Christiane Schneider: Der Hamburger „Knoten“ im militanten Neonazi-Netzwerk. Linke will Untersuchungsausschuss


Ein Gastbeitrag von Christiane Schneider: Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Fraktion DIE LINKE, Innen-, flüchtlings- und verfassungspolitische Sprecherin

Der Hamburger „Knoten“ im militanten Neonazi-Netzwerk. Linke will Untersuchungsausschuss

Vor 14 Jahren, am 27.6.2001, wurde Süleyman Tasköprü in Hamburg ermordet. Er war das dritte von zehn Mordopfern des NSU. Die Familie des Toten setzt sich schon länger für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU auch in Hamburg ein. Die Fraktion DIE LINKE in der Bürgerschaft hat jetzt den Antrag auf Einrichtung eines PUA gestellt. Er wird in der Bürgerschaftssitzung am 8./9. Juli zur Debatte gestellt und dann, so haben die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen verlauten lassen, in den Innenausschuss überwiesen. SPD und Grüne, so heißt es, nähmen das Anliegen ernst, sähen aber für die Notwendigkeit keines Untersuchungsausschusses keinen Anhaltspunkt.

Hamburg gehört mit Mecklenburg-Vorpommern zu den beiden NSU-Tatort-Ländern, in denen es bisher keine Untersuchungsausschüsse gibt. In Hamburg scheint man keine Fragen mehr zu haben. Hamburg steht gut da. Fehler der Sicherheitsbehörden? Klar, die gab es, sonst hätte man den Mord aufgeklärt. Aber welche? Das kann man so genau nicht sagen. Staatliches Versagen, gar Totalversagen, das gab es nur anderswo. Für Verbindungen von Hamburger Neonazis zum NSU-Untergrund gibt es keine Hinweise. Alles ist aufgeklärt. Das war das Fazit, das der Senat und die große Mehrheit der Bürgerschaft aus der Diskussion einer 85-seitigen Senatsdrucksache (1) im letzten Herbst zogen.

Tatsächlich sind nicht einmal naheliegende Fragen aufgeklärt: Warum wurde Hamburg zum Tatort? Was zog die Mörder in diese norddeutsche Großstadt? Wie kamen sie ausgerechnet auf die für ihr Verbrechen ideale Schützenstraße im Stadtteil Bahrenfeld? Wer hat das ausgekundschaftet?

Die Sicherheitsbehörden gehen strikt von der Legende aus, der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) sei eine singuläre, im Wesentlichen auf sich selbst gestellte Vereinigung aus drei Personen mit einigen wenigen UnterstützerInnen gewesen. Die Arbeit der bisherigen Untersuchungsausschüsse und eine unabhängige Recherche vermitteln ganz andere Erkenntnisse: Die militante Neonaziszene war eng vernetzt, die Täter konnten sich auf ein verzweigtes Netzwerk mit vielen „Knoten“, auf Kameradschafts-, Blood & Honour- und ähnliche Strukturen stützen. Nur in Hamburg nicht? Zwischen der Hamburger Neonaziszene und den militanten Strukturen, in die die „Zwickauer Zelle“ eingebettet war, soll es keinerlei relevante Verbindungen gegeben haben, behaupten die Sicherheitsbehörden bis heute steif und fest.

Sie sagen nicht die Wahrheit.  Wir haben in unserem Antrag einige Dutzend Fragen aufgeschrieben. Ein großer Teil zielt auf das länderübergreifende militante neonazistische Netzwerk und den „Knoten“ Hamburg. Allen Fragen liegen Sachverhalte zugrunde, die man kennen kann und deren Bedeutung für die Frage: „Wie konnten die Mord- und Anschlagserie unter den Augen des Staates über Jahre hinweg fortgesetzt, die Täter unentdeckt bleiben?“ aufgeklärt werden muss.

Nur zwei Beispiele:

Erstens. Wir wollen den Untersuchungszeitraum 1992 beginnen lassen. In seinem Bericht für 1992 hat das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz den Hamburger Neonazis Christian Worch und Thomas Wulff bescheinigt, dass sie einen bundesweiten Führungsanspruch hatten, dass sie ihn durchsetzten und dass ihr strategisches Ziel „die Schaffung einer Art rechtsextremistisches Netzwerk sei“. Das ist ihnen für Jahre gelungen. 1992 entwickelte Worch das militante Anti-Antifa-Konzept, das in den Folgejahren Aufbau und Entwicklung des Thüringer Heimatschutzes (THS) maßgeblich prägte. Worch hatte nicht nur zahlreiche enge Verbindungen nach Thüringen, ebenso Wulff. Die Protokolle (2) der Vernehmung der Zeugen Tino Brandt („Führungskamerad“ im Thüringer Heimatschutz) und Kai Dalek (V-Mann oder Verdeckter Ermittler VS und einer der einflussreichsten Neonazis in Süddeutschland) im Münchner Prozess geben Auskunft nicht nur über bestehende Verbindungen, sondern auch darüber, wie viele Fäden bei Worch und Wulff zusammenlaufen. So habe Dalek mit Worch und Wulff z.B. über seinen Eindruck gesprochen, dass Brandt vorhabe, einen militärischen Arm aufzubauen. Und später auch von seinem Verdacht, Brandt sei ein V-Mann. Auf die Frage, warum er mit Worch und Wulff darüber gesprochen habe, antwortet Dalek, im Protokoll wörtlich zitiert: „Weil wir das in der oberen Führungsebene immer so gehalten haben.“ (3) 158. Verhandlungstag, 12.11.2014

Im Zusammenhang mit rechtsterroristischen Tendenzen kann man über Worch vieles sagen: Er war nicht nur Leitungskader in der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front,  sondern in vielen militanten Naziorganisationen, die teilweise verboten waren oder wurden, so in der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten (ANS/NA), in der FAP, in der Nationalen Liste. Er gehörte wie Starke, Sczepanski, Dalek, Dienel – alles V-Leute im nahen Umfeld der „Zwickauer Zelle“ – zu den Autoren des Fanzine „Weisser Wolf“, der bekanntermaßen den „NSU-Brief“ samt Spende erhalten und sich öffentlich dafür bedankt hat.

Zweitens. Wir fragen nach der Rolle von Liegenschaften für die Vernetzung der militanten Neonaziszene. Der 2009 verstorbene Nazi Jürgen Rieger, der von Beginn seiner Nazi-Laufbahn an offen dem „Rassenkrieg“ das Worte redete, dieser Rieger hatte nicht nur ein Gut in Schweden, auf dem sich die militante einschließlich der explizit rechtsterroristischen schwedischen Neonaziszene traf. Er hat u.a. 2003 das „Schützenhaus“ im thüringischen Pößneck gekauft. Dort war André Kapke, gegen den im NSU-Zusammenhang ermittelt wird, Untermieter, und Thomas Wulff Schlüsselverwalter. Keine Verbindungen? Im „Schützenhaus“ fanden regelmäßig Rechtsrockkonzerte statt, bei denen sich die gewalttätige Szene traf.

Allein diese beiden Beispiele werfen ein Schlaglicht darauf, wie eng vernetzt diese Szene war. Man kannte sich, es gab viele einschlägige Kontakte, auch zwischen führenden Hamburger Neonazis und dem Umfeld der „Zwickauer Zelle“, die vielen V-Leute in ihrem Umfeld eingeschlossen.

Zu erwähnen ist vor allem noch die Vernetzung gerade der bundesweit führenden Neonazikader im Zusammenhang mit bundesweiten Demonstrationen, vor allem anlässlich der damals jährlichen Rudolf-Heß-Gedenkmärsche. Rieger spielte hier eine zentrale Rolle, hier trafen sich für die Vorbereitung und Durchführung in klandestinen Gruppen z.B. Worch, Wulff, Wohlleben, Kapke, Martin Wiese aus München (verurteilt wegen der Vorbereitung eines Anschlags auf die Münchner Synagoge) und eine Reihe inzwischen enttarnter V-Leute. Auch danach fragen wir. Die Behauptung des LfV Hamburg, es habe praktisch keine nennenswerten Verbindungen zwischen Hamburger Neonazis und dem NSU gegeben, ist, wenn man den NSU eben nicht auf die „Zwickauer Zelle“ reduziert, unhaltbar. Es erhebt sich die Frage, warum dann das LfV so eisern an dieser Behauptung festhält.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist das staatliche Totalversagen. Auch in Hamburg haben die Sicherheitsbehörden keinen einzigen Beitrag zur Aufklärung der Mordserie geleistet, nicht ein einziges Mal nach rechts ermittelt, entsprechende Hinweise nicht ernst genommen, sich am heftigsten der These des Münchner Profilers von einem oder einigen Tätern mit fremdenfeindlichen Motiven widersetzt.

Für andere Tatortländer sind die Verstrickungen insbesondere der Verfassungsschutzämter in den Neonazisumpf durch die Untersuchungsausschüsse zumindest zu Teilen ans Tageslicht gekommen, insbesondere dieses unsägliche V-Leute-Unwesen, das Anheuern bezahlter Nazi-Täter mit engen und engsten Kontakten zu den NSU-Mördern. In Hamburg sind solche beweisbaren direkten Verstrickungen des LfV nicht ans Tageslicht gekommen. Das ist ein bisschen das Problem unseres Antrags. Wir können gegenwärtig beweisen, was aufzudecken Aufgabe eines PUA wäre.

Selbstverständlich gab es auch in Hamburg diese V-Leute in den Neonazistrukturen. Die militante Kameradschaftsszene war von V-Leuten durchsetzt – auch in Hamburg.

Zuletzt soll noch an den V-Mann des LfV erinnert werden, der 2006, so die Geschichte, die man der Öffentlichkeit auftischte, vom V-Mann „Corelli“ eine CD mit NSU-Bezug erhalten haben soll. Er habe sie aber erst im Februar 2014 beim Aufräumen seines Dachbodens entdeckt und, nachdem er unter den vielen tausend Dateien zielsicher diejenigen mit dem NSU-Bezug fand, dem LfV gebracht. Träfe diese Geschichte zu, dann stellte sich die Frage, welches vertrauensvolle Verhältnis „Corelli“ mit dem Hamburger Nazi und V-Mann verband, dass er das Wissen um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit ihm teilte. Trifft sie nicht zu – und dafür spricht alleine schon, dass sie just zu dem Zeitpunkt präsentiert wurde, als im Internet die Existenz dieser CD erstmals öffentlich enthüllt worden war – dann fragt sich, welche Rolle spielt in dieser Geschichte eigentlich der Hamburger Verfassungsschutz.

Christiane Schneider

  • Drucksache 20/11661, Der Nationalsozialistische Untergrund, Ermittlungen, Aufarbeitung, Konsequenzen in Hamburg und in der Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder
  • NSU Watch protokolliert die Prozesstage (http://www.nsu-watch.info/). Hier geht es insbesondere um die Protokolle der Vernehmung von Tino Brandt am 23.und 24.9.2014 und von Kai Dalek am 12. und 19.11.2014
  • Die „oberste Führungsebene“ bezieht sich vermutlich auf die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF), die sich als „Keimzelle der neuzugründenden Nationalsozialistische Deutschen Arbeiterpartei“ verstand und die ihre Aufgabe im Aufbau von Vorfeldorganisationen sah.