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Hässliche Häuser: Quatschbauten in Würfeloptik

Foto: imago
Georg Diez

S.P.O.N. - Der Kritiker Eine einzige Bausünde

Es gibt kaum Stil im Alltag, es gibt kaum Hunger nach Schönheit: In Berlin entstehen massenhaft hässliche Gebäude - doch niemand regt sich darüber auf.

Berlin geht verloren, Haus für Haus. Es ist die Zeit der trostlosen Investoren-Architektur. Die Zeit der Aufgabe der Architektur als demokratische Kunst. Die Zeit der totalen Merkel-Ödnis.

Am Hauptbahnhof etwa, in Kirschkernspuckweite vom Kanzleramt, stehen Quadratbauten herum, die Nacht für Nacht vom Himmel in den brandenburgischen Sand plumpsen, ein Nichts von spätkapitalistischer Tristesse, wo der Bürger zum Fremdling degradiert und der Reisende aufs Rollkofferformat reduziert wird.

Es ist unfassbar, dieses hingewürfelte Unglück - und man kann den maßlosen Masochismus, mit dem hier Stadtplaner in heilloser Selbstverleugnung vorgehen, im Grunde nur verstehen, wenn man versucht, Berlin zu verstehen: Diese Stadt zerfiel schon immer in ihre Bestandteile, sie verlor sich, sie hatte nie Halt, sie wuchs nie aus sich heraus, sie wurde nur immer und immer wieder neu zerstört, und das am liebsten von den Berlinern selbst.

Berlin ist eine junge Stadt, das macht auf der anderen Seite oft auch heute noch ihren Charme und ihre Freiheit aus. Berlin ist keine Stadt wie London oder Paris, wo es ein Gefühl von Dauer gibt und einer Sicherheit, die über die Jahrhunderte hinweg greift. Berlin ist eine Oberflächenstadt, kratzt man etwas am Putz, sind darunter nur Trümmer.

Berlin ist, mit anderen Worten, eine Stadt, die sich im Abbruch findet, so hat es der Essayist Hanns Zischler mal gesagt. Und das ist dann auch der Trost angesichts dieser traurigen Quatschbauten, am Hauptbahnhof, am Alexanderplatz, fast überall, wo wieder eine Brache bebaut wird: Warten wir eben 20, 25 Jahre und reißen die Dinger wieder ab.

In der Zwischenzeit aber wächst natürlich das Stadtschloss, das schlimme, das mit seiner königlichen Nutzlosigkeit die ganze Gegend drum herum infiziert und auch die Gedanken, die pünktlich alle wieder auf preußisch gedreht sind, auf Erker und Erbe und Abschottung gegen die Gegenwart.

In der Zwischenzeit, na ja, entsteht, vielleicht, wenn er nicht doch hoffentlich davor noch abgerissen wird, der Fünf-Milliarden-Flughafen, der aber, wenn er fertig wird und man den Bildern trauen kann, nicht nur teuer, sondern auch hässlich sein wird, unsinnlich, stumpf, verkrampft, so wie die Leute eben, die ihn verschuldet haben.

Hunnenhafte Hässlichkeit

Denn das ist ja das andere Dilemma dieser Stadt: Es gibt kaum jemanden, der sich darüber wundert oder etwas anderes will. Es gibt kaum Stil im Alltag, es gibt kaum Hunger nach Schönheit, es gibt kaum Verständnis dafür, dass etwas besonders ist, weil es anders ist.

Und auch das hat mit der Berliner Geschichte und Gegenwart zu tun. Man muss nur mal freihändig Fahrrad fahren oder bei Rot über die Straße gehen, und schon wird man angeschaut wie ein Kindermörder: Vieles an den Verhältnissen und Proportionen stimmt nicht in dieser Stadt, und das gilt für Menschen wie für Häuser.

Sie verstehen hier irgendwie nicht, was Stadt bedeutet: Keine Dauerkontrolle, ob Traufhöhe oder Straßenregeln, und keine Schlechte-Laune-Attacken, sondern ein respektvolles Sein-Lassen - dann sähen vielleicht auch die Häuser etwas anders aus.

Das Dilemma von Berlin heute ist, dass es so wirkt, als sei das alles möglich und da, die Regellosigkeit, der Stil, die Freiheit. Es sind aber vor allem die jungen Ausländer, die diese Energie in die Stadt tragen und damit ganze Gegenden wie Neukölln verändern.

In den altdeutschen Anschnauz-Vierteln dagegen gelten immer noch der raue Ton und der Stolz auf eine etwas hunnenhafte Hässlichkeit, die die Zwanzigerjahre und den Krieg und die BRD- und DDR-Moderne überdauert haben.

Ich mag, ganz allgemein, diese Stadt: Das Berlin aber, das rund um den Hauptbahnhof entsteht, ist die Hauptstadt als Hildesheim - kleiner kann man Stadt nicht denken.

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