ZUR WERTSCHÄTZUNG DER FREIHEIT IN DEUTSCHLAND

Ulrike Ackermann beschreibt eine hohe Akzeptanz  des westlichen Lebensstils, die  trotz anhaltender Angriffe auf unsere Lebensweise Anlass zu Optimismus gibt.

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Ulrike Ackermann

Zur Wertschätzung der Freiheit in Deutschland

Westliche Werte und Lebensstile, die in diesen Werten gründen, sind von unterschiedlichen Seiten unter Beschuss geraten: Von außen werden sie von Islamisten attackiert; auch Moskau führt einen Propagan­dafeldzug gegen westliche Liberalität und »Dekadenz «, besonders gegen Homosexualität. Zudem be­dienen in ganz Europa rechts- und linkspopulistische Bewegungen und Parteien Antiwestliche Ressenti­ments, die unseren Lebensstil in Frage stellen.

Was ist das Besondere dieses Lebensstils? Gerahmt ist er von Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und sozialer Marktwirtschaft. Neben der Achtung der Menschenrechte, der Trennung von Staat und Kir­che bzw. Gesellschaft und Religion zählen die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und die Wertschätzung des Individuums und seiner individuellen Freiheiten gegen­über dem Kollektiv zu diesem Wertekanon.

Daraus ergibt sich für den westlichen Lebensstil: freiwillige Bindungen, die nicht auf Zwang beruhen, Gleichberechtigung der Geschlechter, sexuelle Selbstbestimmung, Vielfalt der Lebensstile, Wahlfreiheit, Toleranz, Skepsis gegenüber alten Gewissheiten und das Recht auf Irrtum. Dazu gehören in jedem Fall die diesseitige Lebenslust im Unterschied zu religiöser Jenseitigkeit, Tanzen, Singen, Lachen und Trin­ken im öffentlichen Raum, kurzum der Hedonismus und die individuelle Suche nach dem Glück. Darf oder soll man gar nach einer massenmörderischen Attacke auf die diesseitige Lebenslust unbeirrt weiter tanzen, lachen und trinken – als offensive Verteidigung unseres westlichen Lebensstils?

Die Diskussionen bei uns in den letzten Monaten darüber, ob der Begriff »westliche Werte« zuträglich, nötig oder überflüssig sei, hat gezeigt, dass die westlichen Selbstzweifel im Hinblick auf unsere normati­ven Grundlagen und die damit verbundenen Lebensstile im Raum stehen. Die Geißelung westlicher De­kadenz und diverse Spielweisen von Zivilisations-, Konsum-, Wachstums- und Kapitalismuskritik im Westen selbst sind nicht neu. Sie tönen von rechter wie von linker Seite, sind oft durchsetzt von Kultur­pessimismus und Fortschrittsskepsis und warnen vor Entfremdung. Oft wird darin der Natur das Gute und dem Menschen das verderbt Böse zugeschrieben. Der westliche Lebensstil, hört man zuweilen gar, mache Seele und Körper krank.

Das John Stuart Mill Institut hat in seinem jährlichen „Freiheitsindex“ in Fortsetzung des letztjährigen Arbeitsschwerpunktes 2017 Fragen zum Schwerpunkt »Westlicher Lebensstil« eingearbeitet:

64 Prozent der Befragten gehen von einem besonderen »westlichen Lebensstil« aus. Demokratie, Rechtsstaat und Freiheitsrechte zählen ebenso wie schon bei der Erhebung zu den westlichen Werten im letzten Jahr zu den Kernelementen. An erster Stelle steht in diesem Jahr bei der Charakterisierung des westlichen Lebensstils die »Gleichberechtigung der Geschlechter«, gefolgt von der »Meinungs-, Presse- und Redefreiheit«, den »Freiheitsrechten allgemein und der Freiheit der individuellen Lebensgestaltung«. Das heißt, neben der Gleichberechtigung wird die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Lebensentwürfe ausdrücklich als Kennzeichen des westlichen Lebensstils gewürdigt.

Über das Ausmaß der Gefährdung dieses Lebensstils ist sich die Bevölkerung unsicher. Genannt werden vor allem die Zuwanderung, der Islam und Terroranschläge, allesamt Bedrohungen, die von außen kom­men. Im Langzeittrend ist in diesem Zusammenhang eine Rückkehr zu klassischen bürgerlichen Tugen­den zu beobachten. Als Erziehungsziele werden an erster Stelle »Höflichkeit und gutes Benehmen«, ge­folgt von »Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen«, »Ehrlichkeit«, »Aufrichtigkeit« und »Hilfsbereitschaft« genannt. 40 Prozent der Befragten betrachten das Leben in erster Linie als eine Auf­gabe; fast gleich viele, nämlich 39 Prozent wollen das Leben vor allem genießen. Das heißt Hedonismus und Selbstverpflichtung halten sich als Lebensvorstellung fast die Waage und stehen nicht in Wider­spruch zueinander.

Um den Zeitgeist zu erspüren, eignet sich besonders gut das Fragenmodell, was zur Zeit »in« und was »out« ist, das das Allensbacher Institut seit den 1980er Jahren anwendet. In diesem Zeitgeist-Panorama der »In-Liste« sind gegenwärtig auf dem ersten Platz »Bio-Produkte«, gefolgt von »Fitness«, »Sport treiben« und »Gesunde Ernährung«. Erst dann folgt »das Leben genießen« und »die Karriere«. Die »Freiheit« ist in dieser Rangfolge dem »Umweltschutz « nachgeordnet.

Dieses Fragenmodell misst ausdrücklich nicht die eigene Meinung oder das Verhalten der Befragten, sondern das gesellschaftliche Meinungsklima. Denn empirisch liegt der reale Anteil der Bioprodukte am gesamten Lebensmittelumsatz bei nur 4 Prozent. In der »In-Liste« werden aber auch »das Leben genie­ßen« oder »Flirten« und »gutes Benehmen« genannt. Out sind inzwischen offensichtlich traditionelle Fa­milienmodelle: Für 71 Prozent der Befragten ist die Hausfrauenrolle passé. Auch »religiös, gläubig sein« und »in der Kirche beten« sind für 53 Prozent der Bevölkerung out. Der Zeitgeist ist tendenziell »grün« und gesundheitsbewusst, geprägt von der Wertschätzung bürgerlicher Tugenden und der Ablehnung der Rollen der alten Geschlechterordnung und traditioneller Familienmodelle. Genuss und Hedonismus ver­tragen sich damit, solange der ökologisch gesteckte Rahmen eingehalten wird.

Auch wenn Unsicherheit im Hinblick auf die Bedrohung des westlichen Lebensstils besteht, ist dessen Wertschätzung insgesamt groß. An vorderster Stelle rangiert die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Pluralität der Lebensstile, die Freiheitsrechte insgesamt und vor allem die Freiheit, sein persönli­ches Leben gestalten zu können. Das ist ein erfreulicher Befund, der trotz der schwierigen Weltenlage und den anhaltenden Angriffen auf unsere Lebensweise im Westen Anlass zu Optimismus gibt.

Prof. Dr. Ulrike Ackermann (1957) Sozialwissenschaftlerin, hat Soziologie, Politik, Neuere Deutsche Philo­logie und Psychologie in Frankfurt studiert. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin in Frankfurt/Main und ist Professorin für Politikwissenschaft und seit 2008 Gründerin und Direktorin des John Stuart Mill In­stituts für Freiheitsforschung in Heidelberg.

Den „Freiheitsindex 2016: Wie halten es die Deutschen mit der Freiheit? Schwerpunkt Westlicher Lebensstil“ finden Sie hier.

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