und der AfD überlassen. Und drittens ist unsere Art des Wirtschaftens weder ökologisch noch ökonomisch zukunftsfähig. Wenn wir so weitermachen, leben wir bald nicht mehr in einem enkelfreundlichen Land. Zu all diesen Themen wollten die Leute konkret was hören. Und nichts kam.

Fast 80 Prozent der AfD-Wähler sagen, dass sie zufrieden mit ihren wirtschaftlichen Verhältnissen seien. Es sind also nicht die Abgehängten und sozial Benachteiligten, die rechts außen wählen. Es geht offenbar um Gefühle. Um welche?

Die Stimmen der AfD kommen tatsächlich nicht von den Abgehängten, die gehen im Zweifel gar nicht wählen. Es sind Leute, die Angst haben, dass sich ihre Situation verschlechtern wird. Die AfD speist sich aus Befürchtungen. Erlebte oder erlittene soziale Realität spielt da kaum eine Rolle.

An vorderster Stelle wird von den AfD-Wählern das Management der Flüchtlingskrise kritisiert. War die Grenzöffnung durch Angela Merkel ein Fehler oder eine menschliche Großtat?

Angela Merkel war in der Flüchtlingsfrage sehr lange Zeit meinungslos. Dann galt sie als herzlos. Später, nach der Grenzöffnung, wurde sie dann für ihre Menschlichkeit gefeiert. Als sich die Stimmung drehte und sie in der Kritik stand, war von dieser Menschlichkeit nicht mehr viel zu spüren. Eigentlich hat sie doch immer ihr Mäntelchen in den Wind gehängt.

Der Soziologe Holger Lengfeld sagt, die Wähler der AfD verweigerten sich vor allem der kulturellen Modernisierung des Landes. Sie seien gegen Europa, Globalisierung, Ehe für alle, den Euro. Sie wollten die gute alte Zeit zurück.

Die gute alte Zeit ist die Zeit, in der die Leute damals schon von der guten alten Zeit schwärmten. Die AfD-Wähler hängen einer Retropie an.

Das heißt?

Das ist eine rückwärtsgewandte Utopie, die ein Deutschland markiert, das es so nicht gab, wohin keiner mehr zurückwill oder -kann. Selbst die AfD nicht. Mit ihren starken Frauenfiguren werden die kaum die alte Bundesrepublik aus den Fünfzigern und Sechzigern wiederauferstehen lassen wollen, in der Frauen sich nicht scheiden lassen durften, ohne Zustimmung ihres Mannes nicht arbeiten und keinen Führerschein machen durften. Ich glaube auch nicht, dass die AfD zurück in die Zeiten des Kalten Krieges will. Aber all das prägte die alte BRD.

Wie sieht deren Retropie denn sonst aus?

Im Grunde wie die alten Heinz-Erhardt-Filme. Da, wo alles so dick und gemütlich und wundersam unschuldig war. Ein behaglich schmunzelndes Wohlfühl-Land, zehn Jahre nach dem Holocaust. Das ist der emotionale Kern der Retropie.

Und Alexander Gauland darf da ungestraft sagen, dass wir stolz auf die Leistungen der deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen sein dürften. Das heißt: stolz auf einen Vernichtungs- und Angriffskrieg. Jetzt will er die neue Regierung "jagen". Das ist lupenreiner Rechtsradikalismus.

Diese beiden Teile würde ich auseinanderhalten. Wenn jemand von der FDP oder der Linken gesagt hätte, man wolle die Regierung "jagen", hätte sich wohl keiner groß aufgeregt. Aus Gaulands Mund klingt das natürlich anders. Problematisch ist aber, was er danach gesagt hat: "Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen." Das wirkte wie eine Reichsparteitagsrede. Und die Sprüche über die Wehrmacht sind unsäglich. Aber ich erwarte jetzt im Bundestag keine Abfolge von Naziparolen. Mir persönlich macht die AfD keine Angst. Mehr als 80 Prozent der Wähler haben sie nicht gewählt.

Sie sind Philosoph. Der Dualismus zwischen Gut und Böse ist ein uraltes philosophisches Thema. Ist die Sache womöglich erschreckend einfach? Hat das ziellos wabernde Böse auch in unserer Gesellschaft in der AfD einen Ort gefunden, wo es sich niedergelassen hat? Wo niedere Instinkte gebündelt und ausgelebt werden dürfen, wo man ungestraft hetzen, hassen und die Geschichte umschreiben darf?

Da ist ein bisschen was dran. Den rechten Bodensatz, also, wenn Sie so wollen, "das Böse", hat es immer gegeben. Und jetzt hat dieses Böse wieder eine Partei gefunden, in der es sich manifestiert. Aber ich glaube, dass der rechte Bodensatz heute trotz aller Wahlerfolge insgesamt kleiner ist als noch in den 80er Jahren. Früher reichte der bis in die CDU hinein. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die AfD-Wähler sind vor allem Denkzettel-Wähler. Viele von denen kann man zurückholen.

Platon sagt, der Staat müsse von Philosophen regiert werden. Stehen Sie bereit?

Nein!

Warum nicht?

Ich müsste in eine Partei eintreten, und ich wüsste nicht, in welche. Ich glaube, dass ich derzeit von außen besser auf die Politik einwirken kann als von innen.

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