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Wirtschaftsnobelpreisträger: Männer, Männer, eine Frau

Foto: EPA-EFE/REX/Shutterstock/UNIVERSITY OF CHICAGO

Wirtschafts-Nobelpreisträger Thaler Die Ökonomie des inneren Schweinehunds

Der US-Ökonom Richard H. Thaler bekommt den Nobelpreis - weil er Wege aufzeigt, wie Regierungen ihre Bürger von den kleinen und großen Dummheiten des Alltags abhalten können. Aber wollen wir das überhaupt?

Wie lässt sich die Relevanz wirtschaftswissenschaftlicher Theorien in Worte fassen? Die schwedische Reichsbank, die den US-Ökonomen Richard H. Thaler gerade mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet hat, formuliert es so: Er habe "eine Brücke gebaut zwischen der wirtschaftlichen und psychologischen Analyse menschlicher Entscheidungen".

Es geht aber auch etwas weniger akademisch: Thaler wird unter anderem deshalb ausgezeichnet, weil er mal bei der Entrümpelung britischer Dachböden mitgeholfen hat. Sehr vieler britischer Dachböden.

Das kam so: Thaler ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Chicago. Bereits seit den Siebzigerjahren schreibt und forscht er gegen eine der lange Zeit einflussreichsten Annahmen in der Wirtschaftstheorie an: die des homo oeconomicus. Sie besagt, dass Menschen rational agieren - und stets danach streben, kühl kalkulierend ihren Nutzen zu maximieren.

Hier kommen die Dachböden ins Spiel: Die britische Regierung hatte vor einigen Jahren ein Programm zur besseren Wärmedämmung von Häusern gestartet. Der Umbau älterer Dachstühle wäre wirtschaftlich sinnvoll gewesen, denn die Energieersparnis hätte schon nach einem Jahr die Baukosten überstiegen. Doch kaum ein Hausbesitzer nahm das Programm in Anspruch. Gerade einmal ein Prozent der staatlichen Umbauhilfen wurden abgerufen, erinnert sich Thaler.

Zweikampf "Planer" gegen "Macher"

Weil das rational mit dem homo oeconomicus nicht erklärbar war, zog die britische Regierung Thaler zurate, einen der führenden Vertreter eines Forschungszweigs, der Verhaltensökonomik genannt wird. Er untersucht Situationen, in denen menschliches Verhalten nicht rein rational zu erklären ist. Thaler fand heraus, dass die Hürde bei den meisten Dämmverweigerern dieselbe war: Sie hatten nicht die Nerven, ihren Speicher aufzuräumen. Ihnen wurde außer der Subvention dann auch ein günstiger Entrümplungsdienst angeboten. Das funktionierte.

Salopp formuliert kann man sagen: Thalers Fachgebiet ist die Ökonomie des inneren Schweinehunds. Warum essen zu viele Menschen zu viele fettige Speisen - obwohl sie wissen, dass es ihnen schadet? Wieso tun sich viele Bürger schwer damit, Geld zurückzulegen - obwohl sie im Alter sicher darauf angewiesen sein werden?

Weil in der Brust jedes Menschen zwei Herzen schlagen, sagt Thaler, das eine des "Planers", das andere des "Machers". Es gibt ein antikes Beispiel, mit dem das Thema in Wirtschaftsvorlesungen verdeutlicht wird: Odysseus, der antike griechische Held, war hin- und hergerissen. Einerseits spürte er an Bord seines Schiffes das Verlangen, dem Ruf der Sirenen nachzugeben, verführerischen Fabelwesen. Andererseits strebte er danach, seine weit entfernten Ziele zu erreichen.

Im modernen Alltag sieht der Odysseus-Zwiespalt so aus: Der Planer setzt sich im Alter von 30 Jahren das Ziel, ab 35 für die Rente zu sparen. Der Macher wird 35 - und gibt das Geld dem Vorsatz zum Trotz dann doch lieber für eine teure Reise aus.

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Revolutionär klingt das nicht. Tatsächlich ist die Ehre, die inzwischen vielen Verhaltensökonomen entgegengebracht wird, nicht zu verstehen ohne die Vehemenz, mit der sie früher lange Zeit bekämpft wurden. Als er in den Siebzigerjahren begonnen habe, Beispiele für irrationales Verhalten zu sammeln, habe man ihn erst ignoriert und dann der "Häresie" bezichtigt, erzählt Thaler.

Er glaubt, dass der homo oeconomicus Mitte des vergangenen Jahrhunderts quasi zum Dogma erhoben worden sei. Bis zum Zweiten Weltkrieg habe es sehr wohl Ökonomen gegeben, die Verhaltensforschung in ihre Arbeit einfließen ließen, sagte Thaler 2015 der "Welt am Sonntag". Dann aber hätten mathematische Modelle die Wissenschaft revolutioniert. Inzwischen werde an jeder Highschool gelehrt, "wie man mit Formeln Probleme löst, bei denen jemand seinen Nutzen maximieren will". Im wahren Leben aber "sind Menschen eben keine rationalen Egoisten".

Angst vor staatlicher Manipulation

Ein Problem zu erkennen hilft, sich dagegen zu wappnen. Odysseus etwa ließ sich an den Mast des eigenen Schiffes binden - um dem Locken der Sirenen nicht zu erliegen. Der moderne Mensch legt am Monatsbeginn 100 Euro auf ein Festgeldkonto - um sie nicht am Monatsende doch noch auf den Kopf zu hauen. Wer die Klippen gelegentlich auftretender Irrationalität kennt, kann sie leichter umschiffen - oder andere auf den richtigen Weg lotsen.

"Nudging" hat Thaler das genannt, "anstupsen". Es geht darum, wie Politik rationales Verhalten der Bürger durch richtige Anreize unterstützen kann. So wie die britische Regierung etwa mit dem Entrümplungsdienst für Dachböden. Ein Beispiel: Werden in einer Kantine Salate vorn und die fettigen Gerichte weiter hinten präsentiert, ernähren sich die Leute gesünder.

"Sanfter Paternalismus" wird das genannt - das Individuum wird durch gezielt entworfene Mechanismen in Richtungen gelenkt, die es von allein nicht ohne Weiteres ansteuern würde. Das Problem daran: Die Grenze zwischen sanftem Schubsen und harter Manipulation ist schmal. Das hat Verhaltensökonomen wie Thaler den Zorn von ultralibertären Gruppierungen wie der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung in den USA eingebracht, die staatlichen Einfluss radikal beschneiden will.

Thaler gibt zu Bedenken, dass Unternehmen ähnliche Techniken schon lange im Marketing anwenden. Den Skeptikern will er mit größtmöglicher Transparenz begegnen: "Es sollte keine Geheimnisse um Nudges geben, all die Anstöße sollten transparent sein."

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