Freies W-Lan für alle : Willkommen im digitalen Wunderland
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Wo Punkte sind, soll Fläche werden: W-Lan-Spot in einer Wartehalle am Potsdamer Platz. Bild: dpa
Pünktlich zur EM sollen in Berlin Sendemaste freies Internet spenden. Das Livestream-Erlebnis bleibt so keinem Hauptstädter vorenthalten. Gibt es neuerdings ein Grundrecht auf W-Lan?
Die Uhr tickt: In zwei Wochen ist von Passau bis Flensburg wieder nationale Fußball-Begeisterung angesagt. Und pünktlich zur EM-Eröffnung plant der Berliner Senat die Fertigstellung von einhundert Sendemasten für frei empfangbares W-Lan – 550 weitere sollen folgen. Darüber berichtete am Mittwoch die Berliner Morgenpost mit Berufung auf die Berliner Senatskanzlei, die dieses Vorhaben gegenüber FAZ.NET bestätigte. Angesichts der bescheidenen Bilanz anderer städtischer Vorhaben wäre das durchaus ein Erfolg, sofern der Zeitplan tatsächlich eingehalten wird.
Versichern will die Senatskanzlei in jedem Fall, dass die 170.000 Euro „Anschubfinanzierung“ für zwei Jahre gut investiert sind, oder vielmehr noch: dass dank „Kooperation mit dem Marketingpartner Audible“, einer Amazon-Tochter, keine unvorhergesehenen Mehrausgaben auftreten. Für Nutzer ist das W-Lan kostenfrei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich und wer sich einwählt, den erwartet ein zehnsekündiger Werbespot. Betrieben wird das Netz durch die ABL Social Federation GmbH, so die Senatskanzlei.
„Endlich!“ schreien die einen. „Wie versprochen!“, schallt es nach acht Jahren Planung aus der Berliner Senatskanzlei. Nach Abschaffung der Störerhaftung soll es nun freies W-Lan für alle geben. Doch: Bedeutet der Weg ins freie Internetparadies Deutschland zu Ende gedacht nicht unweigerlich das Aus privater Internetprovider? Denn welcher Student zwischen Neukölln und Wedding wird bei ordentlicher Datenübertragung dann noch einen Internet-Vertrag abschließen wollen? Und damit nicht genug: Wie viele Mobilfunkkunden bleiben noch übrig, wenn in Zukunft das Gros der städtischen Bevölkerung statt mit Vodafone und O2 kostenfrei über Whatsapp oder Skype telefonieren wird? Dass elektronische Kommunikation zur Staatsaufgabe wird, aus Steuermitteln finanziert, kann man für richtig halten. Diesen Zustand durch einen schleichenden Prozess herbeizuführen, indem auf städtischer Ebene W-Lan-Sendemaste errichtet werden, folgt jedoch keinerlei politischem Fahrplan und bedroht unerwartet das Geschäftsmodell von Unternehmen, die jahrelang in private Netze investiert haben.
Kein Wunsch bleibt unerfüllt
Im W-Lan-Paradies dürften derlei Einwände aber gerade anlässlich der allgemeinen Fußball-Euphorie untergehen, sollten die Berliner Versprechen tatsächlich zum 10. Juni Wirklichkeit werden. Die Senatskanzlei dementiert zwar eindeutig einen Zusammenhang zwischen Zeitplan und üppigem Livestream-Angebot der übertragenden Fernsehsender. Das geplante W-Lan-Netz ist dennoch wie gemacht für das Versprechen von ARD und ZDF, den internetaffinen Zuschauern für die EM-Spiele ein zusätzliches Menü an Regie-Tools zur Verfügung zu stellen: Wer statt heimischem TV-Gerät oder Public Viewing-Leinwand die Eigenregie im Livestream bevorzugt, der kann sein Spielerlebnis mit „Taktik-Blick“, „Coach-Cam“ und „MyView“ aufpeppen. Der Zuschauer muss also nicht mehr blind den vorgegebenen Bildern folgen, sondern kann per Livestream vor oder während dem Spiel seine eigene Kamera aussuchen und Szenen aus verschiedenen Perspektiven ansehen.
Bei Champions-League-Übertragungen hat ein zweiter Bildschirm mit der ZDF-App schon seinen festen Platz im Programm. Wen das Spiel selbst nicht ausreichend beschäftigt, der kann sich, heißt es auf der ZDF-Website, jetzt auch bei der EM während der Übertragung „Meinungen, satirische und hintergründige Informationen sowie andere Fundstücke aus den sozialen Netzwerken“ anschauen. Denn: „Mobilgeräte wie Smartphones und Tablets sind unsere ständigen Begleiter“. Fehlt nur noch das Adverb „glücklicherweise“. So bleiben im digitalen Wunderland keine Wünsche unerfüllt.