Aseptische Wände

Streit Was bringt es schon, den Autor eines Buchs zu porträtieren? Viel, meint unser Kritiker
Ausgabe 37/2016
Über's Ziel hinaus: Denis Scheck mit dem Schriftsteller Christian Kracht
Über's Ziel hinaus: Denis Scheck mit dem Schriftsteller Christian Kracht

Screenshot: ARD

Autorenporträts sind das Stiefkind der Literaturkritik. Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung wird fast ausschließlich rezensiert. Vor einem Jahr ist der Literatur Spiegels als monatliche Beilage des Spiegel gegründet worden. Darin sollen explizit keine Interviews und keine Porträts von Autoren erscheinen. Neulich nun führte Denis Scheck mit dem Schriftsteller Christian Kracht in seiner Literatursendung Druckfrisch ein Interview, dessen Gefälligkeit ins Auge stach. Besonders kritisiert worden ist Schecks Fazit zu Krachts neuem Roman Die Toten: „Ein Roman, der für die Literatur das bedeutet, was der Tonfilm für den Film bedeutete: eine Revolution.“ FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube schrieb dazu eine schöne Glosse. Er mahnt an, dass die Literaturkritik nicht zur Werbetrommel für die Verlage geraten darf. Das stimmt. Falsch ist nur, dass er diese Entwicklung mit dem Genre des Autorenporträts in Verbindung bringt.

Denn es gibt es auch Gefälligkeitsrezensionen, in denen keine Begegnung zwischen Autor und Kritiker inszeniert wird. Ulrich Greiners Rezension von Martin Mosebachs Roman Mogador ist diesem Verdacht nicht ausgesetzt worden. Darin heißt es: „Man liest dieses außerordentliche Buch derart gebannt, dass man fast enttäuscht ist, sich nach rund 370 Seiten im eigenen Alltag wiederzufinden.“ Ist das noch Kritik oder schon Klappentext? Kaube zieht die Schlinge noch enger, ihm ist nicht klar, welcher Mehrwert aus Porträts und Interviews gewonnen werden kann: „Romane enthalten keine Argumente, was sollte es für einen Sinn haben, mit Autoren über sie zu diskutieren?“

Ich finde, es ergibt Sinn. Im Reden und Schreiben über Literatur gibt es für mich kaum Aufregenderes als den schnöden Werkstattbericht. Die Auskunft darüber, wie Autoren arbeiten, wie sie recherchieren, wie sie am Satz, am einzelnen Wort tüfteln. Als der russische Schriftsteller Alexander Ilitschewski die deutsche Übersetzung seines Romans Matisse vorstellte, sprach er davon, wie er an der Beschreibung der Gebirgsketten auf der Krim gearbeitet hat. Er plauderte darüber, wie er in russischen Museen nach Gemälden dieser Gebirgsketten aus der Epoche der Romantik suchte. Daraufhin suchte er nach kunstwissenschaftlichen Arbeiten über diese Gemälde, um in ihnen wiederum Begriffe für die Farben der Berge zu suchen. Eine Anekdote aus dem Arbeitsalltag eines Schriftstellers, die jede Rezension bereicherte.

An Autoren interessieren mich auch abseitige Details. Bei Knausgård will ich wissen, wie sich die Mischung aus Frustrationen und schöpferischem Drang, die ihn zum Niederschreiben seines 3.500-Seiten-Werks bewegte, in seinem Alltagsleben bemerkbar macht, will auch wissen, ob es jenseits seiner Autobiografie ein Leben gibt, das nicht im Werk erscheint. Die polnische Autorin Joanna Bator beschreibt in ihren Romanen eine Menge Zimmer, die mit Magie und Spuren von gelebten Leben durchdrungen sind. Als ich selber in ihrer Berliner Wohnung war, fand ich es bemerkenswert, dass ihre eigenen vier Wände so aseptisch wie ein Pornoset waren. Gute Schriftsteller sind eben oft auch interessante Menschen.

Verspielte Formen

Gute Romane verschlüsseln oft eine Zeitdiagnostik. Diese chiffrierten Aussagen können natürlich nicht einfach in prosaische Thesen übersetzt werden. Hinter einem Roman steht aber ein Mensch, ein soziales Wesen, auch oder gerade dann, wenn es einsam ist. Wenn wir die gesellschaftliche Brisanz eines Romans ernst nehmen wollen, sollten wir mit Autoren über ihre Biografie, ihre politischen Positionen sprechen. Eigentlich über alles.

Die verspielten Formen können viel besser als das klassische Rezensionsfeuilleton über die Literatur auf andere Gegenstände hinausweisen. Sie können Verknüpfungen zwischen Literatur und den Diskursen herstellen, die Autoren in ihren Werken verhandeln oder die sie sonst irgendwie beschäftigen. Auf diese Art machen sie dann, und das ist das stärkste Argument, die Literaturkritik für ein breiteres Publikum interessant.

Lukas Latz porträtierte im Freitag zuletzt den Verleger und Autor Klaus Bittermann

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lukas Latz

Student in Berlin, Spaziergänger überallTwitter: @lukaslac

Lukas Latz

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden