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Sexismus auf YouTube "Was?? Die hat so 'nen Vorbau?"

Deutschlands YouTuber sind Idole für Millionen junger Fans. Doch selbst Stars der Szene stützen ihren Ruhm auf die Verbreitung plumper Geschlechterklischees oder definieren Altherrenwitze als Jugendkultur.
YouTuber Dima und Simon Desue bei der "Titten-Challenge"

YouTuber Dima und Simon Desue bei der "Titten-Challenge"

"Darauf stehen Jungs bei Mädchen." "Wobei Mädels immer lügen." "Welcher YouTuberin gehören diese Titten?" "Kein Fake: Pokémon auf meiner P*ssy gefunden." "Meine Nichte schminkt meine T*tt*n."

Das alles sind teils millionenfach geklickte Titel von deutschen Videos auf YouTube, hochgeladen von YouTuberinnen und YouTubern mit Hunderttausenden Abonnenten. Letztere sind meistens - wie auch ihre Idole - noch ziemlich jung, und Teenager interessieren sich nun mal fürs Knutschen, für Jungs oder für Mädels, fürs Schminken. Und sie haben jede Menge Fragen, die das Internet und seine Stars für sie beantworten sollen.

Die Antworten, die die deutsche YouTube-Szene findet, sind aber teils bedenklich: Viele YouTube-Videos aus Deutschland wirken wie eine Art Musikantenstadl für Junge, sie bedienen alte Geschlechterklischees - mit einer gehörigen Portion Sexismus. In der Szene umstrittene YouTuberinnen wie Katja Krasavice , verantwortlich für die beiden expliziteren Videotitel der Aufzählung, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.

"Titten-Challenge" als Jugendkultur

Klickt man sich durch die meistabonnierten deutschsprachigen Kanäle, wird man überschwemmt von zweideutigen Anspielungen, Junge-Mädchen-Klischees und sexistischen Inhalten. Mädchen sollten nicht zu freizügig sein und sich lieber zieren beim Sex , weil sie sonst ihren Wert verlieren. Nervig auch , dass viele von ihnen klammern und sich nach dem ersten Date verlieben. Sie sind fleißig und schön und brauchen viele Schminktipps, Jungs sind wild.

Vor der Kamera albern die Großen der Szene: die Lochis , Simon Desue , ApeCrime  oder Joyce Ilg . Ilg gehört mit ihren 33 Jahren zu den älteren, aber nicht unbedingt erwachseneren YouTubern. Einer der Lochis, 17 Jahre alt, antwortet  in einem humorigen Video auf die Frage, ob er schon mal jemanden im Schwimmbad begrapscht habe, mit "Ja, natürlich, also ein Mädel, klar".

Simon Desue errät mit Kollege Dima, ursprünglich bekannt geworden durch den Kanal DieAussenseiter, in der "Titten-Challenge", welches Paar Brüste zu welcher YouTuberin gehört. Es sei nicht zu viel verraten, doch: Es gibt Überraschungen für Desue. "Was?? Die hat so 'nen Vorbau?", ruft er in einer Szene.

Andre Schiebler von ApeCrime kündigt das x-te Mann-Frau-Video  mit "Heute haben wir uns was Spezielles ausgedacht" an. Das ist an sich erst mal wirklich witzig. Im Folgenden erfährt der Zuschauer, dass unverheiratete Single-Frauen niemals vor Männern furzen würden. Außerdem: "Frauen und Männer sind wirklich verschiedene Lebewesen. Frauen sind emotionsgesteuert und launeabhängig." Volle Zustimmung des Gegenübers.

Keine zweite Ebene, nur haha

Grundsätzlich ist alles irgendwie lustig gemeint, manches ist es auch, es wird viel gelacht in den Videos. Hier ist jeder nett zu jedem. Diese Erkenntnis macht keine gute Laune, doch wer Geschlechterklischees zu Unterhaltungszwecken einfach nur wiederbelebt, ohne sie zu brechen, verbreitet sie letztlich eben doch weiter.

"Es ist gefährlich, wenn auf YouTube uralte Geschlechterklischees gefeiert werden, die plötzlich Teil der Jugendkultur sind. Sexismus ist kein neues Phänomen, aber auf YouTube fängt alles wieder von vorne an", sagt YouTuberin und Produzentin Marie Meimberg , die das Phänomen schon öffentlich kritisiert hat . "Die Liste an YouTubern, die problematische Inhalte machen, ist sehr lang. Extrem viele Videos sind Teil des Problems."

Schnarchige Geschlechterspielchen voller Klischees

Als YouTube 2005 startete, hoffte man auf individuelle Medienmacher und junge Kreative, die die Plattform bevölkern. Die Jungen sind gekommen, und was die Jungen cool finden, gefällt den Alten bekanntlich selten - gerade hierzulande, wo das Wort "Unterhaltung" für viele schon leicht schmierig klingt.

Das Problem ist: Das Programm vieler deutscher YouTuber ist eben nicht mutig und neu. Es speist sich im Kern daraus, dass sie schnarchige Geschlechterspielchen und Sprüche aufwärmen, die man von alten Herrenrunden erwarten würde.

"Wenn ich mir anschaue, was YouTuber produzieren, die sagen, sie machen das bessere Fernsehen, dann muss ich ihnen sagen: Deine Inhalte würde RTL II nicht mal mit Handschuhen anfassen", sagt Meimberg. Das Versprechen, moderne Inhalte zu liefern, hielten viele deutsche YouTuber nicht ein, kritisiert sie.

"Jeder zweite YouTuber macht ein Schminktutorial"

YouTuberin Anne Wünsche, deren Kanal GrasReh  über 300.000 Nutzer abonniert haben, hält den Sexismusvorwurf trotzdem nicht für gerechtfertigt. "Es gibt immer Ausnahmen, die es übertreiben und ihre operierten Brüste mit tiefem Ausschnitt in die Kamera pressen. Ich finde allerdings, dass das wenig mit YouTube zu tun hat", sagt sie.

Öffentlich als YouTuber Kritik zu äußern, führe oft dazu, dass der beanstandete Inhalt noch mehr Aufmerksamkeit bekomme, sagt Wünsche. Das sei kontraproduktiv. Dass viele weibliche YouTuber sich aufs Thema Schminken stürzen, fällt aber auch Wünsche auf. "Es gibt inzwischen einfach zu viele Beautyvideos, jeder zweite YouTuber macht ein Schminktutorial", kritisiert sie.

"Der sexistische Content beeinflusst nicht nur das junge Publikum, sondern auch die YouTuber selbst", sagt Marie Meimberg über die Flut an Schminktipps für junge Mädchen auf der Plattform." Ich kenne einige YouTuberinnen, die mit Schminktipps gestartet sind, weil sie dachten: Das ist eben das, was Frauen so machen."

Angst, als Nestbeschmutzer zu gelten

Meimberg beobachtet bei einigen Kollegen, dass ihre Kritik fruchtet, manche starten Aktionen, setzen sich mit dem Thema auseinander. Bei anderen kam ihre Generalkritik nicht gut an, hat sie erlebt. "Wer Kollegen kritisiert und als Nestbeschmutzer gilt, hat es künftig schwerer in der Branche." Auch als Journalistin ist es schwer, mit kritischen Fragen vorzudringen. Zahlreiche YouTuber wollen sich auf Anfrage gar nicht erst zum Thema äußern.

Das Sexismusproblem ist dabei keines, das nur YouTube betrifft. "YouTube ist da ein Spiegel der Gesellschaft", sagt Meimberg. Deshalb sei es auch naiv gewesen, einfach zu hoffen, dass bei YouTube automatisch alles anders wird als im Fernsehen. Denn auch auf YouTube zählen die Klicks. "Wer Arte-Programm auf YouTube macht, kriegt eben auch da nicht die Quote von RTL."

Von der Plattform abraten würde Meimberg trotzdem nicht. "Das Trash-Image von YouTube schreckt mittlerweile viele junge Kreative aus Deutschland ab. Wer aber gute Inhalte macht, sticht leicht aus der Masse hervor."

Eine Million Klicks, dann erst ist die Miete drin

Auch manchem anderen YouTuber ist es offenbar nicht so ganz wohl beim Blick auf die Szene - oder den eigenen Kanal. Lisa Sophie, Fans durch ihren Kanal "ItsColeslaw"  bekannt, verkündete zum Beispiel gerade , dass sie künftig neben ihrem YouTube-Kanal auch noch andere, anspruchsvollere Videos machen wolle:

Eine Million Aufrufe im Monat brächten ihr gerade mal die Miete ein, erklärt die YouTuberin in einem Video mit dem Titel "So geht's nicht weiter". Darin beschreibt sie auch den Druck, der so für sie entstehe: Wenn sich ein Video mit zweideutigem Titel nun mal besser klickt als eines ohne, ist das eine Tatsache, die sich direkt im Geldbeutel der Kreativen bemerkbar macht.

Unterstützt durch ein digitales Trinkgeldsystem  will Lisa Sophie es laut eigener Aussage nun trotzdem mit hochwertigeren Videos versuchen - fernab von YouTube.