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Leerer Bundestag Linke fehlen am häufigsten bei Abstimmungen

Schwache Besetzung: Abstimmung über den Bundeshaushalt im Juni 2014

Schwache Besetzung: Abstimmung über den Bundeshaushalt im Juni 2014

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

Leere Sitzreihen im Parlament - das Bild kennen Sie. Dabei sollten gerade bei namentlichen Abstimmungen die Abgeordneten Präsenz zeigen. In der Praxis fehlen regelmäßig Dutzende Parlamentarier. Eine Datenanalyse.

Berlin - Das aktuelle Parlament ist größer und manchmal auch langweiliger als das vorangegangene. Seit gut einem Jahr läuft der Betrieb ohne FDP, und angesichts der riesigen Allianz aus Union und SPD kämpfen Linke und Grüne um Aufmerksamkeit, meist vergeblich.

Eine Sache ist gleich geblieben: Der jetzige Bundestag ist kaum disziplinierter als der letzte, regelmäßig fehlen viele Abgeordnete bei namentlichen Abstimmungen.

Welche Fraktionen haben die höchste Quote an Fehlzeiten? Bei welchem Gesetz blieben die meisten Abgeordneten fern? Und wie oft fehlen Bundesminister mit Mandat?

SPIEGEL ONLINE hat in Zusammenarbeit mit Abgeordnetenwatch  alle namentlichen Abstimmungen des vergangenen Jahres im Bundestag ausgewertet - und vier Aspekte herausgearbeitet:


1. Die Union ist häufiger da als die SPD

Im vergangenen Jahr gab es 63 namentliche Abstimmungen. Im Durchschnitt fehlten acht Prozent der Mandatsträger (in der vergangenen Legislaturperiode waren es 8,3 Prozent), das entspricht etwa 50 Abgeordneten.

Weit über dem Schnitt liegt die Linke mit einer Abwesenheitsquote von 15,4 Prozent. Gefolgt von den Grünen mit 8,7 Prozent, der SPD mit 7,8 Prozent und der CDU/CSU mit 6,4 Prozent. Interessant ist die relativ hohe Fehlzeitenquote bei der Koalitionsfraktion SPD. Die Union schafft es immerhin, den Durchschnitt klar zu unterschreiten.

Dafür sitzen in der Union einige Abgeordnete mit Rekord-Fehlzeiten: Peter Gauweiler (CSU) nahm an nicht einmal der Hälfte der namentlichen Abstimmungen teil. Bei der CDU-Frau Annette Schavan, die im Juni ihr Mandat niederlegte, sah es bis zu ihrem Rückzug ähnlich aus.


2. Linke kriegen Fehlzeiten nicht in den Griff

Leere Stühle im Plenum bedeuten nicht automatisch "Faulheit" oder "Schwänzertum". Es gibt viele Gründe für Abwesenheit, dazu gehören auch Krankheiten, berufliche Verpflichtungen, Termine im Wahlkreis oder der Mutterschutz.

Aber das Wegbleiber-Phänomen ist in der Linksfraktion seit Jahren besonders ausgeprägt. Im Extremfall, wie bei der Abstimmung zum Haushaltsgesetz, fehlte fast jeder dritte Linken-Abgeordnete (29,7 Prozent). In anderen Fraktionen pendelten sich die Spitzenwerte bei niedrigeren Werten ein.

Maximale Fehlquoten der Fraktionen

Fraktion Thema Datum Abwesenheitsquote
Die Linke Haushaltsgesetz 2014 27.06.14 29,7 %
Grüne Lebensversicherungsreformgesetz 04.07.14 15,9 %
SPD Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen 08.05.14 15,5 %
CDU/CSU Lebensversicherungsreformgesetz 04.07.14 12,5 %
Quelle: www.bundestag.de / Abgeordnetenwatch / eigene Berechnungen

Klar, die Union kann mit 311 Abgeordneten ein paar Dutzend Fehlende locker verschmerzen. Bei nur 64 Linken-Parlamentariern fällt schon eine Handvoll Abwesender ins Gewicht. Aber selbst im Vergleich zur kleinen Grünen-Fraktion (63 Abgeordnete) verbuchen die Linken eben deutlich mehr Fehltage.

"Unsere Abgeordneten müssen im Wahlkreis mehr Präsenz zeigen als die der größeren Parteien. Weil sie nicht flächendeckend mit Personal vertreten sind, etwa in den Verwaltungen", sagte die Linken-Fraktionsmanagerin Petra Sitte SPIEGEL ONLINE. "Ich vertraue unseren Mandatsträgern, dass sie gute Gründe haben, wenn sie nicht teilnehmen können."

Dennoch appelliert Sitte an ihre Leute: "Jedem und jeder Abgeordneten muss klar sein, was es bedeutet, wenn er oder sie nicht da ist. Grundsätzlich gilt aber die freie Ausübung des Mandats. Niemand kann und sollte zur Teilnahme gezwungen werden."

Die Linksfraktion beherbergt übrigens eine prominente Wegbleiberin: Sahra Wagenknecht fehlte bei 27 von 63 namentlichen Abstimmungen.


3. Viele Gesetze sind nicht sexy genug

Manche Themen gelten als wichtig, andere als langweilig. Das Gesetz mit den wenigsten Anwesenden überhaupt war das Lebensversicherungsreformgesetz. Fast hundert Abgeordnete fehlten. Hier die Verteilung nach Fraktionen im Vergleich zur Vollbesetzung:

Viele Abgeordnete hatten sich wohl schon in die Ferien verabschiedet, das Gesetz wurde kurz vor der Sommerpause behandelt.

Aber auch andere Abstimmungen waren nicht vollständig besetzt, zum Beispiel das Haushaltsgesetz (Antrag von Union/SPD) mit einer Fehlquote von 13 Prozent. Bei einem Grünen-Antrag zur Transparenz bei Rüstungsexporten blieben zwölf Prozent der Parlamentarier fern.

Abstimmungen mit der schwächsten Besetzung

Rang Thema Datum Abwesenheitsquote
1 Lebensversicherungsreformgesetz 04.07.14 14,7 %
2 Haushaltsgesetz 2014 27.06.14 13,0 %
3 Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen 08.05.14 11,9 %
4 EU-Honigrichtlinie (Kennzeichnung von Gen-Honig) 13.03.14 11,4 %
5 Haushalt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 25.06.14 11,4 %
Quelle: www.bundestag.de / Abgeordnetenwatch / eigene Berechnungen


4. Merkel taucht selten auf, Schäuble oft

Die Daten zeigen ein bekanntes Problem: Ist man in der Exekutive, vernachlässigt man die Pflichten im Parlament. Viele Minister und Ministerinnen, die neben ihrem Regierungsamt ein Mandat ausüben, schaffen es nur selten ins Plenum.

Am häufigsten fehlten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU).

Am wenigsten fehlten Agrarminister Christian Schmidt (CSU), Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).

Ein hohes Arbeitspensum dürfte allerdings nicht als Ausrede herhalten. Denn Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Beispiel schafft es trotz vollen Schreibtisches ziemlich oft ins Plenum.

Abwesenheitsquoten von Regierungsmitgliedern mit Bundestagsmandat

Angela Merkel 75 %
Sigmar Gabriel 75 %
Peter Altmaier 48 %
Frank-Walter Steinmeier 41 %
Thomas de Maizière 30 %
Andrea Nahles 24 %
Gerd Müller 22 %
Ursula von der Leyen 22 %
Alexander Dobrindt 16 %
Wolfgang Schäuble 13 %
Hermann Gröhe 13 %
Barbara Hendricks 11 %
Christian Schmidt 10 %
Quelle: www.bundestag.de / eigene Berechnungen


Mehr Erkenntnisse aus Daten, etwa zum Straßenverkehr, zu Flüchtlingszahlen oder zum Familienleben in Deutschland, finden Sie im Datenlese-Blog. Außerdem finden Sie hier interessante Analysen zu Nebeneinkünften der Abgeordneten im Bundestag.

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Foto: SPIEGEL ONLINE