Eine Aussteigerin berichtet : So überlebte ich Scientology
35 Jahre bestimmte die Sekte ihr Leben – Karen de la Carriere verlor Mann, Sohn und ein Vermögen
Los Angeles – Sie war die erste Frau von Heber Jentzsch – dem einstigen Sprecher und Präsidenten von Scientology. Karen de la Carriere (70) war selbst 35 Jahre Mitglied der Sekte. Jetzt spricht die Aussteigerin über den täglichen Psychoterror, den mysteriösen Tod ihres Sohnes und ihren Kampf gegen die Organisation.
Für die Sekte, die sich selbst als Kirche bezeichnet, gab Karen de la Carriere ihr Leben auf, spendete bis zu ihrem Austritt 250.000 US-Dollar. Sie sagt: „Ich war ihr Versuchskaninchen, ich fühlte mich wie eine Amöbe.“
In einem Interview mit der britischen „Daily Mail" berichtet sie von ihrem jahrelangem Martyrium. Die Sekte habe sie seelisch und körperlich gebrochen. Inzwischen ist die US-Amerikanerin eine erfolgreiche Kunsthändlerin, doch bis dahin ist sie einen langen und schmerzvollen Weg gegangen.
Karen de la Carriere: „Scientology ist wie ein Tsunami.“
Der Weg in die Sekte
Karen de la Carriere ist eine junge und attraktive Frau, als sie 1975 in die Organisation eintritt. Scientology-Gründer L. Ron Hubbard persönlich rekrutiert und bildet sie aus. Ihr Rang innerhalb der Organisation erlaubt ihr Zugang zu der Führungsriege der Sekte. Sie verliebt sich in Heber Jentzsch, dem späteren Sprecher der Organisation.
1978 heiraten sie, sie bekommen einen Sohn, man sieht die junge Familie auf Veranstaltungen Seite an Seite mit Scientology-Mitglied John Travolta. Ihr Ehemann gilt als enger Vertrauter des Schauspielers. „Eine Zeitlang haben sie mich wie eine Königin behandelt“, sagt de la Carriere.
Kindesmissbrauch
Als ihr Sohn zwei Jahre alt ist, fällt sie bei Anführer David Miscavige in Ungnade. Er ist der direkte Nachfolger von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, noch heute führt er die Geschäfte. De la Carriere wünscht sich ein zweites Kind, doch Kinder sind in ihrer Position nicht erwünscht, sie stehen der Produktivität im Wege. Miscavige fordert die Scheidung von Jentzsch. 1988 lässt sich das Paar scheiden, sie waren nur zehn Jahre verheiratet. Sohn Alexander sieht seinen Vater fast nie, unter der Trennung leidet er sein ganzes Leben lang, sagt de la Carriere.
Mit acht Jahren wird ihr Sohn in die Eliteorganisation, die sogenannte Sea Org, aufgenommen. Für seine Mutter ist klar: „Er wollte in der Nähe seines Vaters sein. Am Ende hat er ihn in 15 Jahren nur elf Mal gesehen.“ Eine Schulausbildung erhält Alexander nicht.
Als er 12 Jahre alt ist, vergeht sich eine Scientologin an ihm, die Organisation verbietet ihm, darüber zu sprechen. Seine Mutter erfährt erst viele Jahre später von dem Vorfall.
Das Straflager
2004 verschwindet Heber Jentzsch von der Bildfläche. Auch die Ehefrau des Sektenführers David Miscavige gilt als seit Jahren verschwunden. „Sie haben ihn ins Loch gesperrt“, ist sich seine Ex-Frau sicher.
„Das Loch“ ist ein Straflager, speziell für Führungskräfte. De la Carriere behauptet, selbst in diesem Lager untergebracht worden zu sein.
„Ich durfte mich nicht waschen, meine Kleidung nicht wechseln“, sagt sie. Zehn Tage lang habe sie Farbe von Metallstäben gekratzt.
Als sie beginnt, sich kritisch über die Organisation zu äußern, erklärt die Sekte sie zur Feindin. Fortan darf kein Mitglied mit ihr in Kontakt stehen, nicht mal ihr eigener Sohn.
„Die Organisation schafft eine Kultur aus Angst und finanzieller Abhängigkeit“, sagt die Aussteigerin. Die ganze Wahrheit werde nie ans Tageslicht kommen.
Totale Überwachung
Die zuständige Abteilung, deren Aufgabe es ist, jeden Schaden von Scientology abzuwenden, heißt „Office of Special Affairs“, kurz OSA. Eine Art Geheimdienst – jeder Austausch von Informationen wird kontrolliert. „Hier bespitzelt der Ehemann seine Ehefrau, das Kind seinen Vater. Berichte können sogar online eingereicht werden", erklärt de la Carriere.
2010 verlässt sie unter großen Anstrengungen die Organisation. 2012 stirbt ihr Sohn, da hat sie ihn schon zwei Jahre nicht gesehen. Von Alexanders Tod erfährt sie nur, weil ein Unbekannter ihr eine Nachricht über Facebook schreibt. Ihr Sohn starb an einer unbehandelten Lungenentzündung, mit 27 Jahren.
Scientology widerspricht den Anschuldigungen und spricht von „falschen und unbegründeten Behauptungen". Präsident Heber Jentzsch feiere demnächst seinen 79. Geburtstag und arbeite in Einrichtungen der Kirche.
Aussteiger und Kritiker werden von Scientology regelmäßig bekämpft. Bekannte Beispiele hierfür sind die Kampagnen gegen die Kritikerin und Autorin Paulette Cooper oder der im letzen Jahr ausgestiegenen Schauspielerin Leah Remini. Branchenkenner erwarten in Kürze ein Buch über ihre Erfahrungen mit der Sekte.
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