Marktwirtschaft:Schubs den Sozialstaat

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Die Politik sollte menschliches Verhalten stärker steuern.

Von Alexander Hagelüken

Wenn einmal im Jahr der Nobelpreis für Wirtschaft verliehen wird, lässt das die Öffentlichkeit oft kalt. Zu abstrakt klingen die Theorien mancher Ökonomen. Zu weit zurück liegen die Erkenntnisse zuweilen. Der aktuelle Nobelpreis für den Verhaltensökonomen Richard Thaler dagegen scheint sofort einsichtig. Es wird ja viel diskutiert, ob sich Menschen besser mit sanften Nudging-Anstößen à la Thaler als mit Appellen oder Strafen steuern lassen, eingefahrene Gewohnheiten wie Rauchen oder Fastfood aufzugeben, deren Schaden sie im Grunde selbst erkennen.

Anlässlich des Nobelpreises lohnt es, mal über die engere Debatte um Thaler'sche Anschubsereien zum Energiesparen oder Organspenden hinauszudenken. Und die Auszeichnung für den Verhaltensökonomen als nudge zu nutzen, menschliches Verhalten dort sanft zu steuern, wo ein Großteil der öffentlichen Finanzen ausgegeben wird - im Sozialstaat. Trotz der unbestrittenen Erfolge gibt es quer durch alle Weltanschauungen Frust darüber, was traditionelle Sozialpolitik nicht hinbekommt. Zum Beispiel verteilt die Bundesrepublik über Steuern gewaltig um, doch die Kluft zwischen Besser- und Wenigerverdienern nimmt noch zu. Und obwohl in einem reichen Land genug Geld für alle möglichen Maßnahmen vorhanden ist, hält sich im Beschäftigungsrekord ein hartnäckiger Sockel Arbeitslose.

Bürokraten brauchen ständig Anstöße, damit sie ihre Aufgaben erfüllen

Wo traditionelle Politik scheitert, schaffen Verhaltensökonomen neue Chancen. Forscher experimentieren etwa damit, Arbeitslosen motivierende Tipps zu geben, damit sie in möglichst vielen Quellen nach Stellen fahnden und eigene Kontakte anzapfen. Das Projekt deckt auf, dass Jobsuche an mangelndem Wissen oder Selbstbewusstsein der Betroffenen scheitert - und an fantasielosen Behörden.

Noch kreativer wirkt ein Experiment, das Startnachteile von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern adressiert. Ehrenamtliche helfen bei den Hausaufgaben und üben den Umgang mit Mitmenschen ein. Sie stärken schulische und soziale Fähigkeiten - und ebnen den Weg in den Beruf. Traditionelle Sozialpolitik dagegen bewirkt oft selbst mit viel Geld wenig, weil sie erst mit jungen Menschen in Kontakt kommt, wenn sie Schule und Ausbildung abbrechen. Dadurch drohen dauerhaft Hilfsjobs oder Arbeitslosigkeit - und mehr gesellschaftliche Ungleichheit.

Kreativ auf das Verhalten von Menschen einzuwirken ist ein Ausweg aus den zwei Sackgassen der Sozialstaatsdebatte: Betonierung und Institutionalisierung. Von links ist oft zu hören, Deutschland würde gerechter, wenn nur endlich Hartz IV oder Arbeitslosengeld deutlich steigen. Diese Position übersieht, wie Sozialleistungen Zustände eben auch betonieren, je länger sie fließen. Staatliche Zahlungen machen zu einem gewissen Grad abhängig. Wer einem Arbeitslosen dagegen mit Verhaltensanstößen zu Arbeit verhilft, macht ihn unabhängig. Nobellaureat Thaler würde vielleicht sagen: Dieser zweite Weg berücksichtigt den Faktor Mensch.

Die zweite Sackgasse ist, für ein Problem ein Amt zu gründen - und dann seine Aufgabe lieblos exekutieren zu lassen. Unvergessen, wie einst im Skandal um die Bundesanstalt für Arbeit herauskam, dass die Behörde mehr sich selbst verwaltete, als Jobs zu vermitteln. Heute bewirkt die modern klingende Beurteilung von Jobberatern nach Vermittlungserfolgen, dass sich Jobberater auf leichtere Fälle konzentrieren und Ältere oder Alleinerziehende links liegen lassen.

Bürokratien neigen dazu, sich zu verselbständigen. Sie brauchen ständig innovative Injektionen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Wirklich modern wäre es, das ganze Leben eines Arbeitslosen zu berücksichtigen. Einer Alleinerziehenden einen Job zu vermitteln, bringt wenig, wenn sie keinen Hortplatz für ihre Kinder findet. Modellprojekte lassen Sozialarbeiter dabei helfen - und länger Arbeitslosen Anstöße geben, die Scham und Selbstaufgabe zu überwinden, die sie häufig lähmt.

Für diesen Ansatz müsste man nicht mal Richard Thaler bemühen, sondern nur existente Programme deutschlandweit ausdehnen. Doch die Politik lässt diese Modelle als Einzelfälle verkümmern - und erstarrt in ritualisierten Auseinandersetzungen zwischen links (mehr Geld!) und rechts (der Sozialstaat ist zu teuer!). Dabei versprechen die Verhaltensexperimente, das Sozialsystem effizient zu ergänzen und Dinge zu erreichen, die sonst nicht zustände kämen.

Der Einwand gegen Thaler, die Steuerung des Verhaltens manipuliere den Menschen gegen seine Interessen, greift hier kaum. Wie viele Arbeitslose oder Hilfsjobber sind schon glücklich mit ihrer Lage? Die meisten von ihnen fühlen sich nicht genötigt, sondern alleingelassen.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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