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Manager, Gesellschafter, Vorstandsvorsitzende Deutschlands Bosse fühlen sich politisch heimatlos

Deutsche Unternehmer halten wenig von der Politik in Berlin, das zeigt eine neue Studie von Göttinger Demokratieforschern. Die SPD wird nicht mehr als Feind wahrgenommen, die CDU aber auch nicht als Freund. Die Medien kommen noch schlechter weg.
Von Stine Marg und Franz Walter
Politiker Merkel, Gabriel: Wenig Begeisterung in deutschen Führungsetagen

Politiker Merkel, Gabriel: Wenig Begeisterung in deutschen Führungsetagen

Foto: STEFFI LOOS/ AFP
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Foto: Rowohlt Verlag

Franz Walter, Jahrgang 1956, ist Professor an der Universität Göttingen und leitet dort das Institut für Demokratieforschung. Stine Marg, Jahrgang 1983, ist Mitarbeiterin am Institut. Ihre neue Studie wurde initiiert und gefördert von der BP Europa SE.

Gierig, egoistisch, ausbeuterisch und rücksichtslos? Oder doch ehrbare Kaufleute mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein für Belegschaft und Gesellschaft? Wie ticken Deutschlands Unternehmer und Manager zur Mitte des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhunderts?

Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, hat das Göttinger Institut für Demokratieforschung  zwischen September 2013 und August 2014 in rund 250 Gesprächsstunden etwa 160 Manager, Gesellschafter, Vorstandsvorsitzende, Betriebsdirektoren, Geschäftsführer und Unternehmer unter anderem zu ihren Politik- und Gesellschaftsbildern, persönlichen Biografien und Wertvorstellungen befragt.

Das sind die entscheidenden Ergebnisse und Erkenntnisse der Studie, die von dem Mineralölkonzern BP initiiert und gefördert wurde:

  • Unternehmer in Deutschland haben von der marktradikalen Rhetorik aus der Zeit vor 2008 etwas Abstand genommen. Die wirtschaftlichen Einbrüche und schweren Turbulenzen auf den Finanzmärkten besonders in den Musterländern des Neoliberalismus scheinen zu einer zumindest moderaten, wenngleich erkennbar brüchigen Aussöhnung von Unternehmern hierzulande mit dem christ- wie sozialdemokratisch eingefärbten Sozialstaatsmodell des "Rheinischen Kapitalismus" geführt zu haben.

  • Die Entwicklungen der letzten Jahre erlebten Familienunternehmer nicht ohne Genugtuung. Lange galten sie als Anachronismen einer untergegangenen Epoche der Industriegesellschaft. Gegenwärtig aber werden sie dafür gelobt, dass Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern vergleichsweise gut dasteht. Was wenige Jahre zuvor noch als überflüssige Folklore verspottet wurde - patriarchalische Fürsorge, Heimat- und Ortsverbundenheit, Stolz auf die hoch spezialisierte Produktfertigung, auch haushälterisch fundierte Langfristigkeit der Betriebsplanung -, ist zum Aushängeschild und Stabilitätsanker der Wirtschaft in Deutschland avanciert.

  • Sozialdemokraten und Gewerkschafter werden nicht mehr als bedrohliche Feinde im Lager der Unternehmer wahrgenommen. SPD-Altkanzler Gerhard Schröder und seine Agenda 2010 firmieren vielmehr als Vorbilder außergewöhnlichen politischen Muts. Den Gewerkschaften bescheinigt man nun vielfach, die Bedeutung der industriellen Produktion für den gesellschaftlichen Wohlstand zu erkennen, was für viele soziale und politische Kräfte ansonsten bedauerlicherweise nicht mehr zutreffe.

  • Auffällig ist das verbreitete Gefühl, politisch keine Heimat mehr in der Bundesrepublik zu besitzen. Trotz einigen Grolls über den oft unseriösen und unterkomplexen Auftritt der FDP in der Ära Westerwelle bedauern zahlreiche Unternehmer, dass die Liberalen nicht mehr im Bundestag vertreten sind. Mit Argwohn verfolgen viele den "sozialdemokratischen" Kurs der CDU/CSU in der Großen Koalition. Verbreitet ist die Kritik an der politischen Unschärfe und programmatischen Indifferenz von Kanzlerin Angela Merkel.

  • Bemerkenswert und alarmierend ist die an Schärfe kaum zu überbietende Klage des Gros der deutschen Unternehmer über die Medien im Land. Bitterkeit über die "skandalisierende" und "pauschalisierende" Berichterstattung - den "Hetzjagden" - in den Medien bilden somit kein Spezifikum verängstigter und populistisch aufgewiegelter "Wutbürger" in von Abstiegsängsten geschüttelten Mittelschichten (des ostsächsischen Raums), sondern sind ebenso unter den wirtschaftlichen Eliten Deutschlands verbreitet. Bemerkenswert ist, dass etliche Unternehmer ganz den Glauben an einen Qualitätsjournalismus verloren haben. Kaum einer der befragten Unternehmer bezog privat eine überregionale Tageszeitung per Abo. Unternehmer bedienen sich des Internets für Informationen, nehmen auf Flugreisen als Lektüre, was ihnen die Stewardess zusteckt, beziehen in Teilen zu Hause noch das regionale Blatt. Doch ein Leitmedium kennen sie nicht (mehr).

  • Unter den wirtschaftlichen Führungskräften findet man auch ein beträchtliches Unbehagen am Prozess der Willensbildung in unserer parlamentarischen Demokratie. Vieles dauert ihnen zu lange, ist zu sehr auf schlechte Kompromisse ausgerichtet, zu wenig am (vermeintlichen) Optimum "sachrationaler" Erfordernisse bemessen. Doch ist dem Gros der Wirtschaftskapitäne das repräsentative System weit lieber als eine Referendumsdemokratie. Direktdemokratische Verfahren nähren nach Unternehmer-Auffassung die Irrationalität und Sprunghaftigkeit der in der Regel nicht hinreichend kompetenten Massen. Der Rechtsstaat ist ihnen wichtig, da er der Wirtschaft berechenbare Grundlagen und Rahmenbedingungen garantiert.

  • Totalitäre Diktaturen bedeuten demgegenüber Willkür. Schon aus diesem Grunde sind Unternehmer, im Unterschied zu den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, keine Freunde solcher Systeme. Doch fürchten nicht wenige, dass etwa China, aufgrund der autoritativen Möglichkeiten rascher und stringenter politischer Entscheidungen, in der Konkurrenz mit den politisch eher trägen Demokratien in Zukunft die Nase vorn haben könnte. In Peking würde nicht lange herumpalavert, übertolerant mit Minderheiten umgegangen, bei Bautätigkeiten auf Bürgerbegehren Rücksichten genommen, heißt es dann. Sollten nichtdemokratische Gesellschaften eine anhaltend größere wirtschaftliche Dynamik entfalten als die Demokratien im Westen, wäre eine emphatische Diskussion über einen modernen Kapitalismus mit weniger Demokratie bei allerdings stabiler und auch transnational konstituierter Rechtsstaatlichkeit erwartbar.

  • Unternehmer, ob weiblich oder männlich, sind mehrheitlich keine Freunde von Geschlechterquoten. Eine solche Quote gilt ihnen als Beispiel für eine gegenwärtig grassierende "Regulierungswut". Ebenfalls auf wenig Sympathie stößt bei ihnen die Rentenpolitik der Bundesregierung. Hingegen löst der Mindestlohn bei den Chefs großer Unternehmen keine negativen Emotionen aus, während er in kleineren Unternehmen auf weniger Gegenliebe stößt.

  • Kein Interesse haben Unternehmer daran, ihre Anliegen selbst im politischen Raum zu vertreten. In der bundesrepublikanischen Parlamentsgeschichte ist der Anteil parteipolitisch aktiver Unternehmer mit Mandat nahezu kontinuierlich abgeschmolzen - von rund 20 Prozent aller Bundestagsabgeordneten während der Fünfzigerjahre auf weniger als acht Prozent heute. Als Maßstab für eine "bessere Politik" verweisen Unternehmer gerne auf die Entscheidungslogiken der Privatwirtschaft.

  • Die Internationalität der Unternehmer ist keineswegs so stark ausgeprägt, wie propagiert wird. Bei den meisten fielen die Auslandsaufenthalte eher kurz aus. Nicht internationale Mobilität, sondern betriebliche Verwurzelungen, Treue und Loyalität begünstigen weiterhin ganz überwiegend die Karriere.

  • Signifikant erkennbar ist ein deutlicher Rückgang der Kirchenorientierung bei deutschen Unternehmern. Die größte Gruppe bilden mittlerweile die Konfessionslosen mit rund 40 Prozent (Mitte der Sechzigerjahre noch zehn Prozent). Diese Entwicklung wirkt sich auf die Bereitschaft zur Organisation und Mitwirkung in Verbänden aus. Katholische Kirchenzugehörigkeit von Unternehmern korreliert positiv mit Verbandsengagement, Konfessionslosigkeit deutlich negativ.

  • Unternehmer lieben die Selbstzuschreibung, 24 Stunden am Tag alles für die Firma zu geben. Kaum etwas fürchten wirtschaftliche Eliten mehr als Untätigkeit, Ruhe, Bewegungslosigkeit. "Work-Life-Balance"? Für viele ist "Work" gleich "Life". Und sie mögen nicht einsehen, was daran schlecht sein soll.

  • Vorbei scheint die Phase der Industriegeschichte zu sein, in der ursprüngliche soziale oder kulturelle Benachteiligungen eine Schubkraft für die individuellen Anstrengungen des Aufstiegs an die Spitze von Unternehmen bildete. Die ökonomischen Eliten heute erzählen in ihrer großen Mehrheit von intakten Lebensgeschichten ohne gravierende Brüche und Widerstände. Das scheint zumindest bei Teilen zu der Sorge zu führen, dass dem Führungsnachwuchs elementare Energien und auch Härten in künftigen Zeiten schroffer Konflikte fehlen mögen.


Zusammengefasst: Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat Unternehmer und Manager nach ihrem Blick auf Politik und Gesellschaft befragt. Man wünscht sich klare Regeln. Marktradikale Ideen sind seit der Finanzkrise etwas aus der Mode gekommen. Von den Medien oder einem Engagement in der Politik halten die meisten Manager eher wenig.